Die CDU Nordrhein-Westfalen hat am 13. Juni in Essen ein Grundsatzprogramm „Aufstieg, Sicherheit, Perspektive“ beschlossen. Sie beansprucht, in der Vergangenheit programmatische Impulse gesetzt zu haben, und betont die gelungene Verbindung der Katholischen Soziallehre mit der protestantischen Wirtschaftsethik. Nordrhein-Westfalen sei „das ‚Mutterland‘ der Sozialen Marktwirtschaft, die man gerne und zu Recht auch als ‚rheinischen Kapitalismus‘ bezeichnet hat.“ Die Programmprosa kann die neoliberalen Pferdefüße kaum verhüllen, etwa wenn vom dynamischen Anstieg der Kosten in den sozialen Sicherungssystemen die Rede ist. Diese Kosten dürften die Gestaltungsräume eines auskömmlichen kommunalen Finanzierungssystems nicht konterkarieren und seien perspektivisch aus der kommunalen Selbstverwaltung herauszulösen. Auch „die Leistungen der Daseinsvorsorge, die Infrastruktur und insbesondere die Kultur und Bildungsangebote müssen im Dialog mit den Einwohnern einer ständigen Überprüfung unterzogen werden.“
Der Landesvorsitzende Armin Laschet hat mit dem NRW-Programm sicherlich seinen Klassenauftrag erfüllt. Auch sonst schlägt er politisch nicht über die Stränge. Er ist gegen die von Bundeswirtschaftsminister Gabriel vorgeschlagene Sonderabgabe für konventionelle Kraftwerke. Sie gefährdeten die einschlägigen Arbeitsplätze. Es gebe kein Moralmonopol für Klimaschutz. Von Konversion redet er nicht. Schon 2012 kritisierte er zusammen mit Christian Lindner, dem FDP-Landesvorsitzenden, die Energiewende: „Wir müssen zurück zur Marktwirtschaft im Energiesektor.“
Alles wäre in Ordnung und Armin Laschet für Konzerne und Banken im Lande der ideale Herausforderer von Ministerpräsidentin Kraft, wenn im Mai 2017 ein neuer Landtag gewählt wird. Wenn da nicht eine gewisse Schludrigkeit wäre – vor allem bekannt geworden wäre.
Laschet war bis vor kurzem an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) als Hochschuldozent tätig. Im Rahmen des Europa-Master-Studiengangs bot er ein Seminar „Die Europapolitik der Berliner Republik“ an. Kern dieses Seminars war eine Exkursion nach Berlin, die für die Examensnote zählt. Hier wurde kein Student überfordert. Auch nicht bei der Darstellung der Ergebnisse. Aber die fälligen Klausuren kamen abhanden – auf dem Postweg, wie Laschet mitteilte. Auf der Grundlage seiner Notizen konnte er 35 Noten rekonstruieren. Dabei stellte sich aber heraus, dass nur 28 Prüflinge zu benoten waren. Das fiel auf. Zwei Wochen vor dem Programmparteitag der NRW-CDU. Und es fiel auf, dass seine Notizen ebenfalls weg waren.
Eine Woche nach dem Parteitag kam raus, dass Laschet ein lasches Verhältnis zum Finanzamt hat. Er musste einräumen, dass er 4 000 Euro Honorar als Buchautor nicht als Einnahme versteuert, den Betrag aber als Spende steuerlich abgesetzt hat. Dabei ging es um das Buch „Die Aufsteigerrepublik“ (2009), das er als damaliger Landesminister für Generationen, Familie, Frauen und Integration verfasst, besser: mittels Beiträgen aus seinem Hause herausgegeben hatte.
Jetzt wird in der CDU wegen dieser „Affärchen“ gezweifelt, ob er der richtige Mann ist. Da wird wohl ein Rücktritt fällig werden. Aber die Kölnische Rundschau, der CDU meist freundlich gesonnen, konstatiert: „Es fehlt an Alternativen“.
Bei der Gelegenheit fällt auf, wer nicht zurücktritt: Anlässlich der BND-Affäre weder der Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, Klaus-Dieter Fritsche, noch der Innenminister de Maizière. Auch die bekannt gewordenen Verbindungen von Geheimdiensten und NSU kann sie dazu nicht bewegen. Dobrindt klebt am Sitz trotz scheiternder Maut. Schäuble zerstört Griechenland. Nahles bricht mit dem Tarifeinheitsgesetz die Verfassung. Alle machen unverdrossen weiter. Und in NRW wabert immer noch der Skandal um die Grundstücksaffären des Bau- und Liegenschaftsbetriebes (BLB), droht gar in Vergessenheit zu geraten, ohne dass es Rücktritte setzt.