Über Regierungs- und Kriegspläne

Schlimm und schlimmer

Ich stehe noch etwas unter Schock, nachdem ich mir die Sondersitzung des Bundestags angesehen habe. Bundeskanzler Olaf Scholz verkündet das größte Hochrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. Die ohnehin immensen Steigerungen der Rüstungsausgaben der letzten Jahre sollen verstärkt fortgesetzt und das NATO-Ziel der 2 Prozent überschritten werden. Scholz will sofort ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die moderne Hochrüstung der Bundeswehr schaffen und dafür das Grundgesetz ändern. Bewaffnete Kampfdrohnen aus Israel werden angeschafft. Die Bomber für die Atomwaffen, die in Büchel lagern, werden zügig durch moderne Bomber ersetzt. Die Ukraine wird ab sofort mit Waffen beliefert. Neue Terminals für amerikanisches Frackinggas werden sofort gebaut. Die NATO und die NATO-Mitgliedsländer sind das Maß dessen, was auf der Welt für Freiheit und Demokratie gehalten werden darf. Große Teile der Abgeordneten spendeten diesen Aussagen und Ankündigungen mehrfach stehend Applaus.

Finanzminister Christian Lindner ergänzt, dass die Schuldenbremse wieder eingesetzt werde. Das heißt: Dieses gigantische Hochrüstungsprojekt wird soziale Angriffe nach sich ziehen, deren Ausmaß ungeahnt ist. Denn der „Freiheitskampf“ gegen Russland ist ja schließlich nicht umsonst zu haben.

Das Ganze wird ergänzt um ein Sanktionspaket, das vermutlich auf Jahre den Dialog mit Russland blockieren wird, also die einzige Möglichkeit, aus der Eskalation herauszukommen.

Die CDU als größte Oppositionspartei ist dabei, wenn es gegen den Russen geht. Sie kennt kein Parteiengezänk mehr – ideologisch gibt Friedrich Merz die Linie aus, dass jeder, der gegen NATO und Hochrüstung ist, ein nützlicher Idiot Putins sei. Oder er gehört zu russischen Netzwerken, die es angeblich in Deutschland gibt. Alle, die für Abrüstung eintreten, sollen damit in die völlige Isolierung getrieben werden.

Die AfD mimt Opposition, indem sie weniger auf Russland einschlägt, gleichzeitig aber Hochrüstung propagiert, weil diese in der Vergangenheit viel zu wenig gemacht worden sei.
Die Partei „Die Linke“ ergibt sich zumindest teilweise. Hochrüstung findet sie nicht so gut, aber Sanktionen müssen sein. Kein Wort davon, dass die Eskalation eine dreißigjährige Geschichte der NATO-Aggression gegen Russland hat. Kein Wort davon, dass der Rüstungshaushalt bereits in den letzten Jahren explodiert ist.

Diese Bundestagssitzung stellt in der Tat eine Zäsur dar. Sie stellt mit Blitzentscheidungen die Weichen für einen ungeahnten Aggressions- und Hochrüstungskurs, den der deutsche Imperialismus fahren will. Die drohende globale Machtverschiebung zu Ungunsten der NATO-Länder soll mit Hochrüstung gestoppt werden.

Diese Bundestagssitzung droht eine Niederlage der Friedensbewegung zu zementieren, die sich durch die letzten drei Jahrzehnte zieht, in denen es nicht gelungen ist, den Vormarsch der NATO nach Osten zu stoppen und in denen frühere Friedenskräfte, Teile der Sozialdemokratie und die Grünen zu Marionetten der Aggression des Imperialismus wurden.

Ich selbst habe mich in einem getäuscht: Ich dachte, die zentrale Rolle der jetzigen Regierungskoalition sei die Durchsetzung des Abwälzens der Lasten der Krise des Kapitalismus auf die Werktätigen. Es kommt schlimmer, die zentrale Rolle ist die Durchsetzung eines unfassbaren Kriegs- und Aufrüstungsprogramms und die Abwälzung der dadurch entstehenden Lasten sowie der Krisenlasten auf die Werktätigen.

Leider deutet wenig darauf hin, dass die Friedensbewegung dem adäquaten Widerstand entgegensetzen kann. Die aktuellen Entwicklungen wirbeln die Friedenskräfte durcheinander. Zum Lackmustest, wer sich auf der Seite des Friedens wieder sammeln wird, wird die Frage, wer sich NATO, Sanktions- und Hochrüstungspolitik widersetzt.

Wir müssen uns auf harte Zeiten einstellen.

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"Schlimm und schlimmer", UZ vom 4. März 2022



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