Tarifrunde DB AG: Mit dem Schlichtungsergebnis in die Urabstimmung

Schlicht nicht genug

Friedrich Kastner

Der Bundesvorstand der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat in der letzten Woche mehrheitlich die Annahme des Schlichtungsergebnisses in der Tarifrunde der Deutschen Bahn AG (DB AG) empfohlen. Was die Schlichter den Tarifparteien zur Einigung empfehlen liegt jedoch deutlich unter dem, was die EVG als Kernforderungen formuliert hatte: Dazu gehört der Festbetrag von 650 Euro beziehungsweise mindestens 12 Prozent und die Laufzeit von 12 Monaten. Der zur Annahme empfohlene Schlichterspruch sieht 410 Euro in zwei Stufen vor (Dezember 2023: 200 Euro, August 2024: 210 Euro) mit einer Laufzeit von 25 Monaten. Dazu soll eine Einmalzahlung in Form der „Inflationsausgleichsprämie“ in Höhe von 2.850 Euro Teil der Vereinbarung werden, die im Oktober 2023 ausgezahlt werden würde.

Nach Aussagen der EVG ging der Empfehlung für die Annahme des Schlichtungsergebnisses eine hitzige und emotionale Debatte voraus. Demnach endete eine Marathonsitzung des Bundesvorstandes, die sich über acht Stunden hinzog, letztendlich in einer Mehrheitsentscheidung. Der EVG-Vorsitzende Martin Burkert erklärte gegenüber den Medien, dass die Entscheidung nicht leicht gefallen sei und der Schlichterspruch „Licht und Schatten“ beinhalte.

Die Reaktionen in den EVG-Chatgruppen waren ablehnend. Das umso mehr, als dann auch noch weitere Details über den 140-seitigen Schlichtungsspruch bekannt wurden. Kritik entzündete sich beispielsweise daran, dass das Lebensjahr für die Teilzeit im Alter für Schichtarbeiter von 60 auf 61 Jahre heraufgesetzt wird, Prämienzahlung für das Langzeitkonto abgeschafft werden oder einer Laufzeit zugestimmt wird, die selbst über den internen Richtlinien der Gewerkschaft liegt. Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund der Inflationsentwicklung eine Reallohnsenkung im Ergebnis befürchtet wird.

Die EVG geht nun mit dem Schlichtungsergebnis in die Urabstimmung und lässt die Mitglieder entscheiden, ob sie bereit sind, dieses abzulehnen und in einen unbefristeten Streik einzutreten. Der Gewerkschaft bleiben nur ganze zwei Wochen, um bis zum Beginn der Urabstimmung ihre Mitglieder davon zu überzeugen, dass nicht mehr „drin“ war. Stimmen 75 Prozent für einen Streik und damit gegen den Schlichterspruch, dann sind nach den Sommerferien Arbeitskämpfe zu erwarten.

Das Kernproblem dieses Abschlusses ist aber aufgrund des komplexen Tarifwerkes bei der DB AG ein ganz anderes, was sich bisher nur aus einigen Aussagen in den Veröffentlichungen herauslesen lässt. Die EVG selbst spricht davon, dass etwa 70.000 abstimmungsberechtigte Mitglieder von einem Tarifabschluss überdurchschnittlich profitieren würden. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass ein großer Teil das Nachsehen hätte. Das wird von vielen als Spaltung bezeichnet, die der von der EVG beschworenen Solidarität und Gemeinsamkeit zuwiderlaufe. Hintergrund ist, dass der verstärkte Einsatz für die unteren Lohngruppen, die Aufhebung von regionalen Unterschieden in den Tarifverträgen und die stärkere Berücksichtigung von einzelnen Berufsgruppen zu einer Verschiebung im Lohngefüge führt. In der Folge liegt die Spannbreite des Abschlusses von knapp über 5 Prozent bis zu 30 Prozent Tabellenlohnerhöhung – auf zwei Jahre gerechnet. Für einen Teil würde dies also einen sehr herben Reallohnverlust bedeuten.

Da hilft es auch nicht, dass die Gewerkschaftsführung nun die Solidarität mit den Schwächeren beschwört. Argumentiert wird vor allem damit, dass die Grenzen des Machbaren erreicht worden wären und dies auch durch den weiteren Arbeitskampf nicht geändert werden könne. Letzteres bleibt eine Spekulation, denn der letzte Arbeitskampf mit Streikmaßnahmen nach einer Urabstimmung, der EVG beziehungsweise ihrer Vorläufer liegt über drei Jahrzehnte zurück. Die Mitglieder können ihre Gewerkschaftsführung aber in der Urabstimmung überstimmen. Wer kämpft, kann gewinnen. Wer nicht kämpft, hat schon verloren!

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"Schlicht nicht genug", UZ vom 4. August 2023



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