Die Gewerkschaft ver.di steht in der laufenden Tarifrunde für die abhängig Beschäftigten der Bundesländer in einer beinharten Auseinandersetzung. Für ihre fast zwei Millionen Mitglieder produziert die Gewerkschaftsführung acht Mal im Jahr die Mitgliederzeitung „publik“, dazu 18 Mal im Jahr die „verdi news – Informationen für Aktive“. Darin hieß es zur Begründung der laufenden Streikaktionen am 13. November: „Nicht einmal die Preissteigerung will die TdL ausgleichen. Die Arbeitgeber haben dazu eine verquere Vorstellung und ihre ganz eigenen Daten zur Preisentwicklung. Diese sei aus ihrer Sicht gar nicht so hoch, wie alle Wirtschaftsinstitute übereinstimmend sagen. Deshalb müsste das bei der Lohnerhöhung auch nicht berücksichtigt werden.“
Mit der aktuellen „publik“ flatterte den Mitgliedern fast zeitgleich ein vierspaltiges Interview mit dem Wissenschaftlichen Direktor am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung (HBS), Sebastian Dullen, ins Haus. Unter der Überschrift „Keine Panik schieben“ heißt es dort: „Wir gehen davon aus, dass die Inflationsrate bereits im Januar wieder sehr deutlich zurückgehen wird.“ Angesprochen auf die besondere Belastungssituation für Haushalte mit geringeren Einkommen meint Dullen: „Die Frage ist, wie anhaltend das bleibt. Wir haben bei einigen dieser alltäglichen Produkte jetzt die Preissteigerung aus den verschiedensten Gründen, wie gestörte Lieferketten und eine durch Corona gestörte Produktion. Da kann man davon ausgehen, dass sich das alles nach und nach normalisiert und dann auch diese Preise nicht unbedingt so hoch bleiben, wie sie jetzt sind.“ Er bekämpft sogar den Begriff „Inflation“, denn: „Wir differenzieren immer zwischen einmaligen Preisanstiegen oder Preisschocks und Inflation. (…) Zur Zeit würde ich sagen: Das allermeiste, was wir sehen, sind noch Preisschübe, also noch kein anhaltender Prozess.“
Solche Äußerungen sind ein Schlag in die Kniekehlen der Streikenden. Was ver.di geritten hat, diese abseits der etablierten Wissenschaft liegende Einzelmeinung prominent in ihrem Mitgliedermagazin zu platzieren, entzieht sich unserer Kenntnis. Auf jeden Fall wäre sie gut beraten, im Januar beim IMK nachzufragen, wo die prognostizierten Preissenkungen bleiben – und die Nützlichkeit dieses Instituts auf die Tagesordnung zu setzen, wenn sie ausgeblieben sind.