Ideologische Verwandtschaft und imperialistischer Interessenkonflikt am Beispiel Deutschlands und Italiens

Schlacht um Österreich

Von Gerhard Feldbauer

Ein aktuelles Beispiel für Interessengegensätze zwischen den imperialistischen Mächten sind die Sanktionen und Provokationen der USA gegen den Iran, die auf Widerspruch in der EU stoßen. Es geht um Herrschaftsansprüche, Einflusssphären, Rohstoffressourcen. Unter diesen Gesichtspunkten bietet sich an, den Interessenkonflikt zwischen Hitlerdeutschland und Mussolini-Italien vor 85 Jahren zu betrachten.

Die Wiener SS-Standarte ermordete am 25. Juli 1934 den österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Dieser Putschversuch sollte den Vorwand zum Einmarsch der Hitlerwehrmacht schaffen. Mussolini sicherte Österreich Unterstützung zu und schickte vier Divisionen an die Brennergrenze.

Die italienische Presse machte Berlin für den Mord verantwortlich und sprach von einer „Clique von Mördern und Päderasten“. Der Botschafter in Rom, von Hassel, berichtete, dass „die Atmosphäre so gefährlich sei wie bei Ausbruch des Kriegs 1914/15“. Am 28. Juli war der Putsch dann überall zusammengebrochen. In Wien hatte Justizminister Kurt Schuschnigg die Amtsgeschäfte übernommen. Der Anführer des Putsches Fridolin Glass konnte fliehen. 13 Putschisten wurden von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Mussolini und Hitler in Berlin im September 1937

Mussolini und Hitler in Berlin im September 1937

( Ladislav Luppa / Wikimedia Commons / Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Mussolinis Vorreiterrolle

Mussolini fühlte sich als der unbestrittene „Führer des Faschismus“ über Italien hinaus. Sein Machtantritt war beispielgebend für die Diktaturen in Ungarn, Bulgarien und Portugal. Auch zur Formierung des deutschen Faschismus wurden die italienischen Erfahrungen gründlich genutzt. Das zeigte sich im direkten Einfluss der „Führerpersönlichkeit“ Mussolinis auf Hitler, im Entstehen der Strukturen seiner Bewegung und ihrer Kampfmethoden, besonders der sozialen Demagogie und des Terrors. Hitler nannte seine SA wörtlich nach den von Mussolini geschaffenen Squadre d‘Azione (Sturmabteilungen). Er übernahm den von Mussolini erfundenen Führertitel „Duce“ und den „römischen Gruß“, den erhobenen rechten Arm. Ein Unterschied bestand in der Farbe der Uniform, in Italien schwarz, bei den deutschen braun. „Das Braunhemd“, so räumte Hitler in seinen „Monologen im Führerhauptquartier“ ein, „wäre vielleicht nicht entstanden ohne das Schwarzhemd“. Nach dem erfolgreichen „Marsch auf Rom“ begannen dann Ruhrschwerindustrielle um Thyssen und Stinnes, Hitler und Ludendorff finanziell kräftig zu unterstützen. Die Mehrheit der deutschen Kapitalkreise folgte in den kommenden Jahren diesem Beispiel. Sie sah ihre Interessen besser vertreten durch eine bürgerliche Partei faschistischen Typs und wendeten sich ab vom Versuch, die Monarchie wieder zu errichten.

Widerstreitende Interessen

Trotz der ideologischen Verwandtschaft zeigten sich mit der Machtübertragung an Hitler die widerstreitenden Interessen des Monopolkapitals als Erstes in der Österreichfrage. Der von Berlin angestrebte „Anschluss“ beunruhigte Rom, das um seine Kriegsbeute aus dem Ersten Weltkrieg, Südtirol, fürchtete. Außerdem lag von Wien aus der Balkan in greifbarer Nähe, eine Einflusssphäre, die Italien für sich beanspruchte.

Die Stresa-Front

Paris und London versuchten, die Interessengegensätze zu nutzen, um Mussolini in ein Bündnis gegen Hitler einzubeziehen. Im norditalienischen Stressa vereinbarten die drei Staaten im April 1935, die Ostgrenzen Frankreichs und Belgiens sowie die Unabhängigkeit Österreichs zu garantieren. Ein Geheimabkommen über ihre Zusammenarbeit im Falle einer deutschen Invasion in Österreich folgte. Die Kolonialpolitik wurde zwischen den Dreien abgestimmt. Mussolini sicherte zu, die imperialistischen Interessen von Frankreich und Großbritannien nicht zu durchkreuzen und bekam dafür freie Hand zur Unterwerfung von Äthiopien (damals Abessinien).

Mussolinis Weltherrschaftspläne

Zum 10. Jahrestag des Marsches auf Rom erklärte Mussolini: „In dieser düsteren, verstörten und schon wankenden Welt kann das Heil nur von den in Rom verkündeten Wahrheiten kommen und wird auch von Rom kommen.“ Später: „Eines Tages, wenn wir die Zeit für gekommen halten, werden wir über die Alpen gehen und den Ozean überqueren.“ Die italienischen Monopolkapitalisten fürchteten die deutsche Konkurrenz bei ihren Weltmachtplänen.

Während Hitlerdeutschland sich auf einen neuen Waffengang zur Eroberung der Weltherrschaft vorbereitete, schritt Mussolini am 3. Oktober 1935 zur Eroberung Äthiopiens. Faktisch begann mit dieser Aggression der Zweite Weltkrieg. IKP-Generalsekretär Palmiro Togliatti sprach auf dem VII. Weltkongress der Komintern vom „Hineinschlittern in einen neuen Weltkrieg“.

Oberösterreich: motorisierte Truppen auf der Fahrt zwischen Schärding und Passau am 13. 3. 1938

Oberösterreich: motorisierte Truppen auf der Fahrt zwischen Schärding und Passau am 13. 3. 1938

( Bundesarchiv, Bild 137-049270 / Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE)

Deutsche Waffen für den Negus

Der von Paris und London beherrschte Völkerbund verurteilte Italien am 7. Oktober 1935 als Aggressor, verhängte aber vier Tage darauf nur weitgehend wirkungslose Sanktionen. Die französischen und britischen Interessen wurden ja nicht beeinträchtigt.

Hitlerdeutschland, erklärte sich formell neutral und verweigerte Zwangsmaßnahmen. Berlin interpretierte die italienische Aggression als einen „Rassenkonflikt“ und „gerechten Kampf“. Offiziell wurde Italien versichert, dass „die Reichsregierung weder Waffenlieferungen an den Negus noch die Anwerbung deutscher Freiwilliger für Abessinien zulassen würde“.

Das Heereswaffenamt versorgte Addis Abeba aber schon im Juli 1935 mit Waffen, Munition und Medikamenten im Wert von drei Millionen Reichsmark. Der Historiker Bruno Mantelli schrieb: „Je schwieriger es für Italien wurde, seine Eroberungsträume zu verwirklichen, umso notwendiger wurde es, sich auf Deutschland zu stützen.“ Nach dem anfänglichen Scheitern der italienischen Offensive, kam es zu einem Meinungsumschwung in Berlin. Die Interessengegensätze zwischen deutschem und italienischem Monopolkapital traten in den Hintergrund. Nach Botschafter von Hassel habe Hitler geäußert, dass ein Zusammenbruch des Faschismus in Italien „im höchsten Grade unerwünscht“ sei und alles getan werden müsse, „um zu vermeiden, dass sich die mannigfache Gegnerschaft der Welt gegen das autoritäre Regierungssystem auf uns als einzigen Gegenstand konzentriere“. Es läge „auch in unserem Interesse, dass Italien als Faktor im europäischen Spiel nicht allzu sehr geschwächt würde. Eine Zeitlang hätte man vielleicht, besonders nach den bekannten Demonstrationen Mussolinis am Brenner, von uns durchaus wünschen können, dass Italien nicht allzu groß und erfolgreich aus dem Konflikt hervorgehe, indessen sei diese Gefahr wohl heute nicht mehr in sehr hohem Grade vorhanden (Mussolini hatte über den äthiopischen Stellungen 350 Tonnen des Giftgases Yprit abwerfen lassen). Vielmehr sei umgekehrt zu befürchten, dass der Faschismus und überhaupt Italien aus der Prüfung zertrümmert und schwer beschädigt hervorginge. Wir könnten daher deutscherseits nur das Bestreben haben, unsererseits das Mögliche zu tun, um einen solchen Zusammenbruch zu verhindern.“

Noch während die Eroberung Äthiopiens im Gange war, ergriff Mussolini die Initiative zur Normalisierung der Beziehungen. Am 6. Januar 1936 schlug er Hitler vor, „die italienisch-deutschen Beziehungen von der österreichischen Hypothek zu befreien“. Damit hatten sich in der faschistischen Partei jene Kräfte durchgesetzt, die – nicht zuletzt angesichts der Entwicklung in Spanien – für ein enges Bündnis von Berlin und Rom eintraten. Ihr Exponent war der Schwiegersohn des „Duce“, Graf Galeazzo Ciano, ein Interessenvertreter der Finanzoligarchie, der am 11. Juni 1936 das Außenministerium übernahm, das bis dahin Mussolini selbst innehatte. Am 25. Oktober 1936 bildeten beide Regimes die Achse Berlin-Rom. Am 6. November 1937 trat Italien dem Antikominternpakt bei. Das war gleichzeitig das Ende der Stresa-Front.

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"Schlacht um Österreich", UZ vom 19. Juli 2019



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