Das Gejammer der Manager war groß, als im Zuge der Coronavirus-Pandemie viele Geschäfte schließen mussten. Der Verband der Einzelhandelsunternehmer, der HDE, warnte vor Zehntausenden Insolvenzen und verödenden Innenstädten. Die Pleitewelle ist in dieser Form nicht eingetreten, auch dank der Milliardenhilfen des Staates – und weil die wenigsten Einzelhandelsketten immer noch rein stationär mit Ladengeschäften agieren. Praktisch alle haben längst ihre Vertriebswege im Internet.
Auf der Strecke bleiben eher kleine Fachgeschäfte, die oft noch von ihren Inhabern geführt werden. Für die Boutique an der Ecke, den Buchladen oder das Geschäft der Floristin ist der Kraftakt nicht mehr zu stemmen. Die Pandemie war für sie aber meist nur der letzte Schlag, denn seit Jahren werden sie von den großen Ketten aus den Stadtzentren verdrängt, die sich auch hohe Mieten leisten können. Es ist Teil ihres Geschäftsmodells, durch allgegenwärtige Präsenz Kunden zu binden und Konkurrenten zu verdrängen. So haben sich inzwischen die Zentren vieler Städte bis zum Verwechseln angeglichen: Immer dieselben Starbucks, McDonald’s, Modeketten und Parfümeriegeschäfte reihen sich aneinander – und daneben in zunehmendem Maße Leerstände.
Doch auch die bekannten Marken ziehen sich aus den Innenstädten zurück. Modeketten wie C&A, Esprit oder Zara setzen immer stärker auf das Online-Geschäft, die Läden sollen am besten nur noch als Schaufenster dienen. Beschäftigte berichten, dass sie angehalten sind, Kunden im Laden zu empfehlen, die gewünschte Ware im Internet zu bestellen, selbst wenn sie das nachgefragte T-Shirt im Lager haben.
Zudem orientieren sich die Textilhändler auch örtlich um. Ein Geschäft in einem großen Einkaufszentrum erscheint ihnen attraktiver als der lange etablierte Laden in der Hauptstraße. Teilweise ist das auch eine Reaktion auf die Situation in den Innenstädten: Wenn die Läden um eine Filiale herum leer stehen, ist das kein attraktives Umfeld, zumal weniger Menschen zum Einkaufen in die Stadt kommen. Gleichzeitig versuchen Immobilienkonzerne, die Leerstände durch steigende Mieten für die verbliebenen Geschäfte auszugleichen – und heizen damit die Spirale immer weiter an. Dagegen werden die bekannten Ketten in den glitzernden Shopping-Malls mit offenen Armen empfangen, denn sie ziehen Kundschaft in die Zentren und die brauchen die Betreiber der Konsumtempel. Sie kommen den großen Unternehmen bei der Miete gerne mal entgegen – zu Lasten der kleineren Anbieter, die das klammheimlich mitbezahlen müssen.
Auf der Strecke bleiben nicht nur die Innenstädte, sondern auch und besonders die Beschäftigten. So versuchte die schwedische Modekette H&M im vergangenen Jahr, Angestellte über ein „Freiwilligenprogramm“ aus dem Unternehmen zu drängen. Abgesehen hatten es die Manager insbesondere auf Mütter und Behinderte, die als nicht „flexibel“ genug galten, um die Profitziele des Unternehmens zu erreichen. Wer sich nicht auf das „Angebot“ der Geschäftsleitung einlassen wollte, dem wurde mit betriebsbedingter Kündigung gedroht.
Etwas „eleganter“ geht es bei Zara zu. Die Kette, deren spanischer Mutterkonzern Inditex inzwischen zu den größten Textilunternehmen der Welt gehört, schließt in mehreren deutschen Städten Filialen, um an anderer Stelle neue zu eröffnen. Was wie ein Umzug aussieht, ist in den Augen des Managements eine Gelegenheit, unbequeme Kolleginnen und Kollegen und gerne auch ihre Betriebsräte loszuwerden. Die Beschäftigten erhalten die Kündigung, dürfen sich aber auf eine Neuanstellung bewerben. Eine Zusage, dass sie in den neuen Geschäften angestellt werden, verweigert das Unternehmen. Vielmehr wird davon gesprochen, dass sie in andere Filialen irgendwo in Deutschland gesteckt werden könnten. Für Eltern mit Kindern ist das keine Option. Die Gewerkschaft ver.di hat die Beschäftigten deshalb zu Protesten aufgerufen.
Bei Esprit wurde im vergangenen Jahr sogar die Schließung von fast der Hälfte aller Filialen bundesweit angekündigt, mehr als 1.000 Kolleginnen und Kollegen droht die Kündigung. Die Beschäftigten gaben jedoch nicht klein bei und wehren sich. Gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft fordern sie einen Tarifvertrag und klare Perspektiven. Inzwischen haben sie offenbar einen Anerkennungstarifvertrag erkämpfen können.