Zum Tage der Pressefreiheit und Julian Assange

Schande des Westens

Der Journalist und Wikileaks-Gründer Julian Assange hat Kriegsverbrechen, Folter und andere Vergehen enthüllt – nicht Russlands, sondern der USA. Deshalb bekommt er keine hochdotierten politischen Preise, sondern zahlt einen unermesslich hohen persönlichen Preis. Seit nunmehr elf Jahren wird Assange seiner Freiheit beraubt. Er wird politisch verfolgt, diffamiert und verleumdet, gejagt, eingesperrt und in Isolationshaft im britischen Guantánamo, im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, seit über drei Jahren gesundheitlich zugrunde gerichtet. Es ist eine Hinrichtung auf Raten. Mit der Entscheidung des Westminster Magistrates Court vom 20. April, der formellen Genehmigung der Auslieferung an die USA, rückt diese näher. In den USA drohen Assange 175 Jahre Gefängnis.

Mit dem Welttag der Pressefreiheit am 3. Mai wird auf Initiative der UNO an Willkür und Gewaltmaßnahmen gegen Journalisten erinnert. Man kann an fünf Fingern abzählen, dass an dem Tag auch die Ampel-Regierung die Freiheit des Wortes und der Presse beschwören wird. Allein, es ist wenig glaubwürdig und zeugt von unerträglicher Doppelmoral angesichts des dröhnenden Schweigens im Fall der politischen Verfolgung und Vernichtung von Julian Assange. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock lässt den Dissidenten des Westens in seiner Zelle unter folterähnlichen Bedingungen eiskalt verrotten, statt in London im Zuge ihrer sogenannten menschenrechtsbasierten Außenpolitik auf die umgehende und bedingungslose Freilassung des Journalisten zu pochen. Nicht wer Kriegsverbrechen enthüllt, gehört ins Gefängnis, sondern wer sie befiehlt und begeht. Das gilt auch für US-Präsidenten und ihre Soldaten.

Es ist eine Schande, wenn ein Kriegsverbrechen, das mit der Bordkamera eines US-Kampfhubschraubers eindeutig belegt und von Wikileaks im Video „Collateral Murder“ weltweit bekannt wurde, ungesühnt bleibt. Und wenn im Gegenteil diejenigen, die es veröffentlichten, lebendig begraben werden sollen. Wem Pressefreiheit und Menschenrechte etwas wert sind, muss auch auf die Freilassung von Julian Assange pochen und sich der US-Rache widersetzen oder für immer schweigen.

Unsere Autorin ist Mitglied des Deutschen Bundestages für „Die Linke“ und Obfrau im Auswärtigen Ausschuss.

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"Schande des Westens", UZ vom 29. April 2022



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