Tsipras am Krankenbett – Proteste der Schüler und Bauern in Griechenland

Schäuble mit der Peitsche

Von Uwe Koopmann

Die Temperaturen in Griechenland sind deutlich höher als die, die das Thermometer in Athen anzeigt. Und sie sind zudem deutlich höher als die, die in und vor der Wilhelmstraße 97, dem Schäuble-Dienstsitz in Berlin, gemessen werden. Die Temperaturen in Griechenland sind weniger von der Sonne als von neuen Klassenauseinandersetzungen beeinflusst.

Vor zehn Tagen zogen Schülerinnen und Schüler aus Athen und Piräus durch die Landeshauptstadt. Ihr Protest galt den politischen und sozialen Bedingungen des Schulbetriebs, der katastrophal ist. Nach Abschluss der Schullaufbahn müssen die Jungen und Mädchen zentrale Prüfungen ablegen, auf die sie von der Schule nur völlig unzureichend vorbereitet werden. Nachhilfeunterricht soll die Lücken schließen, die die Schule offen gelassen hat. Auf diese Weise garantiert die Regierung, dass Wissensvermittlung privatisiert und der Profitmaximierung unterworfen wird.

Die Wissensdefizite liegen nicht an der vermeintlichen Unfähigkeit des Lehrpersonals, das ebenfalls den „Klassenregeln“ unterworfen ist. Sie werden vom Staat schlecht bezahlt und haben besondere Regeln für die Ferien. Viele haben keinen festen Arbeitsplatz, müssen sich zum Schuljahr neu bewerben und werden dann in einer Schule eingesetzt, die ein paar Hundert Kilometer entfernt liegen kann. Zwischen Ferienbeginn und Ferienende müssen sich viele in den Küchen oder als Kellner in den Touristenhochburgen verdingen.

Die zumeist kleinen Bauern in Griechenland könnten mit ihren Heugabeln, wenn sie denn noch welche haben, einen Krieg an zwei Fronten führen: Gegen die eigene Regierung in Athen und gleichzeitig gegen „Brüssel“. Dort werden aus vielen kleinen Bauern wenige große gemacht. Die kleinen müssen ihr Land verlassen und ziehen nach Athen in der trügerischen Hoffnung, dort Arbeit zu finden. Viele scheitern, rudern zurück und versuchen, als Selbstversorger zu überleben. Gleichzeitig wachsen die Großen. Yannis Boutaris, Millionär und vielleicht bekanntester Winzer Griechenlands, gehört dazu. Als Oberbürgermeister von Thessaloniki weiß er, wie Interessen durchgesetzt werden können. Aber nicht für alle und nicht überall. Den größten Flughafen im Norden Griechenlands, den von Thessaloniki, „regiert“ er nicht. Gesteuert durch Schäubles EU hat ihn Fraport aus Frankfurt für 40 Jahre zur Ausbeutung bekommen.

Zu dem vielfachen kleinen Elend kommen die großen Schlagzeilen. Auch der DGB entdeckte, dass Bundesfinanzminister Schäuble wieder von einem Euro-Austritt Griechenlands schwa­droniert. Im Juni werde neues Geld aus dem dritten Hilfspaket benötigt, weil im Juli Verbindlichkeiten von gut 7 Milliarden Euro fällig werden.

Der DGB-Pressedienst: „Über die Bedingungen für die Auszahlung der neuen Tranche herrscht seit langem Zwist zwischen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und den europäischen Institutionen. Hauptstreitpunkt: Die Europäer fordern von Griechenland für 2018 einen Primär­überschuss – einen Haushaltsüberschuss vor Zins- und Tilgungszahlungen – in Höhe von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das würde abstruse staatliche Ausgabenkürzungen notwendig machen und ist praktisch unmöglich. So sieht es auch der IWF und verlangt von den Europäern realistischere Ziele und einen Schuldenschnitt für Griechenland, wenn er weiter zu den Hilfskrediten beitragen soll.“

Berlin möchte den IWF im Boot – aber keinen Schuldenschnitt, den der IWF fordert. Aktuelle Situation: Schulden steigen, Sparen hilft nicht, macht noch ärmer. Schäuble möchte die Leute noch mehr durch Rentensenkung und Steuererhöhung auspressen und nennt das bekanntlich „Reformpolitik“. 3,6 Milliarden Euro sollen aus der Presse an die Geldgeber abfließen.

CSU-Mann Markus Söder warnt im Münchner Merkur vor „falschen Kompromissen“. Schuldenerlass ist für ihn ein „No-Go“. Stattdessen solle Athen Geld, Gold und Immobilien hinterlegen. Am Ende könne der Rauswurf aus der Euro-Zone folgen.

Zwei Jahre regiert die Syriza/Anel-Regierung nun. Die Hoffnung vieler Griechen, dass es mit dem Wechsel der Parteien und Personen wie dem Ministerpräsidenten Alexis Tsipras zu einer Besserung gerade für die „kleinen Leute“ komme, erfüllten sich nicht. Das Wirtschaftswachstum lag im Jahre 2016 bei 0,3 Prozent, die Arbeitslosigkeit immer noch bei mehr als 20 Prozent, die Staatsverschuldung bei 179,7 Prozent der Wirtschaftsleistung.

2060 wird die Schuldenquote nach Angaben des IWF auf fast 300 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen sein. In der „Zeit“ wurde ausgerechnet, dass die Griechen jetzt „fast zwei Jahre umsonst arbeiten“ müssten, wenn sie alle Schulden zurückzahlen wollten. Die griechischen Arbeiter und Bauern aber haben gar keine Schuldscheine bei Schäuble unterschrieben. So bleibt Tsipras bei seiner Forderung nach Schuldenschnitt, ohne die Couponschneider anzutasten.

Die EU, der IWF, die EZB, der „Rettungsfonds“ ESM – und vor allem Herr Schäuble aus der Wilhelmstraße regieren weiterhin in Athen. So wurde aus der Troika die Quadriga. Die thront symbolisch bekanntlich auf dem Brandenburger Tor.

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"Schäuble mit der Peitsche", UZ vom 24. Februar 2017



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