Ganz nebenbei hat Finanzminister Wolfgang Schäuble beim Treffen der G-20-Finanzmister das Projekt der Finanztransaktionssteuer beerdigt. „Es muss global gemacht werden“, wird Schäuble in den deutschen Zeitungen zitiert. Auf europäischer Ebene scheue sich jedes Land, weil es Kapitalflucht fürchte. Die Finanzminister und Notenbanker der, wie es so nett heißt, „führenden Industrie- und Schwellenländer“ hatten sich in Tschengdu, der Hauptstadt der chinesischen Provinz Setschuan getroffen und, wie im Kommuniqué dann verkündet wurde, „über eine faire und sozial ausgewogene Steuerpolitik sowie nachhaltiges Wachstum“ diskutiert. Da habe sein Vorschlag, die Finanztransaktionssteuer als globales Projekt zu betreiben, „wunderbar in die Diskussion gepasst“, sagte Schäuble. Alle seien sich einig, dass es richtig wäre, eine Besteuerung der Finanzgeschäfte auf globaler Ebene einzuführen.
Mit dieser netten Finte des Finanzministers hat sich das politische Geschachere um die Einführung einer solchen Steuer einmal voll im Kreis gedreht. Das Projekt einer solchen Steuer ist alt. Es stammt vom Nobelpreisträger James Tobin, weshalb sie gelegentlich auch „Tobin-Steuer“ genannt wird. Der Zweck der Steuer wird am einfachsten mit dem Slogan ‚Sand ins Getriebe‘ der Spekulation beschrieben. Gedacht ist dabei an eine Umsatzsteuer, die bei Kauf/Verkauf eines Wertpapiers oder Finanzprodukts fällig wird. Die Steuer soll nicht prohibitiv wirken, nicht davon abschrecken, überhaupt eine Anlageentscheidung zu treffen, sondern die Spekulation auf kurzfristigen Gewinn und häufigen Kauf und Verkauf von Wertpapieren weniger lohnend machen. In vielen Ländern gibt es eine Börsenumsatzsteuer, die beim Kauf von Aktien fällig wird. Die Börsenumsatzsteuer wurde in Deutschland von der Regierung Kohl abgeschafft. In Britannien wird eine solche Steuer, ‚Stamp Duty‘ genannt, noch heute erhoben.
Die Asienkrise 1998 ließ die Forderung nach einer Transaktionssteuer populärer werden. Die internationale Bürgerinitiative Attac setzte die Forderung ganz oben auf ihre Prioritätenliste. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2007/08 wurde die Forderung fast populär. Das Hauptargument dagegen war auf Seiten der deutschen und anderer EU-Regierungen, dass die Steuer nur sinnvoll sei, wenn sie global erhoben werde. Richtig daran ist, dass die Steuer eine viel effektivere Bremswirkung auf den Finanzmarkt hätte, wenn sie global erhoben würde. Da die britische und die US-Regierung aber keine Neigung zeigten, bei der Steuer mitzumachen, hatte der Verweis auf die eigentlich nötige Globalität schon damals den Charakter einer Ausrede.
Unmittelbar nach der Finanzkrise propagierte die Linke das Konzept einmütig, und auch die Grünen machten es sich zu eigen. Die EU-Kommission schwenkte 2011 ins Lager der Steuerbefürworter. Die SPD wandelte sich in der Opposition und im Anlauf auf die Bundestagswahl 2013 (gegen den Widerstand ihres Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück) zur Anhängerin der Finanztransaktionssteuer. Union und SPD nahmen anschließend die Forderung nach einer Transaktionssteuer auf EU-Ebene in den Koalitionsvertrag auf. In der EU stieß der Vorschlag auf erbitterte Opposition vor allem in London. So wurde die Steuer zum Projekt von willigen Staaten, was nach EU-Regeln möglich ist, solange mindestens neun es sich zu eigen machen. Ende 2015 soll es auf einer Ecofin-Tagung eine Grundsatzeinigung von gerade neun Staaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Österreich, Portugal, Slowenien, Slowakei, Spanien) gegeben haben.
Danach soll die Steuer auf Aktien, Anleihen und Derivate erhoben werden, nicht aber auf Staatsanleihen. Auch der Steuersatz blieb offen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat vor einigen Jahren kalkuliert, dass bei einem Steuersatz von einem Promille auf den Kaufbetrag in Deutschland allein 44 Mrd. Euro anfallen könnten.
Schäubles jetzt wiederentdeckte Globalität der Finanzsteuer hat vermutlich auch etwas mit dem Austrittsbeschluss der Briten aus der EU zu tun. Eine EU-weite Einführung war bisher am Hauptgegner Britannien gescheitert. Nun könnte man sie, wenn man wollte, locker in der EU verbindlich einführen. Wenn nur eine globale Steuer sinnvoll ist, bleibt der britische Widerstand in voller Schönheit relevant, was ganz im Sinne der deutschen Finanzakteure und ihrer, ihr jederzeit gefälligen Regierung ist.