Da ist sie wieder: Die Keule mit dem Schadenersatz: „Ein Streik, dessen Kampfziel auf die Durchsetzung von Forderungen gerichtet ist, welche die in einem Tarifvertrag vereinbarte Friedenspflicht verletzen, ist rechtswidrig. Er verpflichtet bei schuldhaftem Handeln zum Ersatz der dem Kampfgegner entstandenen Schäden.“
So urteilte das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 26.7.2016, Az.: 1 AZR 160/14, in dem Rechtsstreit der Frankfurter Flughafengesellschaft gegen die Gewerkschaft der Flugsicherung GdF. Über die Höhe des Schadenersatzes soll nun das Hessische Landesarbeitsgericht entscheiden. Dasselbe Gericht hatte zuvor einen Schadensersatzanspruch verneint. Gefordert werden 5,2 Mio Euro wegen angeblicher Einnahmeverluste von Fraport.
Während die Rechtsprechung einerseits die Rechtsprechung zur Zulässigkeit gewerkschaftlicher Streiks im Laufe der Jahre nicht zuletzt als Reaktion auf die zunehmende Nutzung dieses Kampfmittels etwa bei Warnstreiks, Solidaritätsstreiks und Flash-Mob-Aktionen gelockert hatte, nutzt sie nun als „Reservekeule“ das in anderen westeuropäischen Ländern völlig unbekannte Mittel des Schadenersatzes, um die Handlungsfreiheit der Gewerkschaften gegenüber den Unternehmen erneut massiv zu beschneiden.
Bemerkenswert ist daran, vor welchem konkreten Hintergrund dies geschieht: Die GdF hatte nicht etwa eigene Forderungen zum Gegenstand des Streiks gemacht sondern die Empfehlungen eines unabhängigen Schlichters. Dieser hatte dabei auch Nebenforderungen mit einbezogen, für die wegen einer Teilkündigung des Tarifvertrages noch formal die Friedenspflicht galt. Was hätte die GdF tun sollen? Nicht mehr das Gesamtpaket der Verhandlungen zum Verhandlungsgegenstand machen? Auch wenn es sich bei den Nebenforderungen nicht um zentrale Punkte handelte, so waren sie Teil des Gesamtpakets,. Ihre willkürliche Abtrennung wäre lebensfremd gewesen und hätte zudem einen massiven Eingriff in die Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft bedeutet.
Doch das war noch nicht alles: Der völlig zu Recht erhobene Einwand der GdF, auch bei Verzicht auf diese Forderung wäre es zum Streik gekommen, und zwar mit denselben Folgen, wurde zurückgewiesen. Das – so das BAG – wäre dann ein „anderer Streik“ gewesen … Grundlage der Entscheidung war das in den 1950er Jahren von dem Alt-Nazi Hans Carl Nipperdey – dem ersten Präsidenten des BAG – entdeckte Prinzip des „Eingriffs in den eingerichteten Gewerbebetrieb“ bei einem Streik. Schon dieser Ansatz war und ist verfassungswidrig. Streiks sind keine rechtswidrigen Eingriffe in ein angebliches und nirgendwo fixiertes „Unternehmensrecht“. Streiks sind nach dem Grundgesetz „für jedermann und alle Berufe“ gewährleistet. Sie können schon begrifflich keinen „Eingriff“ in Unternehmensrechte darstellen.
Während das BAG einerseits immer wieder den angeblichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Streiks betont, scheint es bei der eigenen Rechtsprechung jede Verhältnismäßigkeit über Bord zu werfen: Wenn wegen einzelner Nebenforderungen der Streik gegen die Friedenspflicht verstoßen soll, der Streik aber auch ohne diese Forderungen durchgeführt worden wäre, ist es mehr als unverständlich, wenn dennoch der gesamte Streik rechtswidrig sein und Schadensersatzansprüche der Unternehmer auslösen soll. Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass solche Schadenersatzsummen, wie sie jetzt im Raume stehen, die Existenz einer Gewerkschaft nachhaltig bedrohen können. Allein das ist verfassungswidrig. Im Übrigen sei daran erinnert: Auch das BAG war schon mal weiter. Der unselige Satz aus der ersten Streik-Entscheidung von Nipperdey 1955 über Streiks, „die im allgemeinen unerwünscht sind, weil sie volkswirtschaftliche Schäden verursachen“, galt eigentlich als überwunden. Es scheint so, als marschiere das BAG jetzt wieder zurück in diese unselige Epoche und rücke das Phantom vom „Schaden“ der Unternehmen wieder in den Vordergrund, obwohl die Reduzierung des Profits der Unternehmen beim Streik zum Wesensmerkmal des Streiks gehört. Streiks, die nicht „weh“ tun, sind keine Streiks!
Es wird Zeit, die Verteidigung des Streikrechts wieder zu einem zentralen Thema zu machen. Praktisch, aber auch auf dem Wege der fachlichen Kritik an dieser Rechtsprechung.