Offener Brief an Ivan Rodionov, RT Deutsch

Schade

Lieber Ivan Rodionov,

von der „Tagesschau“ hatte ich nichts anderes erwartet. Die Hauptnachrichtensendung der ARD hatte am vergangenen Samstag nur zehn Minuten, da Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Durchhalteparolen unters coronamüde Volk bringen musste. Davon reservierte die Redaktion 90 Sekunden für die Querdenker-Demonstration in Stuttgart, 30 für die bundesweiten Ostermärsche, der Rest war Bundesliga.
Die Menschen in Stuttgart wurden davor gewarnt, am Samstag in die Stadt zu gehen, weil dort demonstriert werde. Dass es dabei einigen nicht um Masken ging, sondern darum, den NATO-Kriegstreibern in den Arm zu fallen, wurde nicht berichtet. Das entspricht der Redaktionslinie der großen Medienhäuser.

RT Deutsch, deren Chefredakteur Sie sind, berichtete den ganzen Tag live von den „Querdenkern“. Es ist gut, dass Sie versuchen, neutral über diese Bewegung zu berichten und dass Sie darauf aufmerksam machen, dass die Demonstrationen von den Herrschenden für weiteren Grundrechteabbau instrumentalisiert werden. Das unterscheidet sich erfreulich von den „Qualitätsmedien“. Es ist ja auch völlig richtig, gegen die katastrophale Pandemiepolitik der Bundesregierung zu protestieren. Dass aber der Ruf „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ ziemlich inhaltsleer ist, müsste auch Ihnen aufgefallen sein. Angegriffen wird die „Merkel-Diktatur“, während der Bewegung die dahinter stehenden Konzerninteressen verborgen bleiben. Beim Frieden geht es nicht über Freude und Eierkuchen hinaus.
Wenn es um die aggressive Politik der NATO-Staaten, die mörderische Sanktionspolitik der USA und die Kriegshetze gegen Russland und China geht, gehört RT DE zu den wenigen verlässlichen Medien in diesem Land. Der Redaktion müsste doch auffallen, dass hier von den „Querdenkern“ nichts kommt, dass sie vielmehr objektiv die Funktion erfüllen, vom Thema Frieden abzulenken. Ostern klappte das mal wieder hervorragend.

In vielen Städten demonstrierten tausende Menschen gegen Krieg und Aufrüstung, für Frieden mit Russland und China. Leider hat das selbst bei Ihnen keine Rolle gespielt. Dabei scheinen Sie nun wirklich kein Interesse zu haben, Kritik an der NATO-Kriegspolitik kleinzureden. Eine Live-Schaltung wäre sicher nicht nötig gewesen, aber einen Bericht wären die Ostermärsche schon wert gewesen. Was war passiert?

Die russische Medien-Gruppe „RT International“ ist wie die „Deutsche Welle“ staatlich finanziert. Seit 2014 bietet sie mit RT DE und Ivan Rodionov als Chefredakteur ein deutschsprachiges Programm online an. Bürgerliche Medien und staatliche Stellen werfen dem Sender russische Propaganda, die Verbreitung von Fehlinformationen und Verschwörungstheorien vor. Natürlich darf auch Antikommunismus nicht fehlen: Auf Wikipedia ist zu lesen, dass „andere Autoren aus einem Milieu irgendwo zwischen Deutsche Kommunistische Partei und Junge Welt“ kommen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.



UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
Unsere Zeit