Hartz-IV-Gesetze sind ein reines Herrschaftsprojekt

Sanktionen und kein Ende …

Von Mirko Düsterdieck

Wir befinden uns im elften Jahr der im Zuge der Agenda 2010 umgesetzten „Sozialreformen“ nach SGB II oder auch umgangssprachlich als Hartz IV bekannt. Aktuell sind weit über sechs Millionen Menschen in dieser BRD auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Hinzu kommen noch gut 900 000 Rentnerinnen und Rentner, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind.

Der Politologe und Armutsforscher Christoph Butterwegge bezeichnet in seinem Buch „Hartz IV und die Folgen …“ diese Hartz-IV-Gesetze als reines Herrschaftsprojekt. Und in der Tat ist Hartz IV nichts anderes als staatlich verordnete Armut und insofern eine bürokratische Verwaltung des Elends. Tagtäglich lässt man Menschen, die sich im SGB-II-Bezug befinden, spüren, dass sie auf der untersten gesellschaftlichen Sprosse der kapitalistischen Leiter stehen.

Hierzu gehören auch die erniedrigenden, willkürlichen und manchmal skurrilen Entscheidungen über Sanktionen im Hartz-IV-System, die von den hiesigen Jobcentern ausgesprochen werden. Dass diese Sanktionen sogar vielfach gegen einige Artikel im Grundgesetz verstoßen und darüber hinaus selbst mit den Paragraphen im 2. Sozialgesetzbuch (SGB II) nicht in Einklang zu bringen sind, stört die bürgerliche Politik in diesem Land wenig bis gar nicht. Im Zweifelsfall müssen sich dann die Sozialgerichte damit befassen, sofern ein Hartz-IV-Empfänger den Mut und die Kraft hat, sich dagegen zu wehren.

Entwürdigende Sanktionspolitik

Die Sanktionen sollen der Disziplinierung der Kunden bzw. Klienten – so der verwaltungstechnische Fachbegriff für Menschen im SGB-II-Bezug – dienen. Die Zahl der Sanktionen blieb mit einer Million im Jahr 2014 weiterhin stabil im Vergleich zu den Vorjahren.

sanktionen und kein ende 1 - Sanktionen und kein Ende … - Hartz IV, Soziale Kämpfe - Wirtschaft & Soziales

Aus der Sanktionsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit, kurz BA, geht hervor, dass 75 Prozent der Sanktionen auf Grund von diversen Meldeversäumnissen ausgesprochen wurden sind und lediglich zwölf Prozent wegen der Verweigerung einer Aufnahme und/oder Fortführung einer Arbeit und weiteren von Jobcentern angeordneten Maßnahmen. Was aber genau Meldeversäumnisse im Detail sind, darüber gibt es nach wie vor eine beliebige Auslegung der Jobcenter, die man auch empirisch in Bezug auf regionale Unterschiede feststellen kann. Ebenso müssen sich oftmals Fachanwälte und Sozialgerichte auf die Definition und Festlegung eines Ermessensspielraums in der Praxis verständigen. Als Meldeversäumnisse zählen u.a. eine nicht fristgerechte Abgabe einer Krankmeldung, eine Änderung der persönlichen Handynummer, verspätete Abgabe von Eingangs- bzw. Bestätigungsschreiben der Deutschen Rentenversicherung, Bekanntgabe und Rückmeldungen von Vorstellungsgesprächen und die telefonische Erreichbarkeit. Leider ist es im Hartz-IV-System gängige Praxis, dass die Beweispflicht, wie sie z. B. im Strafgesetzbuch besteht, ins Gegenteil verkehrt wird. Das bedeutet, dass nicht die Jobcenter den Nachweis eines tatsächlichen Verstoßes erbringen müssen, sondern die Menschen, die mit einer Sanktion belegt worden sind, den Nachweis, dass es zu keinem Verstoß der Meldepflicht kam.

In der Praxis nimmt das sogar entwürdigende Züge an, wie das Beispiel eines 56-jährigen Kasselers zeigt. Der Mann besitzt kein Handy, sondern lediglich einen normalen Festnetz-Anschluss. Auf Grund seiner angeschlagenen Gesundheit musste er sich abends kurzfristig in ein Krankenhaus in Kassel begeben. Dort blieb er dann für elf Tage stationär. Das Jobcenter versuchte ihn nach eigenen Angaben an den beiden Folgetagen der Krankenhauseinweisung mehrfach telefonisch zu erreichen. Da der Mann aber im Krankenhaus war und in dem Fall verständlicherweise andere Sachen im Kopf hatte, als das Jobcenter über seinen medizinischen Notfall zu benachrichtigen, staunte der Mann am Tag seiner Krankenhausentlassung nicht schlecht, als er in seinen Briefkasten schaute: Das Jobcenter Kassel sendete ihm via Verwaltungsakt eine Sanktion von 30 Prozent seines 399 Euro betragenen Regelsatzes zu. Einen Tag später ging der Mann mit der Aufenthaltsbescheinigung vom Krankenhaus zu dem örtlichen Jobcenter hin und legte mündlich Beschwerde bzw. Widerspruch ein. Die Fallmanagerin nahm diesen Widerspruch dann auch vor dem Hintergrund des Krankenhausaufenthaltes sofort an. Allerdings hatte das ganze einen Schönheitsfehler: Der Krankenhausaufenthalt des Mannes begann in der Mitte des Monats. Die nun erhobene Sanktion gegen ihn wurde dann Ende des Monats im internen Abrechnungssystem des Jobcenters gebucht. Das bedeutete, dass der Mann dann am Folgemonat mit 30 Prozent weniger Geld auskommen musste und der einbehaltene Betrag erst wieder mit der nächsten Monatsabrechnung retour ging. In der Zwischenzeit könne er ja zur Kasseler Tafel gehen, so die Aussage der zuständigen Mitarbeiterin beim Jobcenter.

Datenschutz wird ausgehebelt

Dass die beiden Jobcenter in Kassel es in der Vergangenheit auch nicht so genau mit der Intimität und dem Datenschutz nahmen, beweist ein Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts (BSG), welches sich auch in Kassel befindet. Bis 2013 mussten Bezieher von SGB-II-Leistungen alle sechs Monate eine sogenannte Mietbescheinigung bei den Jobcentern in Kassel abgeben. Rund 11 000 Haushalte waren damals von der rechtswidrigen Praxis betroffen. Wer der Abgabe nicht nach kam, riskierte eine Streichung der KDU (Kosten der Unterkunft) und damit in Konsequenz Mietschulden. Dem ganzen Treiben schob das BSG dann im Januar 2012 einen Riegel vor und entschied vor dem Hintergrund von Datenschutzrechten von Hartz-IV-Betroffenen: „Der Mieter darf nicht durch den Leistungsträger gezwungen werden, seinen Hartz-IV-Bezug gegenüber dem Vermieter zu offenbaren.“ (AZ: B14 AS 65/11)

Trotz dieses wichtigen und entsprechend bundesweit zur Kenntnis genommenen Urteils sahen sich die Verantwortlichen in den beiden Jobcentern in Kassel nicht genötigt, diesen Richterspruch des BSG in die Tat umzusetzen. Es dauerte dann noch etwas über ein Jahr, bis die Stadt Kassel endlich einlenkte und sich rechtskonform verhielt.

Hartes Vorgehen gegen junge Menschen

Die höchste Sanktionsquote weisen nach Angaben der BA Menschen unter 25 Jahren auf. Die Quote für diese Menschen betrug 4,6 Prozent im Vergleich zu 3,2 Prozent bei allen Erwerbsfähigen. Ebenso ist die Zahl der Vollsanktionierungen weiterhin konstant. Sie betrug im Jahr 2014 7 500 Bezieher von Hartz-IV-Leistungen. Davon sind 4 000 Menschen unter 25 Jahre alt!

Der gesamtgesellschaftliche Irrwitz von Sanktionen im Allgemeinen und von Sanktionen gegenüber jungen Menschen im Speziellen wird allein dadurch schon deutlich, dass es in einem kapitalistischen System keine Vollbeschäftigung gibt. Der DGB stellte jüngst in einem Schreiben an die Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“ fest, dass die überproportionalen Sanktionen gegenüber jungen Menschen „einen Verstoß gegen die allgemeinen Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)“ darstellen. Eine Studie des BA eigenen Institut für Arbeitsmarkt- u. Berufsforschung (IAB) zum Thema Sanktionen kommt zu einem noch härteren Fazit. Die Forscher aus Nürnberg schreiben: „Während das Jugendstrafrecht – auch aus pädagogischen Gründen – beansprucht milder zu sein als das Erwachsenenstrafrecht, ist dieses Prinzip im SGB II umgedreht. Dabei scheint Deutschland eine Sonderstellung einzunehmen; Großbritannien, Frankreich etwa kennt keine strikteren Sanktionen bei jüngeren.“

Das restriktive Vorgehen gegenüber ausbildungs- und arbeitslosen jungen Menschen verstößt nicht nur gegen den Artikel 1 GG, sondern verkennt auch völlig Ursache und Wirkung der traurigen und unzulänglichen Situation junger Menschen in Hartz IV. An dem was tatsächlich bundesweit gebraucht wird, nämlich einem dualen und verbindlichen System zwischen Jobcentern und Jugendämtern und/oder anderen Institutionen der Jugendhilfe, da die jungen Menschen zumeist schon aus schwierigen familiären und sozialen Verhältnissen kommen, mangelt es allenthalben in dieser BRD. Erforderlich sind endlich strukturelle Formen der Herangehensweise. Nicht nur die Sanktionen, sondern das gesamte Hartz-IV-System gehört abgeschafft. Überdies stellt die DKP die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich auf, um damit die Arbeit auch vom Grundsatz her gerechter zu verteilen.

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"Sanktionen und kein Ende …", UZ vom 17. Juli 2015



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