Sand ins Getriebe

Christoph Hentschel im Gespräch mit Patrik Köbele

Diskussionstribüne

zum Entwurf

des Leitantrags

Mit dem Abdruck dieses Interviews eröffnen wir die Debatte über den Leitantrags in der UZ.

Wir bitten darum, eure Diskussionsbeiträge ab sofort, aber spätestens bis zum 1. Dezember, der Redaktion zuzusenden, am besten per E-Mail an redaktion@unsere-zeit.de.

Die Beiträge dürfen die Länge von 5000 Zeichen nicht überschreiten. Damit die Debatte strukturiert dargestellt werden kann, sollten die Beiträge thematisch abgegrenzt sein, sich also konkret entweder mit einem der Abschnitte des Entwurfs (also allgemein den Rahmenbedingungen, den Kampffeldern oder den potentiellen Bündnispartnern) beschäftigen oder ein einzelnes der beschriebenen Kampffelder thematisieren.

Die in der UZ veröffentlichten Beiträge werden auch auf die Homepage der UZ (blog.unsere-zeit.de) gestellt, dort werden auch Beiträge erscheinen, die die Zeichenzahl für die UZ überschreiten.

Die Redaktion

UZ: Der Parteivorstand hat mit dem Leitantrag an den 23. Parteitag Kampffelder im Rahmen der antimonopolistischen Strategie zur Diskussion gestellt, in denen er Bruchpunkte mit der Offensive des Monopolkapitals für möglich hält. Welche Analyse liegt dem zugrunde?

Patrik Köbele: Wir gehen davon aus, dass die Situation weltweit, in der EU, aber auch in Deutschland labiler und krisenhafter wird. Der rasante Vertrauensverlust von CDU und SPD, die Umgruppierung zu den Grünen, auch die Herausbildung der AfD sind ein Ausdruck davon, auch, wenn diese Entwicklung bislang leider nicht nach links geht. Das wird mit ziemlicher Sicherheit zu einer größeren Aggressivität des Imperialismus nach innen und außen führen. Diese Labilität bringt aber auch Spielräume, um die jetzt noch durchgängige Offensive des Monopolkapitals zu durchkreuzen.

Das Durchkreuzen steht jetzt noch nicht auf der Tagesordnung. Aber es ist durchaus möglich, Sand ins Getriebe zu streuen und auf einzelnen Kampffeldern diese Offensive des Monopolkapitals vielleicht sogar zu stoppen, um Grundlagen für ein perspektivisches Gegensteuern zu schaffen.

Es geht uns um Kampffelder, in denen es mit größerer Wahrscheinlichkeit zu Klassenkämpfen in den nächsten Jahren kommen kann, mit denen die Offensive des Monopolkapitals in diesen Feldern behindert werden kann. Dies kann dann Einfallstore für den Kampf hin zu einer antimonopolistischen Wende öffnen. Wir sehen es hier als unsere Aufgabe, die Widersprüche und entgegengesetzten Interessen des Kapitals und der großen Mehrheit der Menschen herauszuarbeiten und zur Aktionseinheit der Arbeiterklasse und der Formierung antimonopolistischer Kräfte beizutragen.

UZ: Auf welchen Kampffeldern seht ihr solches Potential?

Patrik Köbele: Wir stellen im Leitantrag das Kampffeld Frieden an die erste Stelle. Dort gibt es zum einen Potential, weil die Menschen erkennen, dass Kriegspolitik ihrem Interesse an Frieden und ihren sozialen Interessen entgegensteht, und der Kriegspropaganda nicht auf den Leim gehen. Zum anderen ist es das wichtigste Kampffeld, weil die aggressive Kriegspolitik zunehmend menschheitsgefährdend ist.

Aber auch in sozialen Bereichen ist Potential vorhanden, wie dem Gesundheitswesen und der Wohnungspolitik und in Bereichen, die Umweltfragen betreffen, zum Beispiel im Kampf um eine Energie- und Verkehrswende. Immer mehr Menschen lassen sich nicht mehr in die Logik des Kapitals einbinden, kommen in Widerspruch zum Monopolkapitalismus, der alles zur Ware macht. Die Eigentumsfrage wird längst nicht nur von uns gestellt.

UZ: Kannst du diese Widersprüche an der Friedensfrage konkretisieren?

Patrik Köbele: Ich mache das an zwei Punkten deutlich. Kriegsministerin Kramp-Karrenbauer will den Rüstungshaushalt nach NATO-Kriterien im nächsten Jahr zum ersten Mal über die 50-Millarden-Grenze heben. Das heißt, dass von 2014 bis heute der Rüstungshaushalt um mehr als ein Drittel gestiegen ist. Die Kampagne der Friedensbewegung „Abrüsten statt Aufrüsten“ hat gezeigt, dass die Menschen in unserem Land gegen die Erhöhung der Rüstungsausgaben sind und sehen, wo das Geld, das da verpulvert wird, fehlt.

Es ist dringend notwendig, diese Rüstungspolitik zu stoppen. Es geht gegen die Osterweiterung der NATO und die Einkreisung der Russischen Föderation und der Volksrepublik China. Darin sehen wir die Hauptkriegsgefahr.

Die NATO steht mittlerweile an der russischen Grenze. Im nächsten Jahr soll ein Manöver mit über 30 000 Soldaten, darunter 20 000 US-Soldaten, in Polen stattfinden. Ich bin sicher, dass es 75 Jahre nach Befreiung vom Faschismus Widerstandspotential gegen dieses NATO-Manöver an der russischen Grenze gibt. Es gibt Chancen, eine Bewegung in unserem Land zu initiieren und den drei Stoßrichtungen des deutschen Imperialismus, der NATO-Integration, der Herausbildung von EU-Militärstrukturen und der Hochrüstung der Bundeswehr im Rahmen der NATO, Paroli zu bieten.

UZ: Wie ordnen sich da Kämpfe um bessere Lebensbedingungen ein? Du hast das Gesundheitswesen und das Wohnen angesprochen …

Patrik Köbele: Es geht um grundlegende Kämpfe für die Interessen der großen Mehrheit der Menschen. Jeder hat ein Interesse daran, dass er eine bezahlbare – möglichst kostenfreie – vernünftige Gesundheitsversorgung erhält, dass er ein bezahlbares, vernünftiges Dach über dem Kopf hat.

Diese Interessen werden im Kapitalismus nicht befriedigt, weil Gesundheit und Wohnen Waren sind, mit denen Profit gemacht wird. Diese Erkenntnis wächst. Sie wächst in konkreten Kämpfen um mehr Personal in den Kliniken und für bezahlbaren Wohnraum. Daher ordnen sich diese Fragen sehr konkret in eine antimonopolistische Strategie ein. Sie befördern die Erkenntnis, dass der Monopolkapitalismus nicht die Zukunft der Menschheit sein kann.

UZ: Du hast auch Umweltfragen angesprochen. Es gab im Parteivorstand eine Debatte, ob der Kampf für den Erhalt von Umwelt und Natur nicht auch ein zentrales Kampffeld sein müsse. Der Parteivorstand hat sich mehrheitlich dagegen ausgesprochen. Warum?

Patrik Köbele: Mit der Energie- und Verkehrswende haben wir zwei zentrale Bereiche in den Entwurf aufgenommen, die entscheidend für den Kampf um den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen und gegen die Gefährdungen der Klimaentwicklung auf der Erde sind.

Auch hier stehen die Kapitalinteressen, die Interessen der Energiekonzerne und zum Beispiel der Automobilindustrie, den Interessen der Menschen entgegen. Die Konzerne sind neben den Militärs die Hauptverursacher von Umweltzerstörungen. Sie werden aber nicht belangt. Stattdessen soll die Arbeiterklasse mit einer CO2-Steuer oder über die Modernisierung ihrer Wohnungen und zum Beispiel Heizungen zur Kasse gebeten werden.

Wir fordern im Leitantrag die Vergesellschaftung der Energiekonzerne und die Umwandlung der Deutschen Bahn AG und der privaten Eisenbahnunternehmen in eine öffentlich-rechtliche Unternehmensform und die Finanzierung des Ausbaus des Öffentlichen Personennah-, regional- und fernverkehrs in kommunaler Hand. Es ist also keinesfalls so, dass wir das Thema aussparen.

Wir haben aber auch festgestellt, dass wir in diesen Fragen über zu wenig Erfahrungen aus den letzten Jahren verfügen. Wir haben daher beschlossen, dem Thema einen eigenen Antrag zu widmen, um Positionen der DKP zur Ökologie- und Umweltfragen zu diskutieren.

UZ: Gleichzeitig gibt es eine Diskussion zum Umgang mit der Bewegung „Fridays for Future“. Geht ihr der damit nicht aus dem Weg?

Patrik Köbele: Nein, diese Diskussion führen wir zum Beispiel auf einer theoretischen Konferenz Ende des Monats, wo auch „Fridays for Future“ eine Rolle spielen wird. Wir geben auch Antworten, weil wir sagen – auch zur Bewegung „Fridays for Future“ –, dass es falsch ist, sich auf die CO2-Bepreisung, die vor allem Pendler und Mieter trifft, die gar keine Alternativen haben, und individuellen Verzicht zu konzentrieren. Aus unserer Sicht ist es eben notwendig, die Verursacher in die Pflicht zu nehmen und für eine Energie- und Verkehrswende zu kämpfen. Auch hier geht es um die Abkehr vom Profitprinzip.

UZ: Es gibt die Kritik, dass ihr die Rechtsentwicklung nicht ausreichend zur Kenntnis nehmt und zu wenig auf den Kampf dagegen orientiert …

Patrik Köbele: Dem kann ich so nicht zustimmen, auch wenn es sicher Verbesserungen geben kann. Dem Frieden folgt im Leitantrag der Kampf um die Verteidigung der Demokratie als zweites zentrales Kampffeld. Darin setzen wir bei den Ursachen für die Rechtsentwicklung an. Die sind dort zu finden, wo es um den Kampf für den Frieden, für soziale Interessen und um Demokratie geht. Wir halten nichts davon, den Kampf gegen die Rechtsentwicklung vom Kampf um Frieden, Demokratie und soziale Grundrechte loszulösen und als etwas Separates zu sehen. Wir sehen ihn als integralen Bestandteil. Jeder Fortschritt in diesen Kämpfen gräbt den Rechten das Wasser ab und ist daher mindestens genau so wichtig wie die direkte Auseinandersetzung mit den Rechten auf der Straße. Im Leitantrag heißt es deshalb: „Zusammen mit dem Widerstand gegen neofaschistische Organisationen und dem Ringen um Frieden sieht die DKP in der Abwehr des reaktionären Staatsumbaus eine Hauptaufgabe im antifaschistischen Kampf.“

UZ: Einige Kritikpunkte sind schon benannt. Wie ist der Entwurf insgesamt in der Partei angenommen und bisher diskutiert worden?

Patrik Köbele: Nachdem der letzte Parteitag die antimonopolistische Strategie grundsätzlich bekräftigt hat, gibt es große Zustimmung, nun zu überlegen, welches im Rahmen dieser Strategie konkrete Kampffelder sind, wo es Möglichkeiten gibt, der herrschenden Klasse in die Suppe zu spucken.

Was die Umsetzung angeht, gibt es ganz unterschiedliche Haltungen. Das geht von großer Zustimmung für den gesamten Leitantrag über kritische Auseinandersetzungen mit einzelnen Fragen bis hin zu der weitgehenden Kritik, dass der Entwurf insgesamt nicht gelungen ist. Dazu muss man allerdings sagen, dass die Diskussion in der Partei erst anläuft. Die kollektive Weisheit der Partei wird notwendig sein, um das Papier zu qualifizieren. Nun kommt es darauf an, den Diskussionsprozess auch in die Breite zu tragen und zu organisieren.

UZ: Der letzte Teil des Leitantrages dreht sich um Kräfte im Kampf um die Wende. Ihr kennzeichnet die Arbeiterklasse als Hauptkraft. Gleichzeitig hat die DKP das Problem der mangelnden Verankerung. Wie kann sich die DKP wieder in den Großbetrieben der materiellen Produktion verankern?

Patrik Köbele: Die Orientierung der letzten beiden Parteitage unter dem Stichwort „Heran an die Klasse“ hat bereits Früchte getragen. Wir sind vor allem im Gesundheitswesen Schritte gegangen, unsere Verankerung wieder zu verbessern, Branchengruppen zu bilden, um gemeinsam Positionen zu erarbeiten, Erfahrungen zu machen und auszuwerten. Dem Parteitag wird ein gesundheitspolitisches Programm vorliegen. Wir beginnen mit dieser Aufbauarbeit auch im Bereich des Bildungs- und Erziehungswesens.

Aber du hast natürlich Recht, wir haben eine offene Flanke. Das ist die Verankerung in den Großbetrieben der industriellen Produktion. Das wird ein langwieriger Prozess, den wir nicht mit einem oder zwei Parteitagen lösen können. Unsere Verankerung müssen wir in Kontinuität weiter entwickeln und auf die positiven Erfahrungen aus dem Gesundheits- und Bildungswesen aufbauen. Die zeigen, dass wir dran sein müssen an den Kämpfen der Belegschaften und der Menschen. Neben der Orientierung auf die Betriebe müssen wir auch die Orientierung auf die Kommunalpolitik verstärken. Auch die Kampffelder im Leitantrag setzen hier an.

UZ: Im Leitantrag werden die Erfahrungen der Arbeiterklasse der DDR beim Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft benannt und es wird von einer Identifizierung vieler ostdeutscher Menschen mit der DDR gesprochen. Ist das nicht sehr idealisierend?

Patrik Köbele: Die Menschen in Ostdeutschland sind massenhaft nicht damit einverstanden, wie ihre Biographien aus der DDR für nichtig erklärt werden. Sie sind auch nicht einverstanden, dass sie statt der blühenden Landschaften eine ungekannte Deindustalisierung bekamen. Massenhaft Menschen waren und sind gezwungen, aus dem Osten der Republik abzuwandern, weil sie dort keine Arbeit und keine Perspektive finden. Ganze Landstriche und Städte veröden. Das führt zu einer tiefen Spaltung dieses Landes, die missbraucht wird, um West gegen Ost auszuspielen.

Man kann sich sicherlich über die Formulierungen im Leitantrag streiten. Aber wir sind sicher, wir müssen endlich an diese Frage ran. Die Ungleichheit schadet den arbeitenden Menschen im Westen und im Osten, sie muss gemeinsam bekämpft werden. Das ist ein Anliegen des Leitantrages.

UZ: Insgesamt haben die DDR und die Folgen der Konterrevolution in dem Dokument einen höheren Stellenwert als in vorangegangenen Dokumenten. Was ist der Hintergrund?

Patrik Köbele: Die Folgen der Konterrevolution, der Spaltung der Menschen zwischen Ost und West, erschwerten die Kampfbedingungen für alle, die nicht der herrschenden Klasse angehören. Wenn man sagt, man kämpft für die Interessen der Werktätigen im diesem Land, dann muss diese Frage eine größere Rolle spielen. Das haben wir erkannt und versuchen dem im Leitantrag und mit einem zusätzlichen Antrag mit Forderungen für Ostdeutschland gerecht zu werden.

UZ: Was ist aus deiner Sicht am Leitantrag vorrangig zu diskutieren, wo denkst du, muss er weiterentwickelt werden?

Patrik Köbele: Die entscheidende Fragen ist, ob die Bestimmung der Kampffelder richtig ist. Ist es in diesen Feldern möglich, vorhandene Widersprüche zuzuspitzen, die sich entgegenstehenden Interessen der Monopolbourgoisie und der Arbeiterklasse und anderer nicht monopolistischer Schichten herauszuarbeiten und Widerstand zu formieren? Wenn ja, sind unsere Positionen, zum Teil Forderungen von Partnern in diesen Kampffeldern, richtig bestimmt? Was bedeutet das für die konkrete Arbeit der Partei? Diese Diskussionen sind nun notwendig. Sie können und sollen die Herangehensweise der Partei für die Kämpfe der nächsten Jahre schärfen.

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"Sand ins Getriebe", UZ vom 25. Oktober 2019



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