Vom Aufstieg eines Klinikkonzerns und dem Kampf der Belegschaft

Sana bleibt ohne Entlastung

Heiko Schmidt

Die Sana-Kliniken-AG ist Schauplatz zunehmender Arbeitskämpfe. Als privater Klinikkonzern machte Sana 2022 3 Milliarden Euro Umsatz, hatte 34.600 Beschäftigte und umfasste über 120 Kliniken, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und Sanitätshäuser, davon (2024) 55 Akutkrankenhäuser mit 11.345 Betten.

Sana ist, neben Helios und Asklepios, einer der drei großen privaten Player in der Krankenversorgung. Und er ist der älteste seiner Art. Bereits 1972, kurz vor dem Ende der Vorherrschaft keynesianischer Wirtschaftsmodelle, gründete sich in der BRD ein „Verein zur Planung und Förderung privater Krankenhäuser“ für die Schaffung eines privaten Krankenhausträgers. Das hatte es zuvor in der westdeutschen Kliniklandschaft nicht gegeben. Kommunale und frei-gemeinnützige Träger waren seit dem 19. Jahrhundert überall entstanden, um Arbeiterklasse und Kleinbürgertum gesund genug zu erhalten für den Erhalt der Ware Arbeitskraft. Daneben gab es wenige kleine Privatkliniken. Auf der Suche nach neuen Kapitalanlagemöglichkeiten geriet nun die Klinikversorgung in den Blick.

Die Initiative ging aus von 18 privaten Krankenversicherungen. Sie als die Profiteure der Zweiklassenmedizin wurden damit zum Vorposten der Durchkapitalisierung der Daseinsfürsorge. Sie sind bis heute die Eigentümer der nicht börsennotierten Aktiengesellschaft. Ihre Zahl stieg auf heute 24. Eigentlich waren sie ihrer Zeit weit voraus. Ihr Projekt eines großen privaten Klinikträgers blieb lange Zeit ein überschaubares Pilotprojekt. 1976 wurde die Marke Sana gegründet.

Übernahmen und Expansion

Erst 1984, mit dem Beginn der Deregulierung durch die konservativ-liberale Bundesregierung, konnten die Planungen umgesetzt werden. Seit 1980 hatte Sana mit der Klinik Bad Wildbad einen ersten Standort. 1984 erfolgte die Übernahme des kommunalen Krankenhauses Hürth, danach mit dem Karl-Olga-Krankenhaus Stuttgart die erste Übernahme von einem frei-gemeinnützigen Träger. Der Weg zur weiteren Expansion war vorgezeichnet. Ab 1990 entwickelte Sana das Instrument des Managementvertrags. Hiermit konnte dort, wo eine Komplettübernahme nicht oder noch nicht möglich schien, durch alleinige Geschäftsführung eine Zurichtung für die (private) Zukunft ermöglicht werden. Bis heute gibt es mehrere Kliniken, die über solche Managementverträge geführt werden. Die Anzahl der Sana-eigenen Kliniken stieg bis heute auf 55 an. Darunter sind auch Häuser der Maximalversorgung, zum Beispiel die Herzchirurgie Dresden. Solche und einige andere betriebswirtschaftlich erfolgreiche Kliniken sind die Cash-cows, die in den Geschäftsberichten immer besonders hervorgehoben werden. Dazu zählt auch das Klinikum Lichtenberg.

Sogenannte komplementäre Geschäftsfelder wie MVZ und Sanitätshäuser sind seit den 2010er Jahren verstärkt Ziel der Expansion von Sana. Neben vielen regionalen Firmen kam auch Med 360° Ende 2022 durch mehrheitliche Übernahme hinzu. Med 360° ist ein großer Betreiber von MVZ und Diagnostikzentren mit einem Jahresumsatz von 190 Millionen Euro im Jahr 2020. Ebenfalls 2022 wurde die Sana Suisse AG in der Schweiz gegründet. Hier will Sana über das Geschäft mit dem Einkauf für die dortigen Kliniken in das Schweizer Klinikwesen einsteigen.

Outsourcing am Betriebsrat vorbei

Die Konzernstruktur von Sana unterliegt starken Veränderungen. Seit einer Strukturänderung 2023 werden die Konzernregionen als Cluster bezeichnet. Viele Aufgaben wurden und werden in zumeist konzerneigenen Tochterfirmen outgesourct. Das betrifft Einkauf und Logistik, IT, Reinigung, Labor, zuletzt Zentralsterilisation und aktuell die Personalabteilung. Die Tochterfirmen existieren konzernweit, zum Teil zusammengefasst in einer Servicegesellschaft. Am Beispiel der Personalabteilungen hat sich in diesem Jahr gezeigt, wie konsequent die Geschäftsleitung einen Betriebsübergang an Konzern- und lokalen Betriebsräten vorbei organisiert. Durch Verschleierung des realen Prozesses gelang es den Bossen, die betrieblichen Interessenvertretungen hinzuhalten und zu täuschen. Auch hier resignierten die betroffenen Beschäftigten und unterschrieben angesichts hohen Drucks die vorgelegten neuen Arbeitsverträge. Natürlich zu schlechteren Konditionen. Unklare Aufgabenverteilungen in der neuen „Human Resources“-(HR)-Abteilung, zukünftige finanzielle Schlechterstellung und pauschal gedeckelte Überstundenbezahlung. Und das ist nur ein Detail der neuen Unternehmens-„Matrix“.

Der „Honigdachs“ ist ein Vielfraß

Unter effektvollen Bezeichnungen laufen Umstrukturierungen des Managements und in den Teilbereichen. Sie bezeichnen das Ganze als Projekt „Honigdachs“. So wird ein Tier als Sinnbild genommen, das viele Eigenschaften hat und die gleiche ökologische Nische besetzt wie der Vielfraß. Und damit wird klarer, worum es geht. Um noch mehr Umsatz, noch mehr Gewinn.

Die Umsätze der Klinikkonzerne Helios, Asklepios und Sana bewegen sich jeweils im Bereich mehrerer Milliarden Euro. Hinzu kommt noch, dass auch Kliniken in öffentlicher und frei-gemeinnütziger Trägerschaft größere Ketten gebildet haben. Die größten unter ihnen befinden sich in Berlin mit Vivantes und Charité. Diese agieren seit Anfang des Jahrhunderts zunehmend selbst wie private Akteure, ermöglicht durch entsprechende Rechtsformänderungen. Unter Bedingungen zunehmender Konkurrenz um Staatsgelder, Patienten und Personal gehen die Privaten auch gerne Bündnisse mit den frei-gemeinnützigen Trägern ein. Besonders in Berlin spielt die Rivalität mit den Kliniken in öffentlichem Eigentum eine große Rolle. Dabei geraten viele Dinge aus dem Blick, die von den Privaten nicht oder nur wenig abgedeckt werden. Das hat sich in der Corona-Pandemie gezeigt.

Zimmerreinigung wird zur Glückssache

Die Konzernstrategie zielt nicht nur nach außen. Nach innen ist das Signal: Straffung von Strukturen, Kosteneinsparungen bei Personal und Materialkosten, sowohl bei Geräten als auch Verbrauchsmaterial. Trotz blumiger Ankündigungen lässt die Digitalisierung auf sich warten. Andere Klinikträger arbeiten längst mit der digitalen Patientenakte und der damit verbundenen Technik. Auch wenn sie oft nicht funktioniert. Ein paar digitale Leuchttürme gibt es in hochprofitablen Bereichen, so den OP-Roboter, den Televisitenroboter auf der Intensivstation und natürlich KI in der Endoskopie. Das sind im Einzelfall hilfreiche Neuerungen. Doch im Alltag der klinischen Behandlung und Pflege spielt das alles keine Rolle. Dort werden die Ressourcen auf Verschleiß gefahren. Dienstkleidung für die Pflege wird künstlich knappgehalten. Entgegen einer konzernweiten Betriebsvereinbarung, die fünf Garnituren vorsieht, bleibt es trotz Protest bei drei. Bettwäsche für die Patienten wurde einfach reduziert. Zu viel Hygiene scheint das Geschäft zu stören. Da war es konsequent, die Befugnisse der Krankenhaushygiene zu reduzieren. Auf dringende Reparaturen muss oft lange gewartet werden, besonders bei Fahrstühlen oder im Sanitärbereich. Und die Zimmerreinigung wird zur Glückssache.

Beschäftigte organisieren sich

Lange Zeit war die betriebliche Interessenvertretung und die gewerkschaftliche Organisierung in den meisten Sana-Häusern marginal. Die oft als Einzelkämpfer agierenden Betriebsräte und Gewerkschafter waren wenig verankert und Betriebsgruppentreffen fanden nur sporadisch statt. Tarifverhandlungen hatten eher den Charakter kollektiven Bettelns. Im Sana-Klinikum Lichtenberg änderte sich das mit der zunehmenden Bereitschaft in den Belegschaften, aktiv zu werden, in die Gewerkschaft einzutreten und gemeinsam Aktionen vor der Klinik oder auch mal auf der Straße durchzuführen. Das hing auch zusammen mit dem Einsatz und der Wirkung der ver.di-Hauptamtlichen. Die Hinwendung in der Gewerkschaft zu stärkerer Aktivierung von Belegschaften hatte auch zu tun mit einem Wechsel von Strategie und Methoden in ver.di. Relevante Teile der Gewerkschaft setzen verstärkt auf Methoden des Organizing. Und sie haben damit Erfolg. In den Kämpfen um Entlastungstarifverträge an vielen Unikliniken, bei Vivantes und zuletzt im Jüdischen Krankenhaus Berlin hat sich das gezeigt. Neue Formen der gewerkschaftlichen Partizipation wurden etabliert. Über Teamdelegierte und ständigen Austausch konnte nahezu jedes Team wirklich erreicht werden. In der Ansprache der Beschäftigten wurde mehr Professionalität erreicht. Über mehrere Stufen von Mobilisierung wird schrittweise mehr Stärke im Betrieb aufgebaut.

Der Kampf um Entlastung in Lichtenberg

Bei Sana halten diese Methoden erst nach und nach Einzug. Am meisten entwickelt und organisiert ist das Klinikum Lichtenberg mit gegenwärtig 461 ver.di-Mitgliedern. In der Entgelttarifrunde 2020 kam es neben aktiven Mittagspausen erstmals zu einem Warnstreik in Lichtenberg. 2022 agierte die Konzerntarifkommission nach einer Forderungsbefragung der Beschäftigten noch mit wenig Rückkopplung im Verlauf der Verhandlungen. Es gab in mehreren Häusern Warnstreiks und zwei Streikdemos. Das Ergebnis war noch weit von den Forderungen entfernt, aber die Mobilisierung hatte noch zugenommen. In der Folge wuchs das Interesse im Klinikum Lichtenberg an einem Entlastungstarifvertrag.

Der erfolgreiche Kampf an Charité und Vivantes um einen Entlastungstarif 2021 hatte Eindruck gemacht und übte eine große Anziehungskraft auf Klinikbeschäftigte aus. Die Pflegedirektion musste die Erfahrung machen, dass der Vergleich mit Kliniken mit Entlastungsregeln in jedem Bewerbungsgespräch eine Rolle spielt. Tatsächlich bewerben sich kaum noch Pflegefachkräfte bei Sana und noch weniger treten eine Stelle wirklich an. Das ist dem Management alles bekannt. Doch was bei den Geschäftsführungen allein zählt, sind Umsätze, Kosten und Gewinne. Qualität von Patientenversorgung und Arbeitsbedingungen zählen nicht dazu.

Im Klinikum Lichtenberg machte sich der Kern der ver.di-Betriebsgruppe Anfang 2023 auf den Weg, die Vo-raussetzungen für eine Entlastungskampagne zu schaffen. Dazu gehörten eine Organizing-Schulung und die Kampagnenplanung selbst. Mit Hilfe systematischer Ansprache wurde eine Forderungspetition für einen Entlastungstarifvertrag zum Stärkeaufbau genutzt und das Thema breit bekanntgemacht. Teamdelegierte wurden gewählt. Die Geschäftsleitung will von Entlastung nichts wissen und unterbreitete der Belegschaft ein Scheinangebot aus Maßnahmen fast ohne Entlastungseffekt. Im Konzerntarifvertrag gibt es eine Klausel, die die freien Extra-Tage für ver.di-Mitglieder als „Gesundheitstage“ bezeichnet. Dieser Passus stellte sich als juristisches Streikhindernis für einen Entlastungstarifvertrag heraus. Das weiß inzwischen auch die Konzernzentrale und darum will sie diesen Punkt in den Verhandlungen nicht zur Disposition stellen. Wegen dieser Problematik war die Entlastungskampagne von der ver.di-Betriebsgruppe bewusst im März auf Eis gelegt worden. Zuerst sollte über den Lohn, die ver.di-Tage etcetera fertig verhandelt werden.

Enttäuschung und Kündigungswelle

Eine erneute Zuspitzung entwickelte sich innerhalb der aktuellen Lohnrunde: die Lichtenberger hatten sich zahlreich eingesetzt für gute Forderungen und drängten erfolgreich auf eine frühzeitige Warnstreikwelle. Im Mai streikten außer in Lichtenberg nur ein paar Beschäftigte am Klinikum Wismar. Alle anderen 18 Kliniken beließen es bei symbolischen Aktionen. In der folgenden Verhandlungsrunde gewann die Mehrheit der Konzerntarifkommission den Eindruck, nun gäbe es ein abstimmungsfähiges, also eigentlich gutes Angebot der Gegenseite. Überschaubare Lohnzuwächse – gefordert waren 12 Prozent –, Einmalzahlungen und keine Herausnahme der ver.di-Tage lagen auf dem Tisch. Kurz darauf begann die Abstimmung unter den Mitgliedern.

Die Lichtenberger teilten diese Einschätzung überhaupt nicht. Auch hinsichtlich der Lohnsteigerung von 2,25 Prozent. In Lichtenberg verdichteten sich Diskussionen über einen Ausstieg aus dem Konzerntarifvertrag und einen eigenen Haustarif, und zwar TVöD! Und dann kam das Abstimmungsergebnis: von den 2.300 ver.di-Mitgliedern in den 20 Häusern hatten 1.000 abgestimmt und 65 Prozent lehnten das Angebot ab. In Lichtenberg lag die Ablehnung bei 93 Prozent, das waren 300 Stimmen. Vor der dritten Tarifverhandlungsrunde waren alle Varianten offen, wie die Zukunft des Konzerntarifvertrags aussehen wird. Möglich schien auch ein Ausscheren des Klinikum Lichtenberg. Dreh- und Angelpunkt ist die Möglichkeit, zukünftig für einen Entlastungstarifvertrag streiken zu können. Eine neue Kündigungswelle hat real begonnen. Nur ein guter Lohnabschluss und die Aussicht auf verbindliche Entlastungsregeln hätte diese Entwicklung aufhalten können.

Der Tarifabschluss scheint jetzt zum Greifen nah. In der dritten Verhandlungsrunde am 25. Juli wurden der Geschäftsleitung weitere Zugeständnisse abgerungen. 200 Euro mehr in zwei Schritten in 2024, weitere 4 Prozent in 2025. Dazu die Einmalzahlung in Höhe von insgesamt 1325 Euro, bei Vollzeitarbeit. Die Laufzeit umfasst 20 Monate. Dazu unter anderem 12 Prozent mehr für Zulagen, drei Urlaubstage mehr für Azubis und eine Übernahmeprämie. Im Bereich der Tabellenerhöhungen ist das Ergebnis weit hinter der ver.di-Forderung von 12 Prozent zurückgeblieben. Und: es wird keine Möglichkeit geben für das Klinikum Lichtenberg, jetzt aus dem Tarifvertrag herauszukommen und die ver.di-Gesundheitstage bleiben weiter, wenn auch zukünftig kündbar.

Die gewonnene Stärke erhalten

Damit hat die Belegschaft des Klinikum Lichtenberg ihr Ziel, bald mit einem Arbeitskampf für Entlastung beginnen zu können, verfehlt. Erst nach der nächsten Entgelttarifrunde 2026 scheint dies möglich, um weiteren Spaltungsversuchen entgegenzuwirken. Mit dieser langfristigen Perspektive ist eine große Enttäuschung eingetreten angesichts der nun abgebrochenen Kampagne. In der Abstimmung über den Abschluss Mitte August wird die eingetretene Spaltung in der Konzernbelegschaft zum Ausdruck kommen. Eine Annahme ist wahrscheinlich, aber nicht überall. In Lichtenberg wird es nun darauf ankommen, von der gewonnenen Stärke möglichst viel zu erhalten. Auch wenn jetzt eine große Kündigungswelle zu erwarten ist.

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"Sana bleibt ohne Entlastung", UZ vom 9. August 2024



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