Selbst von Japan kann die Bundesregierung lernen

Sachalin 2 liefert noch

Kolumne

„Japan fügt sich dem Willen Putins“, lautete die Überschrift zu einem Bericht des Tokioter Korrespondenten der „FAZ“ (6. September). Der Bericht klingt deutlich weniger empört als die Überschrift und handelt davon, dass die japanische Regierung die Gaslieferverträge mit Russland von der Insel Sachalin nördlich der japanischen Insel Hokkaido erneuert und dafür auch die Erlaubnis, sogar das Verständnis des großen Partners USA und der anderen G-7-Staaten erhalten hat. Das Gas aus Sachalin deckt etwa 9 bis 10 Prozent aller Gasimporte Japans ab. Es wird, wie der große Rest der Gasimporte (überwiegend aus Katar, Australien und Malaysia) als gekühltes Flüssiggas (LNG) auf Spezialschiffen geliefert.

Die russische Regierung – hierzulande auch als „der brutale Putin bekannt“ – hatte im Juni angekündigt, dass alle Anteile an der Betreibergesellschaft Sachalin 2 auf eine neue Gesellschaft nach russischem Recht und Sitz in Russland übertragen werden müssen. Das bisherige Betreiberkonsortium residierte rechtlich auf der Steueroase der Bermudas. Es bestand aus der russischen Staatsgesellschaft Gazprom (50 Prozent plus eine Aktie), den beiden traditionsreichen japanischen Handelshäusern Mitsui & Co. (12,5 Prozent) und Mitsubishi Corp. (10 Prozent) sowie dem derzeit drittgrößten Ölkonzern der Welt Shell (27,5 Prozent). Shell hat bereits im Februar, als die USA und ihre Verbündeten die massive Ausweitung der Sanktionen gegen Russland beschlossen hatten, den Ausstieg aus dem Projekt Sachalin 2 angekündigt. Der Shell-Anteil steht seitdem zum Verkauf.

Obwohl die juristische Neukonstruktion des Betriebs von Sachalin 2 noch nicht fertig ausgehandelt ist, haben acht große regionale Energieversorger in Japan, darunter die für die Hauptstadt zuständige Tokyo Gas Co. Ltd. ihre Lieferverträge mit der neuen Sachalin-2-Gesellschaft erneuert, zu anscheinend unveränderten Konditionen mit meist langen Laufzeiten von zehn oder zwanzig Jahren. Die Gaslieferungen aus Russland scheinen im vergangenen halben Jahr unverändert weitergegangen zu sein. 60 Prozent des in Japan angelandeten LNG-Gases dienen der Stromerzeugung. Die an Sachalin 2 beteiligten Handelshäuser Mitsui und Mitsubishi berufen sich bei ihrem Festhalten an dem Projekt auf die Regierung. Das Wirtschaftsministerium habe nach der Entscheidung Russlands, die Betreibergesellschaft russischem Recht zu unterwerfen, deutlich gemacht, dass Japan im Interesse der nationalen Energieversorgung weiter an Sachalin 2 teilnehmen wolle.

Anders als Deutschland, so heißt es im Bericht des Tokioter „FAZ“-Korrespondenten, „verfolgt Japan … auch keine mittelfristigen Pläne, um sich vom Gas aus Russland zu lösen“. Und würde Japan auf Flüssiggas aus Russland verzichten, „triebe das auch die Gaspreise in Europa weiter in die Höhe“.

Lehren daraus?

Erstens: Die Erkenntnis, dass Preise, besonders aber Energiepreise politisch gemacht werden, steht auch Regierungen der G-7-Staaten zur Verfügung. Der Öl-, Gas- und Strompreis kann nicht nur nach oben, sondern durch halbwegs vernünftige Maßnahmen auch nach unten manipuliert werden.

Zweitens: Es gibt geplante oder tolerierte Lücken im Sanktionsregime. Sie betreffen nicht nur dringliche Energielieferungen, sondern auch die dafür notwendigen Finanztransaktionen einschließlich der besonders scharf sanktionierten Beteiligungen an russischen Unternehmen, sogar an solchen, die mehrheitlich dem russischen Staat gehören.

Drittens: Auch ein Land, das auf den Zugang seiner Konzerne zum US-Markt mindestens so stark angewiesen ist wie Deutschland, kann in für sich wichtigen Detailfragen dem Druck aus Washington widerstehen.

Viertens: Robert Habeck und sein Bundeskanzler Olaf Scholz sollten ab und zu auch Korrespondentenberichte aus fernen Ländern lesen.

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"Sachalin 2 liefert noch", UZ vom 23. September 2022



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