Zweimal im vergangenen Jahrhundert waren es deutsche Truppen, die sich ‘gen Osten in Marsch setzen, um im Interesse des deutschen Kapitals Eroberungen vorzunehmen. Beide Eroberungszüge endeten im Desaster.
Heute agieren wieder deutsche Soldaten im Osten. Angeblich zum Schutz der östlichen NATO-Partner. Eurofighter „sichern“ den Luftraum im Baltikum, Bundeswehrsoldaten beteiligen sich an NATO-Manövern und bald sollen sie sich in Litauen an einer NATO-Truppe beteiligen. Auch wenn das im „Rotationsverfahren“ vor sich gehen soll: Russland dürfte das Vorhaben dennoch als Provokation werten.
Dabei hatten und haben die deutschen Konzerne nach dem Ende der Sowjetunion schon ihre Positionen besetzt: durch Waren- und Kapitalexporte, durch Produktionsstätten in Regio-nen, wo sie von Niedriglöhnen profitieren.
Bereits am 10. Dezember 1887 hatte der damals in St. Petersburg als Botschaftsrat amtierende spätere Staatssekretär und Reichskanzler Bernhard von Bülow, in einem Bericht an das Auswärtige Amt erklärt: „Wir müssen eventuell dem Russen so viel Blut abzapfen, dass derselbe sich nicht erleichtert fühlt, sondern 25 Jahre außerstande ist, auf den Beinen zu stehen. Wir müssen die wirtschaftlichen Hilfsquellen Russlands für lange hinaus durch Verwüstung seiner Schwarzerd-Gouvernements, Bombardierung seiner Küstenstädte, möglichste Zerstörung seiner Industrie und seines Handels zuschütten. Wir müssten endlich Russland von jenen beiden Meeren, der Ostsee und dem Schwarzen Meer, abdrängen, auf denen seine Weltstellung beruht.“ Das klang anders als Bismarck, der einen Zweifrontenkrieg fürchtete und auf Diplomatie setzte, aber es erinnert an die aktuelle Politik.
Der Drang nach Osten
In einer geheimen Denkschrift des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg vom 9. September 1914 hieß es u. a.: „Sicherung des Deutschen Reiches nach West und Ost auf erdenkliche Zeit. Zu diesem Zweck muss (…) Russland von der deutschen Grenze nach Möglichkeit abgedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden.“ Ähnliche Kriegsziele formulierten auch andere. Der Alldeutsche Verband und Organisationen sowie Repräsentanten der deutschen Industrie, darunter August Thyssen, Walther Rathenau, Alfred Hugenberg und Gustav Stresemann, forderten noch mehr und im Laufe der Zeit wurde ihr Erobergelüste noch größer. Am 1. August 1914 wurden deutsche Soldaten auch ‘gen Osten in Marsch gesetzt: Zur Eroberung des Baltikums und der Kornkammer des Russischen Reiches, der Ukraine.
Deutschland verlor den Krieg. Das deutsche Monopolkapital hatte seine Ziele zur Neuaufteilung der Welt nicht erreicht, zu dem auch die Eroberungen im Osten gehörten. Durch den Versailler Vertrag gab es Forderungen nach Reparationen und restriktive Einschränkungen für künftige militärische Abenteuer. Und trotz der Niederlage der Novemberrevolution in Deutschland hatte zudem die Arbeiterklasse im Gefolge der Revolution wichtige Errungenschaften erkämpft.
Hitler erklärt 1924 in „Mein Kampf“: „Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten(…) Wenn wir (…) heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland und die ihm untertanen Randstaaten denken“.
Damit war er für jene Vertreter der deutschen Industrie, der Banken und der Reichswehr interessant, die die Ergebnisse des 1. Weltkrieges revidieren wollten und eine Neuaufteilung der Welt anstrebten. Bereits 1922 unterstützten führende Vertreter der deutschen Industrie Hitler, im Herbst 1923 (Putsch in München) sogar mächtige Männer der Ruhrindustrie.
1933 betonte Hitler – nach der Machtübertragung an ihn und seine faschistische Partei – vor der Reichswehrspitze: „Erkämpfung neuer Exportmöglichkeiten, vielleicht – und wohl besser – Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung“.
Der faschistische Raub- und Ausrottungskrieg
Am 18. Dezember 1940 unterzeichnete Hitler die „Weisung Nr. 21 Fall Barbarossa“. Darin wurde befohlen: „Die deutsche Wehrmacht muss darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen.“ Und am 22. Juni 1941 überfielen die Truppen des faschistischen Deutschlands und seiner Verbündeten die Sowjetunion.
Für die wirtschaftspolitischen Planungen des „Unternehmens Barbarossa“ waren von Anfang an führende Vertreter der Industrie mitverantwortlich. Die Industrie profitierte von der faschistischen Herrschaft durch Rüstungsaufträge, später durch die Ausplünderung der okkupierten Länder, die Sklavenarbeit der KZ-Häftlinge und Verschleppten. Thyssen, Krupp, Siemens und IG Farben, Deutsche Bank und viele andere verdienten mit an den Eroberungen und an der Ermordung von Millionen.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Am 27. März 1941 wurde unter maßgeblicher Beteiligung der IG Farben und der Deutschen Bank eine „Kontinentale-Öl-AG“ gegründet, die das Recht erhielt, sich die Mineralölindustrie in den eroberten Ostgebieten auf 99 Jahre hinaus anzueignen.
Der gesamte europäische Teil der Sowjetunion sollte im Interesse von Industrie und Banken im Zuge einer Neuaufteilung der Welt unter deutscher Vorherrschaft erobert, der Zugriff auf die gewaltigen natürlichen Ressourcen des Landes (Weizen, Kohle, Erdöl, Eisenerz usw.) und Produktionskapazitäten gesichert, neuer „Lebensraum im Osten“ erobert werden.
Geplant war die Zerschlagung der Sowjetmacht und – das wurde durch den 1942 beschlossenen „Generalplan Ost“ „präzisiert“ – die Versklavung und Vertreibung der in den eroberten Gebieten lebenden Menschen. Der Tod von Millionen wurde geplant.
In der Nacht zum 9. Mai 1945 musste die Führung der Wehrmacht in Berlin-Karlshorst die bedingungslose Kapitulation unterzeichnen. Der Krieg in Europa war zu Ende.
Der Drang nach Osten blieb. Als die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder in Europa noch existierten, waren ihm Grenzen gesetzt.