Geschichte und Aktualität

Russland als Feindbild

Von Ulrich Schneider

russland als feindbild - Russland als Feindbild - Russland, Theorie & Geschichte - Theorie & Geschichte

Hannes Hofbauer: Feindbild Russland, Geschichte einer Dämonisierung,

Promedia Verlag Wien 2016,

ISBN 978–3-85371–401-0, 304 S., 19,90

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Stefan Bollinger: Meinst du, die Russen wollen Krieg? Über deutsche Hysterie und ihre Ursachen.

Verlag am Park (Eulenspiegel-Verlagsgruppe) Berlin 2016,

ISBN 978–3-945187–59-3, 192 S., 14,99 Euro

Es ist schon erstaunlich, welche Dauerhaftigkeit politische Feindbilder über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte haben können, selbst wenn sich gesellschaftspolitische Verhältnisse in diesen Zeiträumen in den jeweiligen Ländern oder Regionen grundlegend gewandelt haben. Exemplarisch kann man das am deutschen Russland-Bild nachzeichnen. Aus Anlass des 75. Jahrestages des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion – dem Beginn des Vernichtungskriegs im Osten – haben sich zwei Autoren mit dieser Frage beschäftigt, Hannes Hofbauer unter dem Titel „Feindbild Russland – Geschichte einer Dämonisierung“ und Stefan Bollinger unter dem Titel „Meinst du, die Russen wollen Krieg“ in Anlehnung an das berühmte Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko.

Wenn man sich die Funktion von Feindbildern und ihre Instrumentalisierung im ideologischen Konzept der jeweils herrschenden Klassen vor Augen führt, dann wird deutlich, dass innerhalb dieses Konstruktes der Russo­phobie verschiedene Elemente der ideologischen Begründung zusammenkommen bzw. sich überlagern.

In der Zeit des Zarismus war – aus mitteleuropäischer Perspektive – das russische Reich die Verkörperung des Asiatischen und der innerchristlichen Konkurrenz (Orthodoxie). Da die Hunnenzüge aus der Weite der russischen Steppe bis nach Mitteleuropa gelangten, galten diese – ähnlich den Osmanen („Die Türken vor Wien“) – als Inkarnation der Bedrohung, die man propagandistisch auch der Bevölkerung zu vermitteln versuchte.

Gleichzeitig ging es in geopolitischer Hinsicht immer auch um die Zugänge zur Ostsee bzw. zum Schwarzen Meer und damit zum Mittelmeer, womit Handelswege und damit die Kontrolle wirtschaftlicher Bewegungen verbunden waren.

Zudem galt insbesondere das weiß- und westrussische Territorium als „Verfügungsraum“ für expansionistische Bestrebungen der schwedischen, polnischen und später preußischen Königshäuser. Für die Ideologie der Alldeutschen Kräfte und noch ausgeprägter die NSDAP galt die Ideologie des „Volk ohne Raum“, für das Entwicklungspotentiale in der „russischen Weite“ zu finden seien. Mit der zunehmenden Bedeutung der Rohstoffpotenziale in der Ukraine und im Kaukasus verlagerte sich das Interesse in südöstlicher Richtung, aber immer mit der Maßgabe, dass Russland der „natürliche“ Expansionsraum imperialistischer Politik sei.

Hannes Hofbauer zeichnet diese Tendenz in seinem umfassenden historischen Einleitungsteil in groben Schritten nach. Als dieser imperialistische Konflikt im ersten Weltkrieg mündete, scheuten sich die deutschen Kriegsherren auch nicht, zur Destabilisierung der zaristischen Herrschaft die politische Opposition zu unterstützen (Lenins Fahrt im verplombten Eisenbahnwaggon nach Russland). Als sich hieraus die Errichtung einer sozialistischen Ordnung ergab, die sich in der Konsequenz gegen die kapitalistische Herrschaft in Westeuropa richtete, wechselten die imperialistischen Hauptmächte die politischen Seiten und bekämpften im Bürgerkrieg erneut Russland bzw. die dann entstehende Sowjetunion. Aus der Sicht der politisch und ideologisch Herrschenden hatte sich damit am Feindbild Russland nichts grundsätzlich geändert – nur ergänzt durch den militanten Antikommunismus in Form eines „Antibolschewismus“, der später in der faschistischen Ideologie als „jüdischer Bolschewismus“ zum Hauptfeind im imperialistischen Eroberungskrieg gerierte.

Die kurze Phase der Rapallo-Politik in den 20er Jahren, mit der sich Bollinger detailliert beschäftigt, konnte dieses Feindbild Russland nicht wirklich aufbrechen. Dabei hatte die Sowjetunion in diese Verträge mit Deutschland große Hoffnungen gesetzt, waren doch beide Seiten als „Verlierer des Versailler Vertrages“ daran interessiert, einen neuen Anfang in den internationalen Beziehungen – politisch und wirtschaftlich – aufzubauen.

Diese Art der Kooperation wurde im Zuge des zweiten Griffs nach der Weltmacht im faschistischen Expansionskrieg zur Durchsetzung „deutscher Großraumpläne“ natürlich obsolet. Der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag von 1939 war dabei nur eine taktische Variante, die das Feindbild Russland nicht veränderte. Das Scheitern der Expansion in der militärischen Zerschlagung des deutschen Faschismus – deren Hauptanteil die Rote Armee getragen hat – war in der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht mit einem Umdenken über das Feindbild Russland verbunden, sondern wurde – im Gefolge der andauernden Wirkung faschistischer Propaganda – mit dem Kolportieren einer Vielzahl von Gerüchten und Ängsten verstärkt.

Die Tatsache, dass unmittelbar nach dem Ende des Krieges mit dem sich entwickelnden Kalten Krieg in einem Teil Deutschlands die Besatzungsmächte an genau diese antisowjetischen russo­phoben Vorurteile anknüpften, ließ kein wirkliches Umdenken bei einem Großteil der Bevölkerung zu. Das Ziel der westlichen Seite war laut Bollinger, die Sowjetunion als Kriegstreiber vorzuführen, um damit alles zu begründen, was gegen die Russen ging: Hetze, Handelsboykott und Hochrüstung, Aggression und Verleumdung. Erst im Rahmen der Entspannungspolitik, dem „Moskauer Vertrag“, auf den Bollinger besonders eingeht, begann sich ein realistischeres Bild der Sowjetunion und „der Russen“ in der westdeutschen Gesellschaft durchzusetzen. In der DDR wurde dieser Prozess staatlicherseits vorangetrieben, wobei mit der politischen und wirtschaftlichen Integration der DDR in RGW und Warschauer Vertrag die materiellen Grundlagen und mit der öffentlichen Benennung der sowjetischen Vertreter als „Freunde“ und der Verbreitung russischer und sowjetischer Kultur im öffentlichen Raum eine Möglichkeit des Umdenkens geschaffen wurde.

Hofbauer beschäftigt sich vor allem mit der Russophobie und ihren Auswirkungen nach dem Ende der Sowjetära. In der Ära Jelzin ging es den imperialistischen Hauptmächten darum, Russland in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht „in die Knie zu zwingen“. Als jedoch in der ersten Ära Putin eine Phase der Stabilisierung gelang, wurde das Feindbild Russland wieder massiv reaktiviert. Er beschreibt die vielfältigen ideologischen, wirtschaftlichen und politischen Versuche eine Destabilisierung Russlands zu erreichen – unter Einschluss von Oligarchen und der „Zivilgesellschaft“. Trotz aller Anstrengungen blieb dieser Strategie eines direkten „Regime changes“ der Erfolg versagt. Daraufhin setzten die USA, die EU und die deutsche Politik an der Peripherie Russlands an, wie Hofbauer ausführlich am Beispiel der Ukraine nachzeichnet. Hier war man – vor dem Hintergrund des Feindbildes Russland – bereit, ex­trem nationalistische Kräfte und offene Faschisten an die Regierung zu bringen und sie, als eine Art Stellvertreterkrieg gegen Russland in Stellung zu bringen. Mit großen Detailkenntnis benennt Hofbauer die agierenden Institutionen, die in diese Strategie eingebunden sind. Ausführlich beschreibt er die Interessen und Auswirkungen auch des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Sanktionsregimes der EU gegen Russland im Gefolge der Aufnahme der Krim in die russische Föderation. Er zeigt auf, dass man für den politischen Druck selbst kurzfristige Profitinteressen auf dem russischen Markt zurückstellt – in der Erwartung, dass eine Destabilisierung der politischen Herrschaft in Russland langfristig mehr Möglichkeiten eröffnet – insbesondere in der „großen Schlacht um Öl und Gas“. Hofbauer geht dabei auch auf konzentrische Angriffe der Mainstream-Medien auf Russland und den russischen Präsidenten – „die Inkarnation des Bösen“ (Hofbauer) – ein. Die Antworten russischer Medien werden im Westen medial wiederum als Ausdruck „russischen Großmachtdenkens“ bezeichnet, dem – entsprechend dem alten und neuen Feindbild – mit allen Mitteln entgegengetreten werden müsse. Und so schließt sich der Kreis: Das Feindbild Russland bzw. „der Russe“ wird durch Politik und Mainstream-Medien gehegt und gepflegt.

Als ambivalente Konsequenzen dieser Russophobie für Russland selber und für die russischen Gemeinschaften in den ehemaligen Sowjetrepubliken konstatiert Hofbauer, dass die Konflikte mit der EU und den USA zunehmend nationalistisch und ethnisch überlagert werden. Intellektuelle und Politiker, aber auch einfache Bürger orientieren sich zunehmend an einem „starken Staat“ „russischer Identität“, der sich im „eurasischen Kulturkreis“ verortet. Das würde auf eine Abschottung von europäischen Kontakten hinauslaufen.

Bollinger formuliert in seinem Buch eine optimistischere Konsequenz aus der politischen Entwicklung: Zweimal sei es in der an Kriegen und Konflikten reichen gut hundertjährigen jüngsten Beziehungsgeschichte von Deutschland und Russland/Sowjetunion/Russische Föderation gelungen die Konfrontationslogik zu durchbrechen: in Rapallo 1922 und im Moskauer Vertrag von 1970. „Rückbesinnung tut not, gerade auch für deutsche Politik.“ Das würde jedoch auch bedeuten, dass die Sanktionslogik der EU überwunden werden müsste.

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"Russland als Feindbild", UZ vom 8. April 2016



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