Trigger-Warnung „Baltische Plattform“: Engagierter Umweltschutz in der Ostsee steht ab sofort unter Kreml-Propaganda-Verdacht

Russischer Beifang

Von Pestiziden bis zu organischen Schadstoffen aus der Industrie, die Ostsee wird über die Flüsse verunreinigt, warnen Wissenschaftler immer wieder. Zwar sei sie längst nicht mehr so verschmutzt wie noch in den 1980er Jahren, doch aus dem Hinterland gelangen weiter Schadstoffe ins Meer, berichtete der „Deutschlandfunk“ im vergangenen August. Ein großes Problem sei die Überdüngung, die zu Sauerstoffmangel im Meer führen kann. Deutschland hinke beim Schutz von Ost- und Nordsee weiter hinterher und mache mit bei der Umweltzerstörung, konstatierte die Meeresbiologin und Leiterin des Alfred-Wegner-Instituts, Prof. Antje Boetius, im März im MDR. Zu viele Nährstoffe und Dünger können in warmen Sommern zu Algenblüte führen, die schlecht sei für die Meeresbewohner. Starker Schiffsverkehr gefährde zudem die Schweinswale.

Grund eigentlich, dass die Ostsee-Anrainer kooperieren und gemeinsam nach Lösungen suchen. Allein, wer sich in diesen Tagen für Umweltschutz in der Ostsee engagiert, läuft Gefahr, als russischer Agent an den Pranger gestellt zu werden: Ende April machte in allen großen Medien die Behauptung die Runde, Russland versuche „westliche“ Umweltinstitute zu beeinflussen. Ziel sei, über das Thema Ostseeverschmutzung „Kreml-Narrative“ zu verbreiten und „Agenten“ zu rekrutieren. WDR, NDR und „Süddeutsche Zeitung“ wollen das mit „internationalen Medienpartnern“ in einer gemeinsamen „Recherche“ herausgefunden haben. Sie alle berufen sich auf ein einziges Papier, das „aus der russischen Präsidialadministration stammen“ soll und dem Verbund von Medien in NATO-Staaten wohl von einem westlichen Geheimdienst zugesteckt worden sein dürfte. Russland soll demnach die Einrichtung eines neuen wissenschaftlichen Forums planen, „das sich offiziell mit der – tatsächlich problematischen – Verschmutzung der Ostsee auseinandersetzen soll“, resümiert das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Das Papier, das auf Januar 2023 datiere, sehe demnach vor, „dass europäische Akteure aus Wissenschaft, Kultur und von Nichtregierungsorganisationen den Dialog mit Russland wieder aufnehmen“. Dafür soll ein Forum namens „Baltische Plattform“ ins Leben gerufen werden, das internationale Experten versammelt. Neben baltischen Teilnehmerländern würden Skandinavien und Deutschland „explizit genannt“, erfährt man weiter.

Trigger-Warnung vom „Rechercheverbund“: „So etwas nennen westliche Sicherheitsbehörden eine klassische nachrichtendienstliche Einflussoperation, eine Strategie der Unterwanderung.“ Bei „tagesschau.de“ kommt dazu Aleksander Toots, Leiter des Internen Sicherheitsdienstes Estlands KAPO, zu Wort, der derlei Vorgehen kenne und es mit anderen „russischen Einflussversuchen“ vergleiche: „Wir haben auch früher ähnliche Operationen identifiziert. Russland versucht, Themen aufzugreifen, die normale Menschen interessieren. Klima- und Umweltfragen sind ein gutes Beispiel dafür.“ Marius Laurinavicˇius, als „politischer Analyst aus Litauen“ vorgestellt, will wissen, dass Russland wie ein Angler beim Fischen agiere und über solche Foren mit Meinungsführern in Kontakt zu treten versuche. Ziel sei, Achtung, die „Denkweise“ zu verstehen und dann „Entscheidungen zu treffen, welche dieser Leute für russischen Einfluss verwendet oder manchmal sogar als russische Agenten rekrutiert werden könnten“.

Die medialen Wellen, die die Story über ein mutmaßliches Kreml-Papier zog, ist angesichts der nicht nachvollziehbaren Quellenlage beachtlich. Ziel ist ganz offensichtlich, jedwede wissenschaftliche Kooperation mit russischen Forschern und deren Ergebnisse über Umweltbelastungen in der Ostsee von vorneherein zu diffamieren. Dabei wäre es natürlich gerade im Sinne des Meeresschutzes, miteinander zu arbeiten. Implizit werden – ob mit oder ohne Kontakt – Wissenschaftler, die Probleme ansprechen und vor Gefahren warnen, direkt in den Ruch der „Moskau-Nähe“ gerückt. So heißt es bei „tagesschau.de“, dass die Lage in der Ostsee zwar „sehr ernst“ sei, aber „weniger ernst, als von Russland behauptet“.

Am Wochenende fanden auf der Ostseeinsel Rügen einmal mehr Proteste gegen die von Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck geplanten Flüssiggasanlagen statt. Mit Parolen wie „Kein LNG-Terminal auf Rügen – die Ostsee bleibt sauber“, „Hände weg von der Kinderstube der Heringe“ oder „Gesunde Meere für Klima und Natur“ machten die Demonstranten auf dem Kurplatz in Binz ihre Ablehnung deutlich. Sie befürchten nachhaltige Schäden für die Natur und negative Folgen für den Tourismus auf Rügen. 95.000 Menschen haben eine Petition unterzeichnet, die sich gegen eine Aufnahme Rügens in das LNG-Beschleunigungsgesetz richtet. Am Montag war das Ganze Anhörungsthema im Petitionsausschuss. Es scheint eine Frage der Zeit, bis der Umwelteinsatz der Rügener Bürger als russischer Beifang geoutet wird.

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"Russischer Beifang", UZ vom 12. Mai 2023



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