IG Metall will in der Stahlindustrie eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich durchsetzen

Runter statt rauf!

Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich – die IG Metall hat sich die alte Forderung der Arbeiterbewegung für die im Herbst anstehende Tarifrunde in der Stahlindustrie wieder zu eigen gemacht. Konkret will die größte DGB-Gewerkschaft durch eine Senkung der Wochenarbeitszeit von aktuell 35 auf 32 Stunden die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich in der gesamten Branche durchsetzen. „Wir wollen eine echte Entlastung für die Beschäftigten erreichen, ohne dass sie deshalb weniger verdienen“, begründete Knut Giesler, nordrhein-westfälischer IG-Metall-Bezirksleiter, gegenüber der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ in der vergangenen Woche die Tarifforderung.

Während sich 70 Prozent der Beschäftigten laut verschiedener Umfragen eine 4-Tage-Woche wünschen, ist die Kapitalseite von den Vorstellungen der Gewerkschaft naturgemäß wenig begeistert. „Die Forderung kommt völlig zur Unzeit“, so Gerhard Erdmann, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des Arbeitgeberverbands Stahl. Die Arbeitszeit weiter zu verkürzen komme aus Arbeitgebersicht nicht in Frage. Man habe bereits jetzt mit hohen Energiekostensteigerungen und den Kosten für die Transformation der Branche zu kämpfen, so der Verbandsfunktionär. Geht es nach dem Bundesverband der Deutschen Industrie, soll die Arbeitszeit sogar verlängert werden. Schon im vergangenen Jahr plädierte deren Vorsitzender Siegfried Russwurm dafür, die Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden zu erhöhen.

Beispiele aus dem europäischen Ausland belegen jedoch eindrucksvoll, dass das Modell 4-Tage-Woche funktioniert. In Island durften 2.500 Arbeitskräfte zwischen 2015 und 2019 die 4-Tage-Woche austesten. Dabei wurde die bis dahin praktizierte 40-Stunden-Woche auf 36 oder 35 Stunden – bei gleichem Lohn – reduziert. Das Experiment hatte zur Folge, dass das Recht auf verkürzte Arbeitszeiten im ganzen Land gesetzlich verankert wurde.

Eine großangelegte Studie aus Großbritannien zur 4-Tage-Woche belegt: Arbeitszeitverkürzung ist praktizierter betrieblicher Gesundheitsschutz. Von den am Versuch beteiligten 2.900 Beschäftigten fühlten sich 39 Prozent nach Einführung der Maßnahme weniger gestresst, 71 Prozent wiesen am Ende der Studie ein geringeres Burnout-Niveau auf. Angstzustände, Müdigkeit und Schlafprobleme gingen ebenfalls bei den Probanden signifikant zurück. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Produktivität in den Unternehmen während der Studie gesteigert oder zumindest gehalten werden konnte, hielten 56 von 61 Firmen nach Ende der Studie an der 4-Tage-Woche fest.

Auch in Deutschland ist die 4-Tage-Woche keine gewerkschaftliche Fiktion, sondern längst gelebte betriebliche Praxis. 1993 hat die IG Metall die 4-Tage-Woche erstmals bei Volkswagen durchgesetzt. In der Krise konnten so bei dem Automobilbauer 30.000 Arbeitsplätze gesichert werden. Inzwischen erlauben zahlreiche Tarifverträge der IG Metall die Absenkung der Arbeitszeit für Betriebe sowie Wahlarbeitszeiten für Beschäftigte. Dies gilt auch für die Eisen- und Stahlindustrie. Bei ThyssenKrupp etwa können die Beschäftigten ihre Wochenarbeitszeit zwischen 33 und 35 Stunden selbst wählen. Bei ArcelorMittal in Bremen ist eine Absenkung der Arbeitszeit auf 32 Stunden möglich. Allerdings zahlen weder ArcelorMittal noch Thyssen-Krupp einen Lohnausgleich für die individuell gekürzten Arbeitszeiten.

Einen teilweisen Ausgleich zahlen Unternehmen bisher nur bei Absenkung der Arbeitszeit in Krisen. So ermöglichen die Tarifverträge der IG Metall zur Beschäftigungssicherung eine Absenkung der Arbeitszeiten in der nordwestdeutschen Stahlindustrie bis auf 28 Stunden, wobei die Beschäftigten dann bis zu 1,75 Stundenlöhne vom „Arbeitgeber“ als Ausgleich erhalten. Nicht nur in der Stahl-, auch in der Metall- und Elektroindustrie gibt es Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung. Dort können Beschäftigte ihre Arbeitszeit individuell absenken. Bei „verkürzter Vollzeit“ ist dies sogar bis auf 28 Stunden – allerdings auch hier ohne Entgeltausgleich – möglich.

Diese Beispiele zeigen: Die Arbeitszeitverkürzung wird von der IG Metall nicht nur propagiert, sondern seit Jahren auch konkret betrieblich umgesetzt. In der anstehenden Tarifrunde gilt es nun, die 4-Tage-Woche erstmals bei vollem Lohnausgleich in einer ganzen Branche kollektiv und tariflich zu verankern. Ein Erfolg hier hätte sicher – ähnlich wie 1984 die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche – eine Signalwirkung, die weit über den Organisationsbereich der IG Metall hinausstrahlen würde.

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"Runter statt rauf!", UZ vom 14. April 2023



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