Runter kommen sie immer

Guntram Hasselkamp zum Einsturz der Autobahnbrücke an der A7

„Deutschland geht es gut“, wir sind „auf einem guten Weg“ und haben „die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung“ und natürlich auch den erfolgreichsten Verkehrsminister aller Zeiten. Letzte Woche wurde diese Erfolgsbilanz durch ein weiteres Prunkstück aufpoliert: Die Autobahnbrücke an der A7. Sie ist eingestürzt. Nicht die alte, die neue. Merkwürdigerweise herrschte Schweigen im Walde bei der ansonsten um keinen Superlativ verlegenen Qualitäts- und Jubelpresse. Ein Bauarbeiter ist ums Leben gekommen.

Made in Germany. Die deutsche Ingenieurskunst, die technologische Überlegenheit Deutschlands und meinetwegen auch der deutsche Exportüberschuss und die deutsche Fußballnationalmannschaft. Zurückhaltend und bescheiden wie „unsere“ Meinungsindustrie so auftritt, gibt sie diese Highlights gern mal bei anderen, solchen technologischen Analphabeten wie China oder Russland zum Besten. Und das macht „uns“ so beliebt in der Welt. So beliebt wie die schwäbischen Hausfrauen im Kanzleramt und in der Wilhelmsstraße.

Musste die schwäbische Hausfrau vor einigen Jahrzehnten noch „schaffe, schaffe Häusle baue“, so ist sie heute deutlich weiter. Das große Glück ihres siebten Himmels ist heute die Null. Präzise: Die schwarze Null.

Nicht erst seit dem Brückeneinsturz von Werneck erscheint dieses hehre Ziel allerdings in mancher Hinsicht suboptimal. Primär dann, wenn es mit einer zweiten, beliebten Geschichte verbunden wird. Diese geht so: Gier ist gut. Denn die ungezügelte Gier des Homo Oeconomicus erzeugt, sozusagen hinterrücks, ohne dass man weiß wie, für alle ein besseres Leben. Jedenfalls besser, als wenn man es mal mit kollektiver Vernunft angehen würde. Kurz: Privat vor Staat.

Da sich der private Egoismus dummerweise profitbedingt selten für Infrastruktur oder gar Brückenbau interessiert und der schlanke Staat sich einnahmebedingt einen schlanken Fuß machen muss, gelten etwa 2 500 Brücken im Bundesgebiet als marode und dringend sanierungsbedürftig. Viele sind schon für den Schwerlastverkehr gesperrt. In gewisser Weise ein kostenloser Dauerstresstest für die ansonsten doch möglicherweise unterforderte Rest-Verkehrsinfrastruktur.

Wie man nicht nur bei den uns in jeder Hinsicht vorauseilenden USA sehen kann, kommt mit dem Neoliberalismus auch der gnädige, ökologisch segensreiche Verfall. Irgendwann sind die Straßen und Schienen unbefahrbar und irgendwann liegen die Brücken unten. Manchmal hat man Glück und es stehen keine Menschen darauf oder darunter. Aber nicht immer.

Neu und innovativ ist, dass nun die Brücken schon zusammenkrachen, bevor sie überhaupt marode werden können. Das deutet auf eine weitere Errungenschaft hin. Die Weiterentwicklung der deutschen Ingenieurskunst durch die BWL. Warum so elend lange herumrechnen und konstruieren, wenn es auch mit über dem Daumen peilen geht. Auch die Konstruktionsleistung ist Teil des gesamtgesellschaftlichen Sparprogramms, also mitnichten sakrosankt. Da darf es keine Denkverbote geben, auch wenn sich die Herren Ingenieure erst noch daran gewöhnen müssen und manchmal auch die Autofahrer und Bauarbeiter.

Wie sagte Bildungsministerin Johanna Wanka doch so richtig „Es ist erfreulich, dass sich der Bildungsstand der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verbessert hat. Dazu tragen auch die Flexibilität und Durchlässigkeit des Schulsystems im Hinblick auf höhere Schulabschlüsse bei.“ Nur ewig Gestrige werden die laut aktuellem Bildungsbericht fehlenden 44 000 Lehrkräfte als Problem und nicht als Ansporn für „innovative pädagogische Lösungen“ empfinden. Warum immer gleich nach mehr Lehrern rufen. Mehr Tests – wie bei Frau Klump und Herr Bowlen – tun’s auch. Keine Denkverbote. So macht man Pädagogik heute.

Die Erfolge bleiben nicht aus: Das Kölner Stadtarchiv, die Eissporthalle in Bad Reichenhall, der Asphalt der A1 zwischen Bremen und Hamburg, die Lärmschutzwände auf der ICE-Strecke Köln-Frankfurt, der BER, die Elbphilharmonie, Stuttgart 21 usw. usw.

Wir sind auf einem guten Weg und Schwarz-Rosa sollte sich nicht irre machen lassen, nur weil beispielsweise die Chinesen schon jetzt mit 7 500 km über drei mal so viele Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecken verfügen wie die deutsch Börsenbahn und diese vermutlich termingerecht bis 2020 auf 16000 km ausgebaut haben werden. Das Wichtigste ist doch Privat vor Staat und das allerwichtigste die Schwarze Null. Die kann uns keiner nehmen. Und für die maroden Brücken gilt das alte Fliegermotto: Runter kommen sie immer.

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"Runter kommen sie immer", UZ vom 24. Juni 2016



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