In der nächsten Woche soll die bedingungslose Kapitulation Griechenlands vor der Europäischen Union erfolgen. Seit dem demokratischen Wahlentscheid der Griechinnen und Griechen, der Alexis Tsipras zum Ministerpräsidenten machte, läuft die Erpressungsorgie des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Union gegen Griechenland. Auf mehr als hundert Seiten hat die griechische Regierung ihre Bemühungen um eine Sanierung der Staatsfinanzen gegenüber den „Institutionen“ dargelegt und erläutert, was mit ihr geht und was mit ihr nicht geht. Nun stehen die Forderungen nach weiteren Rentenkürzungen und einer drastischen Mehrwertsteuererhöhung im Fokus. Die will die griechische Regierung keinesfalls akzeptieren. Während die „Institutionen“ die Unterwerfung Griechenlands fordern, vermutet Tsipras „politische Motive“ hinter dem Fakt, „dass die Institutionen weiterhin auf Rentenkürzungen bestehen, trotz fünf Jahren der Plünderei via der Memoranda (Reformverträge)“. Sein Land solle unter Druck gesetzt werden. Griechenland werde jedoch geduldig abwarten, bis IWF, EZB und EU auf eine realistische Position einschwenken. Sein Finanzminister, Yanis Varoufakis, verlangt längere Laufzeiten zur Schuldentilgung und einen Schuldenerlass. „Nur so“, sagte er der „Bild-Zeitung“, „können wir die Rückzahlung von so viel Schulden wie möglich garantieren und auch leisten“. Und fügte hinzu: „Wir wollen kein weiteres Geld!“ Trotz der derzeit festgefahrenen Gespräche ist er voller Hoffnung, dass es in nur einer Nacht eine Einigung geben könne. „Aber: Die Kanzlerin muss dabei sein!“
In den Fraktionen der GroKo ist der Unmut über diese „Sturheit“ der Griechen angeschwollen. Dass die neue Regierung in Athen „rote Linien“ gezogen hat – Renten, Arbeitnehmerrechte, Soziales – das können und wollen sie nicht verstehen. Die MdBs tun sich zunehmend schwer, die Bemühungen von Merkel, die sich schlau, wie sie manchmal ist, mit Hollande verbunden hat, nachzuvollziehen. Beide verfolgen aus europapolitischen und geopolitischen Gründen das Ziel, Griechenland in der Euro-Zone zu halten. Auch Außenminister Steinmeier ist in gleicher Sache unterwegs: „Wir müssen alles Verantwortbare tun, um Griechenland in der Eurozone zu halten“, sagte er jüngst in einem Interview. Selbst der EZB-Rat will das und EU-Chef Juncker warnt vor „verheerenden Folgen“ eines Grexits. BDI-Chef Grillo warnt hingegen, Euro-Mitglieder „auf Biegen und Brechen“ zu halten.
Doch einigen Bundestagsabgeordneten ist der Geduldsfaden längst gerissen. Die Unruhe wächst und die Politik der Kanzlerin wird in Frage gestellt. Auf jeden Fall müssen die Unionsabgeordneten derzeit die Übung „Folgsamkeit zur Kanzlerin“ neu lernen. In den Hosentaschen können viele die Fäuste dennoch ballen. Merkel wird ihren Parlamentariern und Mitgliedern viel erklären müssen. Aufsehen erregt hat in diesen Tagen Wendehals und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Noch vor drei Jahren, als die Pleitiers in Athen regierten, äußerte er: „Wer den Griechen jetzt Solidarität verweigert, riskiert ein Abgleiten des Landes in chaotische oder längst überwunden geglaubte autoritäre Strukturen.“ Jetzt, wo Griechenland mit einer neuen Regierung die arge Lage des Landes überwinden will, mahnt er, Deutschland und Europa dürften sich nicht von denen erpressen lassen und lässt dann via „Bild“ die Sau raus: „Und wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen (!) Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.“ Auf welches Niveau da einige Abgeordnete des deutschen Bundestages abgestiegen sind, belegen auch Zitate der MdBs Poß und Kahrs. Unter völliger Verdrehung der Tatsachen schrieb Poß in einer Stellungnahme: „Syriza verkommt zur Schutzmacht der Steuerkriminellen.“ Und für Kahrs ist der jetzige griechische Finanzminister „ein politischer Irrläufer ersten Ranges“. Ähnlich wären CDU/CSU-Abgeordnete zu zitieren. Wieder einmal ist es so, dass die Partei „Die Linke“ als einzige Bundestagsfraktion Solidarität mit der griechischen Regierung übt. In einem Gespräch mit Tsipras riet sie, die Forderungen der „Institutionen“ abzulehnen.
Alexander Kritikos vom deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin setzt darauf, dass es zum 30. Juni irgendeine Einigung geben werde. In der Tagesschau sagte er: „Es gibt vor allem zwei Möglichkeiten: Entweder man bezahlt die Rettungsmilliarden zum Teil aus, um Griechenland in die Lage zu versetzen, die IWF-Schulden damit abzulösen. Oder aber, man einigt sich darauf, dass die offenen Kredite umgeschuldet werden und die Milliarden aus dem Rettungspaket weiterhin offen bleiben, um sie noch als Verhandlungsmasse für weitere Reformmaßnahmen zu haben.“ Ist da nicht die Verlängerung der Laufzeiten zur Schuldentilgung und ein Schuldenerlass, wie es Minister Yanis Varoufakis vorschlägt, überzeugender?
Die Damen und Herren der GroKo-Bundestagsfraktionen werden in den Sommerferien in ihren Wahlkreisen viel zu erklären haben. Fluchen, Kopfschütteln und Fäuste ballen reichen nicht.