Gut gemeint, aber ärgerlich: Robert Cohen hat Teile der Gestapo-Akten zu Olga Benario herausgegeben.

Ruhmreiches Scheitern

Von Cristina Fischer

ruhmreiches scheitern - Ruhmreiches Scheitern - Benario, Politisches Buch - Theorie & Geschichte

Robert Cohen (Hrsg.)

Der Vorgang Benario.

Die Gestapo-Akte 1936–1942

edition berolina

Berlin 2016

geb., 188 S., 14,99 Euro

Olga Benario ist die bekannteste deutsche Kommunistin der 20er und 30er Jahre. Mehrere Biographien und Filmporträts wurden ihr bereits gewidmet. Ruth Werner, ehemalige Kundschafterin der Roten Armee, hatte in der DDR 1958 mit einem Bestseller-Roman den Anfang gemacht. In den vergangenen Jahren war es der US-amerikanische Germanist und Schriftsteller Robert Cohen, der zunächst einen erfolgreichen Roman („Das Exil der frechen Frauen“, 2009) verfasst hat, in dem er Olga als eine der Hauptfiguren agieren lässt

2013 hat er ihren bewegenden Haftbriefwechsel mit ihrem brasilianischen Lebensgefährten Luiz Carlos Prestes herausgegeben. Dass sein Vorwort nicht von allzu großer Kenntnis zeugte und dass es an Quellenangaben mangelte, fiel dabei weniger ins Gewicht. Bürgerliche Medien haben leider so gut wie keine Notiz von dieser wichtigen Publikation genommen.

Nun hat Cohen erneut ein Buch über Olga Benario ediert. Es basiert auf den im vergangenen Jahr online gestellten Gestapo-Akten, die zum ehemaligen „Sonderarchiv“ Moskau gehören und bisher nur dort zugänglich waren. Die Bestände, insgesamt viele Kilometer Akten deutscher Behörden, waren bei der Eroberung Berlins durch die Rote Armee beschlagnahmt worden.

Die acht Bände Akten zu Benario – sie betreffen zum Teil auch Elise Ewert, die Frau des ebenfalls von der Komintern in Brasilien eingesetzten deutschen Kommunisten Arthur Ewert – wurden bis jetzt noch von keinem Historiker ausgewertet. Cohen bezeichnet das Konvolut als „die vielleicht umfassendste Dokumentation zu einem einzelnen Opfer des Holocaust“. Nun war Olga Benario aber nicht in erster Linie ein Holocaustopfer; ihre jüdische Herkunft war für ihre Inhaftierung in Brasilien und ihre Haft in Deutschland unmaßgeblich. Erst zu einem späteren Zeitpunkt, als sie für die Gestapo uninteressant geworden war, wurde sie ihrem „jüdischen Schicksal“ und der Vernichtungsmaschinerie überlassen.

Cohens Edition ist erklärtermaßen „weder ein Geschichtsbuch noch eine Dokumentensammlung“. Er legt darin Abschriften von einzelnen ausgewählten und chronologisch geordneten Dokumenten vor, die er gekürzt und bearbeitet hat – er selbst spricht von „umfassenden Eingriffen“. Das Originaldossier, so argumentiert er, sei nur Spezialisten zumutbar. Darüber kann man verschiedener Ansicht sein.

Seine Ausgabe ist so jedenfalls für Historiker und alle Interessierten, die Wert auf Präzision und umfassende Information legen, ungeeignet. Auf Anmerkungen zu den Dokumenten wurde ebenfalls verzichtet.

Der Herausgeber ist der Meinung, es handle sich bei dem Material zugleich um „die vielleicht vollständigste Selbstdarstellung der Täter im Hinblick auf ein einzelnes Opfer“. Wenn das so wäre, stellt sich allerdings die Frage, warum auch sämtliche Angaben über „die Täter“ fehlen. Zwar ist es in vielen Fällen schwierig, Unterschriften unter den Dokumenten zu entziffern, aber oft sind die Beamten doch zu ermitteln. Und es gab durchaus Unterschiede zwischen ihnen. So scheint der Anstaltsarzt des Frauengefängnisses Barnimstraße Olga Benario ein gewisses Wohlwollen entgegengebracht zu haben – er sorgte dafür, dass sie ihr in der Haft geborenes Baby mehrere Monate länger bei sich behalten konnte, als die Gestapo es wünschte –, während der Direktor in ihr vor allem eine „durchtriebene Kommunistin“ sah.

Olga genoss anfangs einige Privilegien; so war sie in einer großen Doppelzelle untergebracht, durfte fast unbeschränkt Briefe schreiben und erhielt die ihr zugesandten Pakete. Die Gestapo duldete das mit Rücksicht auf die internationalen Proteste und in der Hoffnung, ihr ein umfassendes Geständnis ihrer politischen Aktivitäten zu entlocken.

„Die Tendenz geht dahin, sie, wie in ähnlichen Fällen, aussagegefügig zu machen, wozu sie vielleicht bereit ist im Hinblick auf das Schicksal ihres Kindes“, hieß es am 1. Mai 1937.

Diese Hoffnung wurde jedoch enttäuscht.

Ein Gestapo-Bericht vom 13. Oktober desselben Jahres hält fest, dass Olga auf einen ihr vorgelegten ausführlichen Bericht eines inhaftierten ehemaligen hohen KPD-Funktionärs knapp antwortete: „Wenn andere zum Verräter geworden sind, ich werde es jedenfalls nicht.“

Sie beschränkte ihre Aussagen konsequent auf Angaben über weit zurückliegende und harmlose Fakten ihrer eigenen Biographie. Auch eine spätere Vernehmung kurz vor Beginn des 2.  Weltkriegs, als sie bereits anderthalb Jahre KZ-Haft hinter sich hatte, erbrachte keine neuen Erkenntnisse für die Polizei, obwohl sie immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass davon ihre eventuelle Freilassung abhinge.

Sie ging jedoch keinerlei Kompromisse ein.

Noch ein Jahr vor ihrem Tod in der Gaskammer von Bernburg urteilte der Lagerdirektor von Ravensbrück über sie: „Ihre politische Einstellung ist undurchsichtig, lässt aber erkennen, dass sie sich vom Kommunismus noch nicht freigemacht hat.“

Wegen ihres Ungehorsams wurde sie u. a. mit Schreibverbot und Arrest bestraft.

Erste Rezensionen haben Cohen bescheinigt, dass er mit seiner Publikation an Peter Weiss („Die Ästhetik des Widerstands“) anknüpfe. Nur ist sein Buch leider auch literarisch von geringem Wert. Sein Vorwort entspricht weitgehend dem, das er bereits der Brief­edition vorangestellt hatte.

Anspruchslosere Leser(innen) werden sich wohl mit der Publikation schnell langweilen, zumal sie auf jegliche Illustration – abgesehen von der Abbildung einer zeitgenössischen Protestkarte mit einem gemalten Porträt – verzichtet.

Dass das Interesse an Olga Benario wachgehalten wird, wäre aber unbedingt wünschenswert.

Ungeachtet ihres Nimbus war sie letztendlich keine erfolgreiche Komintern-Agentin. Ihre Missionen in Frankreich und Großbritannien flogen jeweils nach kurzer Zeit auf und ihr Auftrag, gemeinsam mit Ewerts und anderen Genossen die Revolution in Brasilien zu unterstützten, endete im Desaster. Doch man kann auch ruhmreich und hocherhobenen Hauptes scheitern. Und das ist bis heute – gerade heute – von dieser mutigen Frau zu lernen.

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"Ruhmreiches Scheitern", UZ vom 6. Januar 2017



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