Frankreich, Deutschland, Polen und der Traum von der militärischen Großmacht

Rüstungsreigen

Kolumne

Emmanuel Macron macht Druck. Schon seit einer ganzen Weile tut Frankreichs Präsident sich mit wüsten militaristischen Forderungen hervor, drängt auf eine schnelle Ausdehnung der Rüstungsproduktion zur Belieferung der Ukraine, beharrt gar darauf, die Entsendung von Bodentruppen in das Land müsse möglich sein. Nun hat er seine pompös angekündigte Europarede am 25. April an der Sorbonne genutzt, um die Sache umfassender anzugehen. Die EU müsse sich endlich an den Aufbau einer „glaubwürdigen Verteidigung des europäischen Kontinents“ machen, verlangte er: Bereits nächstes Jahr solle sie eine Schnelle Eingreiftruppe von gut 5.000 Militärs in eine „feindliche Umgebung“ entsenden können, und um auf lange Sicht über ein einheitliches Offizierskorps zu verfügen, sei die Schaffung einer „europäischen Militärakademie“ erforderlich. Tags drauf legte er noch einmal nach: Eine „glaubwürdige Verteidigung“ benötige eigentlich auch noch eine nukleare Komponente; die wiederum könne die Atommacht Frankreich stellen. Wichtig sei bei alledem: Die EU müsse militärisch von den USA unabhängig und eigenständig handlungsfähig sein.

Scharfe Töne in Sachen Militarisierung sind schon lange auch aus Polen zu hören. Das Land hat seinen Militärhaushalt in den vergangenen Jahren dramatisch gesteigert und 2023 gut 3,9 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in seine Streitkräfte investiert; damit liegt es in der NATO auf Platz eins, deutlich vor den USA (3,49 Prozent) und Griechenland (3,01 Prozent). Polen will die größten Landstreitkräfte in Europa aufbauen; dazu beschafft es 300 Abrams-Kampfpanzer aus den USA, ungefähr 1.000 südkoreanische Kampfpanzer K2 Black Panther und allerlei weiteres Kriegsgerät, und es will seine Streitkräfte auf rund 300.000 Soldaten aufstocken; ungefähr 150.000 Reservisten kommen noch dazu. Zum Vergleich: Die Bundeswehr zählt zur Zeit kaum mehr als 180.000 Soldaten. Und Polens Präsident Andrzej Duda macht Druck: Er finde, alle NATO-Staaten müssten nicht 2, sondern mindestens 3 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in ihre Streitkräfte stecken. Außerdem hat er sich in der vergangenen Woche für atomare Aufrüstung stark gemacht: Sollten die USA auf die Idee kommen, Atomraketen in Polen stationieren zu wollen, dann werde man keinerlei Einwände haben, teilte er mit.

Zwischen Frankreich und Polen liegt Deutschland, und das trifft nicht nur auf die Geographie zu. Die Bundesrepublik rüstet ebenfalls wie verrückt. Zum ersten Mal hat sie im vergangenen Jahr 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Bundeswehr gesteckt. Längst ist die Diskussion entflammt, wie man dieses Niveau halten könne, wenn in zwei oder in drei Jahren das sogenannte Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ausgelaufen ist. Manche bringen schon ein weiteres „Sondervermögen“, das nach Ansicht des Bundesrechnungshofs eigentlich „Sonderschulden“ heißen muss, in Höhe von vielleicht 200 oder 300 Milliarden Euro ins Gespräch. Die Bundesregierung hat einen neuen Einsatzplan für die Bundeswehr erarbeiten lassen („Operationsplan Deutschland“) und bereitet den Umbau ihrer Organisationsstrukturen vor. Und sie setzt, wie Frankreich, auf die Militarisierung des gesamten europäischen Kontinents. Allerdings ist in deutschen Strategiepapieren zur Zeit eher weniger von einer gemeinsamen europäischen Armee die Rede, sondern mehr von einem „europäischen Pfeiler“ der NATO.

Das hat Gründe. Zum einen provoziert man die USA nicht, wenn man die Militarisierung offiziell im NATO-Rahmen vorantreibt. Zum anderen ermöglicht die Verbindung der Begriffe „europäisch“ und „NATO“, so unterschiedliche Staaten wie etwa Frankreich und Polen zusammenzubringen, von denen der eine sich um eine exklusiv „europäische Verteidigung“ mit europäischer Nuklearwaffenkomponente bemüht, der andere um eine klar transatlantische Militarisierung mit noch mehr US-Atomraketen auf dem Kontinent. Und: Man kann einen „europäischen Pfeiler“ der NATO flexibel einsetzen – sowohl im NATO-Rahmen als auch rein „europäisch“. Berlin vermittelt mit dem Begriff nicht nur; es hält sich zudem alle Optionen offen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Rüstungsreigen", UZ vom 3. Mai 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit