Der Ton der Kanzlerin war klagend, als fühlte sie sich ungerecht behandelt. Wenn deutsche oder europäische Autos als Bedrohung der Sicherheit „Amerikas“ bezeichnet werden, sagte sie, „dann erschreckt uns das“. Ihr Erschrecken auf der jährlichen „Münchener Sicherheitskonferenz“ war gut gespielt und wirkte fast ehrlich. Sie erhielt dafür lang anhaltenden Beifall.
Das US-Handelsministerium hatte in einer vom Präsidenten in Auftrag gegebenen Studie festgestellt, dass die Einfuhr deutscher Autos die Sicherheit der USA gefährden könnte. Das ist natürlich blanker Unsinn. Aber es ist eine Rechtfertigungsfloskel, die es der Regierung ermöglichen soll, kräftige Einfuhrzölle auf die Einfuhr von PKW zu verlangen. Auch als Präsident Trump die Einfuhr von Stahl und Aluminium aus allen möglichen Ländern mit Zoll belegte, wurde mit den Sicherheitsinteressen der USA argumentiert. Denn nach Artikel 21 des Regelwerkes der WTO (Welthandelsorganisation) ist die „nationale Sicherheit“ eine mögliche Begründung für die Errichtung von Handelsschranken. Weil es sonst schwer ist, Schutzzölle für die heimische Industrie zu begründen, greifen viele Regierungen zu dieser Generalklausel.
Frau Merkel nutzte die Klausel jetzt umgekehrt, um die Handelsfrage deutscher Autoexporte zum Thema der „Sicherheits“-Konferenz zu machen, deutete aber nicht ansatzweise an, dass die EU auch Gegenmittel in Stellung bringen könnte, wie es Jean-Claude Juncker, der scheidende EU-Kommissionspräsident, angedeutet hatte. Frau Merkel jammerte wie die Streberin in der Schulklasse gegenüber dem Lehrer, dass sie immer alles getan habe, was die Herrschenden in Washington verlangt hatten: Volle 18 Jahre beim Krieg gegen Afghanistan dabei, obwohl „wir“ solche Mühe hatten und noch haben, dem Volk weiszumachen, dass „unser“ Land am Hindukusch verteidigt werden muss. Am Ziel, 2 Prozent am BIP für die Rüstung ausgeben, werde festgehalten. Manchmal nur stelle sich die Frage – hier schien ein Anflug von Vernunft in die Kanzlerinrede zu geraten – welche Waffen denn mit dem vielen Geld beschafft werden sollten – und wohin damit? Aber es schien auch nur so.
Man möge es in Washington doch nicht missverstehen, so Merkel weiter, dass die EU ihre eigenen Truppen neben der NATO aufzubauen beginne. „Wir“ wollen keineswegs ein eigenes Ding drehen, vielmehr gehe es um Ergänzung. Und manchmal dauere es ja auch furchtbar lang, bis die NATO in die Gänge komme. Das war als Hinweis an das demonstrierende Volk draußen zu verstehen, dass „Auslandseinsätze“ in fernen Ländern zur Verteidigung des Vaterlandes künftig plötzlicher stattfinden werden. Bei Iran und Russland sei man ohnehin einer Meinung – das seien die Gegner. Nur taktische Differenzen gebe es.
An dieser Stelle kam die Kanzlerin auf den zweiten wirklichen Konflikt mit der herrschenden Weltmacht zu sprechen, nämlich Nord Stream 2. Das Gasrohr durch die Ostsee werde keineswegs, wie von den USA befürchtet, Europa von russischer Energiezufuhr abhängig machen. Die Abhängigkeit von russischem Gas – auch hier wieder ein Anflug von Vernunft – werde nicht dadurch größer, dass es am Grund der Ostsee statt durch die Ukraine fließe, denn es bleibe in beiden Fällen das gleiche Gas aus Sibirien. Beifall auch hier.
Bei Nord Stream 2 ist die Kanzlerin vor zwei Wochen knapp an einer empfindlichen Niederlage für sich und das deutsche Kapital vorbeigeschrammt. Ihr Busenfreund, der radikal neoliberale französische Präsident Emmanuel Macron, wechselte im EU-Rat plötzlich die Seite und die endgültige Genehmigung der Gaspipeline drohte zu kippen. Vielleicht handelte Macron hier nur als braver Musterschüler auf Anregung der gemeinsamen US-Freunde. Wahrscheinlicher ist, dass Macron sich dafür rächte, dass die deutsche Regierung in der Aufregung über den Mord an dem Journalisten Khashoggi den gut eingespielten milliardenschweren deutsch-französischen Waffenexport unterbrechen oder angeblich ganz stoppen wollte. Dass davon jetzt keine Rede mehr sein kann, machte die Kanzlerin in München vollkommen klar und sprach: Wenn „wir in Europa keine gemeinsame Kultur der Rüstungsexporte haben, dann ist die Entwicklung von gemeinsamen Waffensystemen natürlich auch gefährdet“.