Rührt euch!

Arnold Schölzel über den Brief an die Bundeswehr-Soldaten

Ende 2018 gab es laut Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages 181 274 Soldaten in der Bundeswehr, davon 21 931 Frauen (12,1 Prozent). 173 000 waren Zeit- und Berufssoldaten, die übrigen freiwillig Wehrdienstleistende. Bis 2025 will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Sollstärke auf 203 000 erhöhen. Das, hieß es bei Vorlage des Berichts in verschiedenen Medien, dürfte schwierig werden. Denn schon jetzt sei die Bewerberzahl rückläufig. 2018 gab es nur noch 20 000 Diensteintritte, die niedrigste Zahl in der Geschichte. Im Jahr davor waren es noch 23 500 gewesen. Im Moment rettet man sich durch die Verlängerung von Zeitverträgen. Die Bundeswehr zieht weniger, entsprechend krawallig ist ihr Werbe-Trash.

Der Rückgang bei den Diensteintritten hat offenbar mit stark zurückgehenden Bewerbungen Ostdeutscher zu tun. Zwar werden seit zehn Jahren keine Personalzahlen nach Ost- und West-Herkunft mehr veröffentlicht, aber 2016 erklärte die damalige Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), es gebe „nach wie vor massive Unterschiede bei den Löhnen in Ost und West“ und das sei verantwortlich dafür, dass die Zahl der Soldaten aus den Ost-Bundesländern hoch sei. Als sie das sagte, stammten 30 Prozent der Soldaten in sogenannten Auslandseinsätzen, also in Kriegen, von dort (bei einem Bevölkerungsanteil von 17 Prozent). 2009 stellten Ostdeutsche noch die Hälfte. In den unteren Dienstgraden betrug ihr Anteil damals 62 Prozent und in Westmedien wurde rassistisch vor einer „Ossifizierung“ und „Unterschichtenarmee“ gewarnt. Inzwischen sinkt der ostdeutsche Anteil offenbar rasch. Gleich geblieben ist: Ihr Weg zum Kommandeur bleibt versperrt: 2018 waren von 200 Generälen und Admirälen 199 im Westen geboren. Dafür stammt ein Drittel aller im Ausland getöteten Bundeswehrsoldaten aus Ostdeutschland. Sie sind Kanonenfutter.

Die Rekrutierung von Soldaten war schon immer – auch bevor zum 1. Juli 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde – eine soziale Frage: Für viele junge Ostdeutsche war nach dem DDR-Anschluss die Armee die letzte Rettung vor dem Absturz in Langzeitarbeitslosigkeit. Entsprechend niedrig war ihre Motivation, entsprechend hoch ihre Unzufriedenheit. Es ist rückblickend ein schweres Versäumnis der politischen Linken, dass sie sich faktisch nie um diese Jugendlichen gekümmert hat. Sie kamen in eine Armee, die vorgab, für Verteidigung aufgestellt worden zu sein, aber nur noch Angriffskriege führen sollte. Die wurden in Ostdeutschland laut Umfragen stets wesentlich stärker abgelehnt als in Westdeutschland. Hinzu kommt: Ostdeutschland erlebte nach dem Anschluss einen Gebärstreik der verbliebenen Frauen, die Geburtenrate halbierte sich. Diese Jahrgänge fehlen nun nicht nur der Bundeswehr.

Wer als Ostdeutscher Anfang der 90er Jahre zur Bundeswehr ging, traf dort faktisch ausschließlich auf westdeutsche Offiziere, die noch von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren ausgebildet worden waren. Das bedeutete zum Beispiel dass ein Bataillonskommandeur aus Bayern in einer brandenburgischen Kaserne für alle Besucher seines Büros deutlich sichtbar Hitlers „Mein Kampf“ als einziges Buch hinter sich im Regal platzierte. Das ging so durch wie vermutlich noch heute.

Wer heute zur Bundeswehr geht, muss wissen, dass sie zum einen von Wirtschafts- und Strategieberatungsfirmen wie McKinsey neoliberal, also korrupt zurechtgetrimmt wurde. Zum anderen: Er kommt in ein Milieu, das auf Nazis eine ungebrochene Anziehungskraft ausübt. Dort den Kopf oben und klar zu halten, nein zu sagen, wo Anstand und Recht gebrochen werden, ist nicht leicht. Der in der vergangenen Woche in der UZ veröffentlichte Brief an die Soldaten der Bundeswehr kann dabei vielleicht helfen.

Erschienen in der UZ vom 12. April 2019

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