Tagelang gab es im Norden Syriens heftige Kämpfe. Die Türkei griff kurdische Gebiete in Syrien an, da drohte US-Präsident Trump, „wenn nötig“ mit militärischer Gewalt gegen den NATO-Partner. Deutsche Politiker wollen da nicht nachstehen. Kramp-Karrenbauer fordert eine Internationale Sicherheitszone, CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter fordert gar 40 000 EU-Soldaten zum Einsatz einer Pufferzone.
Die Kämpfe wurden auf türkischer Seite vor allem von Milizen geführt, die früher für den IS oder andere islamistische Gruppen gekämpft hatten. Offenbar wurde dabei auch weißer Phosphor eingesetzt. 170 000 Menschen flohen aus den bedrohten Gebieten. Unter massivem öffentlichem Druck drohte Trump, die türkische Wirtschaft zu zerstören, würde die Türkei den Norden Syriens weiter angreifen. In Verhandlungen in Ankara mit einer hochrangigen US-Delegation wurde schließlich eine „Waffenruhe“ vereinbart.
Die versteinerten Gesichter der Mitglieder beider Delegationen zeigten: Niemand war mit dem Ergebnis zufrieden, obwohl das Abkommen die NATO-Mitgliedschaft beider Staaten und gemeinsame Interessen beschwor. Die Einheiten der SDF müssen sich demnach innerhalb von fünf Tagen aus einem Streifen von zirka 30 Kilometer Breite zurückziehen. Viele Details blieben ungeklärt, der „Waffenstillstand“ wurde nicht überall eingehalten.
Ungewiss war schon die Größe des Gebietes, aus dem sich die SDF zurückziehen sollen. Ein Sprecher der SDF sprach von einem Gebiet von 120 Kilometern Länge, das mit der Regierung der USA abgesprochen sei. Die türkische Regierung dagegen verlangte den Abzug aus einem Streifen von 440 Kilometern Länge. Die Türkei verlangt auch den Rückzug syrischer Regierungstruppen aus der Nähe der Grenze. Weitere Konflikte sind damit programmiert.
Besonders umkämpft war die Stadt Ras al-Ain, am Ende mussten sich die SDF zurückziehen. In der Stadt Ain Issa, südlich der Grenzstadt Tal Abyad, und an anderen Orten gab es Kämpfe zwischen der syrischen Armee und Einheiten der SDF auf der einen Seite und türkischen Truppen auf der anderen. Die US-Truppen zogen sich weiter zurück. Mehr als 70 gepanzerte US-Fahrzeuge rollten am Sonntag durch die Stadt Tal Tamer, in der bereits die syrische Armee stationiert ist. Die Ölfelder werden vermutlich weiterhin von US-Soldaten kontrolliert werden. Die Entscheidung darüber ist noch nicht endgültig gefallen.
Zuvor hatte die türkische Offensive gegen Syrien, der überstürzte Abzug der US-Armee, die ihre eigenen Einrichtungen nach dem Abzug von der Luftwaffe bombardieren ließ, die Einigung der SDF mit der syrischen Regierung und die Stationierung der Armee in den Gebieten entlang der Grenze zur Türkei die militärischen und politischen Beziehungen in Syrien und der Region über Nacht verändert.
Faktisch war Syrien – abgesehen von Idlib – in zwei Teile getrennt, das Regierungsgebiet und die Gebiete östlich des Euphrat unter Kontrolle der SDF. „Faktisch getrennt ja, aber auch nur faktisch“, meinte dazu der syrische Journalist Aktham Suleiman. Wie sehr er damit Recht hatte, zeigte sich mit dem Abzug der US-Truppen. Blitzartig wurden Truppen der syrischen Armee an der Grenze zur Türkei stationiert, nachdem SDF und syrische Regierung zu einer Einigung gekommen waren.
Auch wenn Damaskus die SDF in den letzten Monaten nach außen hin zunehmend als feindselige Miliz ansah – wie viele andere auch –, gaben Damaskus und die SDF direkte und indirekte Gespräche niemals auf, wie Boutheina Schaaban, eine Beraterin des syrischen Präsidenten, in einem Interview betonte.
Für die Russische Föderation ist die Situation schwierig. Fürs Erste ist ihr Versuch, mit allen Seiten der Konflikte in Syrien und der Region gut befreundet zu sein, an eine Grenze gestoßen. Das Verständnis, das Moskau für die Sicherheitsinteressen der Türkei zeigte, und das Veto bei einer Abstimmung im UN Sicherheitsrat haben sich vorerst nicht ausgezahlt. Der Angriff der Türkei, der allen internationalen Beschlüssen Hohn spricht, bedroht selbst den Astana-Prozess und damit den Kern der russischen Politik zur Lösung des Konflikts in Syrien.
Vieles wird sich erst mit Ablauf des Waffenstillstandes und dem Treffen von Putin und Erdogan in Sotschi entscheiden.