Die „Berlinale“ und ihr eigentlicher Geschäftszweck

Roter Teppich

Von Herbert Becker

Wie immer, reichlich Preise: Insgesamt in 24 Kategorien mit jeweils zwei bis drei Auszeichnungen verlief der letzte Abend der Berlinale ermüdend langweilig. Obwohl unterschiedliche Jurys ihre Auswahl trafen, hat man den Eindruck, alles sei fein austariert, niemand kann so richtig wütend sein, wer da für was einen Preis bekommen hat. Die Medien loben, gerne auch sich selbst, denn sie haben die letzten Endes „erfolgreichen“ Filme ja alle während der Festivalzeit besprochen und dabei sich lobend-kritisch benommen. Der rote Teppich kann wieder eingerollt werden, er ist ja auch so wichtig für die Klatsch-und-Tratsch-Presse. Schöne Bilder von schönen – oder zumindest gut gestylten – Menschen kann man nicht genug haben.

Der Direktor dieses „Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH“, Dieter Kosslick, hört nach 18 Jahren auf und bekam einen jeder Kirmes würdigen riesigen Plüschbären geschenkt. Die Bundesregierung gab in diesem Jahr 8,2 Millionen Euro in den Etat, dafür darf die Kulturstaatsministerin Monika Grütters auch überall dabei sein, Hände schütteln und in viele Kameras lächeln.

Viel weniger im Fokus der Öffentlichkeit steht der eigentliche Sinn und Zweck der aufwendigen Veranstaltung. Es ist der „European Film Market“ (EFM) der Internationalen Filmfestspiele Berlin, er zählt zu den wichtigsten Filmmärkten der Welt. Die Ausstellungsflächen im Gropius-Bau und im Marriott-Hotel waren seit Monaten ausgebucht. Sie sind Treffpunkt der Filmindustrie und die Distributionsplattform für alle Formen der Vermarktung. Der EFM steht für Handel mit qualitativ hochwertigem Content, so heißen im Managersprech Filme,. Wichtig ist schon seit einigen Jahren alles, was unter dem Schlagwort „Digitalisierung“ an Veränderungen und Entwicklungen in der Filmwirtschaft passiert, also auch hier Industrie 4.0, es müssen Regeln gefunden werden für Normen und Kontrollen. Mehr als 9 000 Aussteller, Lizenzhändler, Produzenten, Einkäufer und Investoren machten Rudelbildung oder verschwiegene Hinterzimmerdeals unter sich aus. Denn niemand konnte als interessierter Filmfreund, auch nicht als akkreditierter Journalist, in diese heiligen Hallen eintreten, die EFM war ausschließlich für Fachbesucher geöffnet, die einen akribischen Durchlauf ihrer Berechtigung im Vorfeld mitmachen mussten, um ein Ticket zu bekommen. Das kostete dann die Kleinigkeit zwischen 375 und 475 Euro, je nachdem, wie früh man buchen konnte.

Während sich die Berlinale mit „Berlinale Series“ der Vorführung ausgewählter Serien widmet, schafft sich der EFM mit den „Drama Series Days“ eine erfolgreiche Branchenplattform rund um das Thema Serien, hier sind die Streaming-Dienste ganz weit vorne dabei und zeigen der Branche, was man mit viel Geld und guten Kenntnissen über Sehgewohnheiten und -vorlieben alles machen kann.

Während es im Programm der Berlinale „nur“ um 400 Filme ging, die öffentlich gezeigt wurden und sich um die Wettbewerbspreise balgten, wartete die EFM mit ganz anderen Zahlen auf: 800 Filme, davon 586 Marktpremieren, zusätzlich 1 110 Marktvorführungen in 40 Kinos, ausschließlich für das spezielle Publikum. Da war ein heftiges Arbeits­pensum zu leisten, denn es galt, nicht nur Filme zu gucken, sondern dann auch noch Verhandlungen über Verleihrechte und Ausstrahlungstermine hinzukriegen. Und das mussten rund 10 000 Fachbesucher leisten und nicht das „normale“ Publikum aus rund einer halben Million Filmfreundinnen und Filmfreunden. Der Berliner Wirtschaftsminister und die Banken, die als Sponsoren dabei sind, rechnen sich eine Veranstaltung wie die Berlinale mit all ihren Zutaten glücklich: An sogenannten „konsumwirksamen Effekten“ ergeben sich rund 80 Millionen Euro, mit den „Nachlaufeffekten“ aus früheren Berlinalen käme man sogar auf 130 Millionen, die dem schwachen Berliner Bruttoinlandsprodukt gut tun.

Während „normale“ Industrieausstellungen und -messen mit ihrem Geschäftsgebaren nicht hinterm Berg halten, sind die kulturwirtschaftlichen Geschäftsfelder ein wenig verschämt, da muss es vorne ein Festival sein mit Glanz und Glamour oder ein schöner Buchpreis und Autoren zum Anstarren oder ein Kunstspektakel mit möglichst irren Performances oder schöne Musik im festlichen Glanz. Dass man Geschäfte machen will und muss, dass die Profite eingespielt werden müssen, dass es schön und edel ist, den Konkurrenten auszustechen, so etwas „Normales“ mag man dem Publikum, soll heißen den Konsumenten, nicht zumuten.

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"Roter Teppich", UZ vom 22. Februar 2019



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