Die Abstimmung in der Generalversammlung der UN erbrachte eine überwältigende Mehrheit: 143 Staaten stimmten für eine Resolution, die den Sicherheitsrat auffordert, den Antrag Palästinas auf Aufnahme in die Vereinten Nationen wohlwollend zu prüfen. Die USA waren mit ihrer Ablehnung bei dieser Abstimmung vollkommen isoliert – wie schon zuvor bei ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat gegen die Aufnahme Palästinas. Nur die USA und Israel, Tschechien, Ungarn und einige kleine Staaten stimmten gegen die Resolution. Selbst Frankreich, das neuen Einfluss im Libanon und im Nahen Osten sucht, stimmte für die Resolution.
Die USA stehen vor einem Dilemma. Israel, ihren wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten weiterhin zu unterstützen, gemeinsam die Hamas zu zerstören, einen palästinensischen Staat zu verhindern und sich zugleich von der israelischen Kriegsführung zu distanzieren gleicht dem Versuch der Quadratur des Kreises. Um die negativen Auswirkungen im Wahlkampf und auf die eigenen Interessen in der Region zu verringern, sprach die US-Regierung von roten Linien, die Israel nicht überschreiten dürfe.
Das Bataillon Netzach Jehuda, das auf der Westbank wütet, gibt ein Beispiel. Lange Zeit schien es offensichtlich, dass die US-Regierung Sanktionen wegen der Menschenrechtsverletzungen durch dieses Bataillon verhängen werde. Doch ein heftiger Protest der israelischen Regierung räumte dieses „Missverständnis“ aus dem Weg. Netzach Jehuda wird weiterhin mit US-Waffen versorgt.
Als nun US-Präsident Joseph Biden in einem Interview verkündete, die USA würden einige Waffenlieferungen stoppen, wenn Israel eine große Offensive gegen Rafah startet, erntete er sowohl Zustimmung als auch Proteste. Es geht dabei vor allem um die Lieferung von hunderten Bomben in der Größe von einer Tonne beziehungsweise 250 Kilogramm, wie sie gegen Ziele in Gaza eingesetzt werden.
Eine Lieferung wurde zumindest vorübergehend gestoppt, doch gibt es noch keine abschließende Entscheidung, was mit diesen Bomben geschieht. Vielleicht werden zusätzliche Bausätze geliefert, mit denen die Bomben zielgenauer werden.
Benjamin Netanjahu hat bereits angekündigt, Israel werde den Krieg auch ohne US-Waffen fortsetzen. Doch das ist wohl nicht nötig. Die israelischen Vorräte sind gefüllt, die rote Linie, die Biden ausgegeben hat, lässt sich flexibel interpretieren. Ohne eine „große Offensive“ gibt es womöglich auch keinen Stopp der Bombenlieferungen. Was aber, wenn es eine andauernde Reihe von kleineren Angriffen gibt?
Das israelische Sicherheitskabinett beschloss letzte Woche eine „angemessene Ausweitung“ des Krieges in Rafah – eine Ausweitung, die wohl Bidens rote Linie nicht überschreitet.
Auf einer Wahlkampfveranstaltung sprach Biden deshalb nicht etwa von einem Stopp der Waffenlieferungen, sondern forderte die bedingungslose Freilassung der israelischen Geiseln durch Hamas.
Doch die anhaltenden Proteste und der symbolische Stopp der Waffenlieferungen verändern auch das Bild, das Mainstream-Medien vom israelischen Krieg zeichnen. Selbst CNN berichtete von einem Lager, in dem palästinensische Gefangene festgehalten und misshandelt werden. Und in einem Bericht an den Kongress erklärt die US-Regierung, es gebe Fälle, in denen der Einsatz von US-Waffen gegen das humanitäre Völkerrecht verstieß.
Mittlerweile bombardiert Israel Rafah weiterhin mit Flugzeugen und Artillerie. Auch Gaza-Stadt im Norden und weitere Gebiete im Gazastreifen werden angegriffen. Die Einwohner werden von Ort zu Ort vertrieben, ohne je Sicherheit zu finden. Zuletzt waren es 300.000 aus Rafah.