Arbeiter jubeln Trump zu, Gewerkschafter werben für demokratische Kriegstreiber – keine Perspektive in den USA? Unser Autor gibt einen Überblick über die Geschichte der US-Gewerkschaften – und fragt nach Traditionslinien, die neue Gegenwehr fördern können.
Die Abschaffung der Sklaverei nach dem Bürgerkrieg (1861 bis 1865) und die bis 1877 dauernde Wiederaufbauperiode brachten Millionen Menschen in den USA Freiheiten, die ihnen vorher verweigert worden waren. Sie verwirklichten demokratische Rechte, die durch das Weiterbestehen der Rassensklaverei nach der amerikanischen Revolution unvollendet geblieben waren. In dieser Zeit nahm die moderne Arbeiterbewegung der USA Gestalt an.
Aber der Bürgerkrieg stärkte auch die Macht der Konzerne. Die Räuberbarone, die in einzelnen Staaten am Ruder saßen, gewannen Einfluss im ganzen Land. Mit der Macht auf ihrer Seite versöhnten sie sich mit der alten herrschenden Klasse der Südstaaten, sie betrogen die gerade befreiten Sklaven um ihre neuen Recht und unterdrückten die Versuche der arbeitenden Klassen, sich zu organisieren. Das wurde gestützt durch die allgemein verbreitete Ansicht, die Freiheit nicht als soziale, sondern als eine Frage individueller Rechte zu definieren, die Frage der Demokratie von der Frage der Herrschaft über die Wirtschaft zu trennen und Gleichheit als allgemeines Ziel in Frage zu stellen. Obwohl die Zirkel innerhalb der herrschenden Klasse gegeneinander kämpften, waren sie sich einig in der Abwehr der Macht des Volkes.
Die erste Welle
Im Gegensatz dazu orientierten sich die Bewegungen der arbeitenden Klassen an der radikalen Verbindung zwischen Freiheit, Demokratie und Gleichheit, die sich während des Krieges gefestigt hatte. Zersplittert wie sie waren, waren die Arbeiter allerdings nicht in der Lage, sich zu vereinigen. Im Jahr 1873 löste sich die „National Labor Union“, die erste landesweite Arbeiterorganisation in den USA, wieder auf, nachdem ihr Versuch, eine unabhängige Arbeiterpartei zu gründen, gescheitert war. In den Jahren 1876 und 1877 wurden fortschrittliche Wiederaufbau-Regierungen, die von Schwarzamerikanern angeführt wurden, in den früheren Sklavenstaaten mit Gewalt niedergeworfen. Im selben Jahr 1877 wurde eine Welle von Massenstreiks, die von den Eisenbahn-Arbeitern ausging und die städtischen Armen ergriff, gewaltsam gebrochen. Die fehlende Verbindung zwischen den einzelnen Streikbewegungen legte die Archillessehne der US-Arbeiterbewegung offen. Drei Strömungen entstanden aus diesen Niederlagen, die in den folgenden Jahren die Arbeiterorganisation prägten.
Die Hoffnung der Ritter
Die „Knights of Labor“ – die Ritter der Arbeit – entwickelten eine Gewerkschaftsbewegung, die in der Vision einer kooperativen Gesellschaft wurzelte. Gelernte und ungelernte Arbeiter, Weiße und Schwarze, Männer und Frauen organisierten sich auf kommunaler Basis. In den 1880er Jahren wuchs die Bewegung schnell an, brach dann aber ebenso schnell zusammen, weil die Ritter keine Antwort auf die Entschlossenheit der Unternehmer fanden, die Bewegung zu zerstören. Verbunden mit Volksbewegungen der Landarbeiter waren die Ritter der letzte Ausdruck einer vorindustriellen Demokratiebewegung und eine Vorform der kommunal gestützten Basisbewegungen, die seitdem in jeder Massenbewegung wieder auflebten.
Solidarität der Wenigen
Eine zweite Strömung war die „American Federation of Labor“. Als sie im Jahre 1886 gegründet wurde, deklarierte die AFL sich selbst als ein Instrument des Klassenkampfes und eine Stimme für alle Arbeiter. Aber diese Erklärungen begannen hohl zu klingen, als viele ihrer Untergliederungen Bestimmungen beschlossen, die eine Mitgliedschaft von Schwarzen, von Frauen, Mexikanern, chinesischen Immigranten und anderen ausschlossen. Mehr noch: Die AFL versuchte, ihre Unabhängigkeit zu schützen, indem sie jede Verbindung zu irgendeiner politischen Partei zurückwies. Dem lag die doppelte Absicht zugrunde, die Arbeiter vor dem Konflikt zwischen Demokraten und Republikanern zu schützen und gleichzeitig jeden sozialistischen Einfluss zu begrenzen. Aber anstatt ihre Unabhängigkeit zu fördern, führte dies dazu, dass die Verbindungen zu gewählten Politikern sich auf einer sogenannten pragmatischen Basis intensivierten, sich gleichzeitig die Visionen der Gewerkschaftsbewegung abschwächten und die AFL in die bestehende Ordnung integriert wurde. Eine weitere Konsequenz war, dass die Mitgliedsgewerkschaften, die sich in der AFL zusammengeschlossen hatten, in hohem Maße von der AFL unabhängig wurden – charakteristisch für die US-Arbeiterbewegung bis heute. Das führte zu wilden politischen Schwenks. Je nachdem, was gerade Vorteile versprach, wechselten Gliederungen der AFL problemlos von der Ausrufung militanter Streiks zur Abzeichnung sogenannter „Sweetheart contracts“ – Kuschelvereinbarungen mit den Unternehmern. Aber immerhin: Die AFL bildete in den Unternehmen fest verwurzelte Gewerkschaften, die in der Lage waren, auch ökonomische Krisen und Unterdrückung durch die Unternehmer zu überstehen.
Eine Tradition des Kampfes
Drittens bildete sich innerhalb des AFL – als eine Minderheitsströmung – eine klassenkampforientierte Gewerkschaftsbewegung. Immer wieder unterdrückt und letztlich gestützt auf Immigrantenkreise aus Europa oder isolierte Teile der Arbeiterklasse, wurde sie niemals eine dominierende Kraft. Dennoch: Bewegungen in den Kohlegruben der 1870er Jahre, bei der revolutionären Forderung nach einem 8-Stunden-Tag in den 1880er Jahren, bei den Eisenbahnern in den 1890ern und in anderen örtlichen Kämpfen schufen eine Tradition, die alle Gewerkschafter beeinflusste – selbst reformistisch oder konservativ geprägte.
Alle diese Bewegungen erlitten häufiger Niederlagen, als dass sie Siege erfochten. Um 1900 herum waren die Gewerkschaften schwach, ihr rechtlicher Status war unsicher, Gewalt seitens der Unternehmer an der Tagesordnung. Die Schwarzamerikaner des Südens waren Opfer von Rassentrennung und Lynchmorden, denen im Norden ging es nur wenig besser. Demokratische Rechte wurden Arbeitern, Immigranten und jedem verweigert, der die vorhandene Ordnung infrage stellte. Den Frauen, die rechtlich Bürger zweiter Klasse waren, wurde die Gleichheit verweigert. Die Arbeiterklasse blieb gespalten, die Macht der Unternehmer war groß wie eh und je.
Mit der Jahrhundertwende änderte sich das. Langsam gewann die AFL an Stärke. 1905 wurden die IWW (Industrial Workers of the World, „Wobblies“) gegründet, eine revolutionäre Gewerkschaft, die unter den am meisten ausgebeuteten Arbeitern gut verankert war. Andere unabhängige Gewerkschaften entstanden, während Sozialisten innerhalb der AFL an Stärke gewannen. Die „Socialist Party“ bekam eine Massenbasis und erzielte im ganzen Land Wahlerfolge. Eine Bewegung der mittleren Schichten entstand, die mit der Arbeiterbewegung sympathisierte und die gewaltsame Verletzung demokratischer Rechte zu stoppen versuchte. Innerhalb der schwarzen Communities entstanden neue Organisationen, die auf volle Rechte und bürgerliche Gleichheit drängten, während die Forderung nach gleichem Wahlrecht für Frauen und das Recht auf Geburtenkontrolle an Stärke gewann.
Von Angst zu Siegen
Der Erste Weltkrieg brachte den Gewerkschaften eine weitere Stärkung. Die Massenstreiks von 1919 zeigten die Macht und die Radikalität der Arbeiter. Der Krieg stärkte aber auch die Konzerne und den rechten Nationalismus. Die Unterdrückung abweichender Stimmen während des Krieges wurde fortgesetzt durch eine vorher nicht gekannte Unterdrückung nach dem Krieg. Die „Rote Angst“ („Red Scare“), eine von der Regierung geschürte antikommunistische Hysterie, bot den Vorwand für Massendeportationen. Communities der Schwarzen wurden von bewaffneten Korps angegriffen und die Immigration wurde durch Quoten begrenzt. Die Sozialistische Partei, die während des Krieges unter Spaltungen und Unterdrückungsmaßnahmen litt, erreichte nie wieder ihre alte Stärke. Gewalt, Massenverhaftungen und interne Streitereien untergruben die Stärke der IWW. Die Kommunistische Partei – klein, zerstritten und praktisch illegalisiert – war isoliert. Die Mitgliederstärke der Gewerkschaften halbierte sich, als die Unternehmer eine „Open Shop“-Offensive auslösten, um Gewerkschaftsmitglieder aus ihren Unternehmen zu verdrängen. Die Mitgliedschaft sank weiter während der Großen Depression, die 1929 begann. Dennoch gewann – wenn auch langsam – der militante Flügel dieser Arbeiterbewegung an Stärke. Lokal begrenzte Generalstreiks, gefolgt von einem vorher nicht gesehenen Wachstum der Gewerkschaften in den industriellen Zentren, führten schließlich zur Gründung des „Congress of Industrial Organizations“ (CIO). Der CIO organisierte seine Mitglieder rassenübergreifend, stärkte den Ruf nach Einheit durch Aktionen, denen das Prinzip der Gleichheit zugrunde lag – ein Ziel, das lange den linken Gewerkschaftern vorbehalten war. Die Kommunistische Partei begann, in dieser Bewegung eine immer stärkere Rolle zu spielen – auch in der Unterstützung progressiver Elemente der New-Deal-Politik von Franklin Roosevelt. All das wurde bitter erkämpft: Gewerkschafter starben weiter als Streikposten vor den Werkstoren oder bei rassistisch motivierten Angriffen. Antikommunistische Verfolgungen hörten niemals auf. Aber insgesamt schritt damals die Arbeiterbewegung von Sieg zu Sieg.
Imperialismus statt Erneuerung
Aber die AFL wuchs ebenfalls, so dass die Arbeiterklasse insgesamt organisatorisch wie auch ideologisch gespalten blieb. Nach dem zweiten Weltkrieg erreichte die Arbeiterbewegung den Höhepunkt ihrer zahlenmäßigen Stärke. Die größte Streikwelle in der Geschichte der USA – 1945 bis 1946 – zeigte ihre Macht. Die Möglichkeit einer von der Arbeiterklasse geführten demokratischen Erneuerung, die in den Traditionen der amerikanischen Revolution, der Phase des Bürgerkrieges und der anschließenden Wiederaufbauphase wurzelte, schien in Reichweite zu rücken. Aber diese Möglichkeit wurde zerstört. Stattdessen kam es zur Anhäufung noch größerer Macht in den Händen des Kapitals. Die USA gerieten in den Modus einer ständigen militärischen Mobilisierung mit einem dementsprechenden Apparat für die vermeintliche nationale Sicherheit. Der Kalte Krieg wurde ein Instrument zur Erweiterung des US-Imperiums. Antikommunismus, begleitet von einem erneuerten offenen Rassismus, zerstörte die bereits erreichte Vereinigung der Arbeiterbewegung.
1947 schließlich erließ der Kongress ein Gesetz, das Kommunisten verbot, führende Gewerkschaftspositionen zu bekleiden, bestimmte Formen der Solidarität, die für gewerkschaftliche Aktionen wesentlich sind, untersagte, Landarbeitern und dem Hauspersonal eine Reihe von Rechten entzog und Beamten die Möglichkeiten gewerkschaftlicher Vertretung verweigerte. Illusionen über einen krisenfreien Kapitalismus führten zum Verstummen vieler Gewerkschafter. Im Jahre 1949 schloss der CIO ein Drittel seiner Mitglieder aus antikommunistischen Gründen aus. 1956 vereinigten sich AFL und CIO – auf der Basis von Positionen des Kalten Krieges und unter Befürwortung des Kapitalismus.
Streiken für Bürgerrechte
Dennoch führten in den 1950er Jahren die in der AFL-CIO zusammengeschlossenen Gewerkschaften große Streiks durch. Unabhängig von dieser Hauptströmung der Arbeiterbewegung organisierte die Bürgerrechtsbewegung die bisher Unorganisierten. Afroamerikanische Arbeiter, die im Bereich der Reinigung sanitärer Anlagen tätig waren, Krankenhauspersonal mit afroamerikanischer und puertoricanischer Abstammung, Amerikaner mexikanischer Herkunft und Landarbeiter aus den Philippinen sowie andere an den Rand gedrängte Arbeitende kombinierten ihre Streiks mit der Forderung nach demokratischen Rechten. Die „Black Liberation Movement“, die Bewegung für die Rechte der schwarzen Bevölkerung, verstärkte ihren Widerstand gegenüber rassistischen Managern und ihren Komplizen in der Gewerkschaft. Die Bewegung zur Befreiung der Frauen erreichte Erfolge innerhalb der Gewerkschaften und fuhr fort, vor allem jüngere Frauen zu organisieren. Desillusionierte Veteranen des Vietnam-Kriegs, oft beeinflusst durch die antiautoritäre Bewegung, forderten die Unternehmensleitungen heraus. Das Ergebnis war ein Aufschwung wilder Streiks, der vergleichbar war mit denen von 1877, 1919 oder 1945/46.
Neue Angriffe, neue Einheit
Diese Bewegungen blieben stecken, die organisierte Linke blieb isoliert, während ein in sich zerstrittener AFL-CIO sich weigerte, die militanten Arbeiter zu unterstützen. Die Unternehmer starteten in den späten 1970er Jahren eine Gegenoffensive, die nach der Wahl von Ronald Reagan zum US-Präsidenten 1980 an Fahrt aufnahm. Sowohl die Globalisierung als auch die Gentrifizierung der Städte und die parallel sich vollziehende Deindustrialisierung vieler Gebiete unterminierte die Stärke der Gewerkschaften strukturell – und gleichzeitig gerieten sie in praktisch allen Sektoren der Wirtschaft unter direkten Druck der Unternehmer. Anders als nach dem Bürgerkrieg oder den beiden Weltkriegen resultierte diese Offensive von rechts aus dem Schwinden der Macht der USA, die durch ihre Niederlage in Vietnam sichtbar wurde – das ist einer der Gründe dafür, dass diese Angriffe, die nun schon vier Jahrzehnte andauern, so unerbittlich sind.
Seit der Bankenkrise von 2008 haben die Gewerkschaften auf der Suche nach Antworten auf diese Krise und der Aktivitäten von Arbeiterinnen und Arbeitern mehrere Umbrüche hinter sich. Streiks sind effektiver geworden und Niedriglöhner haben durch direkte Aktionen und politisches Engagement Erfolge erzielen können. Gewerkschaften des AFL-CIO haben die Organisation von Arbeiterinnen und Arbeitern aus dem sogenannten informellen Sektor unterstützt und anerkannt, dass „Einheit“ auch bedeutet, die Bedürfnisse der Kommunen und schwarzen Communities in ihre Kämpfe einzubeziehen. Auseinandersetzungen zwischen dem radikalen und dem opportunistischen Flügel wird es weiter geben. Aber es gibt eine neue Offenheit gegenüber dem Gedanken des Sozialismus und gegenüber einem Weg, der den Kollektivismus der „Knights of Labor“, der Arbeitsplatzorientierung des AFL und der Solidarität der linksorientierten Gewerkschafter aus den industriellen Kernen vereint. Diese Möglichkeit ist am Horizont sichtbar, es ist die Aufgabe der Arbeiterbewegung, sie zu ergreifen.
Aus dem Englischen von Manfred Sohn