Die Bürgerschaftswahlen haben zu einer kleinen Sensation innerhalb des bürgerlichen Politikbetriebs geführt. Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die CDU stärker als die SPD aus den Wahlen hervorgegangen. Zwar sieht das Ergebnis der bremischen Sozialdemokraten mit 24,66 Prozent gegenüber den 15,5 Prozent, die die SPD laut der aktuellen INSA-Umfrage erreichen würde, noch fast rosig aus, doch kommt es an der Weser fast einer Götterdämmerung gleich.
In den bürgerlichen Medien wird oftmals der derzeitige Bürgermeister Carsten Sieling für die schlechten Resultate verantwortlich gemacht. Und tatsächlich empfindet wohl kaum ein Bremer besondere Sympathie für Sieling, der sich durch seinen ausgeprägten Beamtencharme als „Landesvater“ auszeichnet. Vergleicht man Sieling mit seinem CDU-Konkurrenten Carsten Meyer-Heder, seines Zeichens geschäftsführender Gesellschafter des 1 000 Mitarbeiter starken IT-Unternehmens „team neusta“, hätte die Bürgerschaftswahl jedoch mit einer absoluten Mehrheit für die SPD enden müssen. Meyer-Heder versuchte im Wahlkampf, seine zur Schau gestellte Kompetenzlosigkeit für „frischen Wind“ auszugeben.
In Wirklichkeit liegt der Grund für die Wahlschlappe der Sozialdemokraten jedoch tiefer. Laut Zahlen von „infratest dimap“ trauen immer weniger Wahlberechtigte der SPD zu, in den ihr zugeschriebenen Kernthemen positiv zu wirken: Nur noch 29 statt bei der letzten Wahl 46 Prozent meinen, die SPD könne für bezahlbaren Wohnraum sorgen. Ähnliches gilt für Arbeitsplätze (26 statt 36 Prozent) und soziale Gerechtigkeit (30 statt 41 Prozent). Dementsprechend stark fiel auch das Wahlergebnis der Partei „Die Linke“ aus, die – statt 5,5 Prozent bei der Europawahl – 11,37 Prozent erreichen konnte. Das vergleichsweise gute Ergebnis der Partei „Die Linke“ führt in Verbindung mit der neugewonnenen Stärke der Grünen (17,51 Prozent) dazu, dass es an der Weser zwei mögliche Regierungskoalitionen gibt: CDU-Grüne-FDP (‚Jamaika‘) mit 46 Sitzen und SPD-Grüne-Linkspartei mit 48 Sitzen.
Im Vorfeld der Wahl hatte es von Seiten der Sozialdemokratie wie der Linken deutliche Signale für „Rot-Rot-Grün“ gegeben, die Grünen betonten jedoch immer wieder, zu beiden Koalitionen bereit zu sein. Es komme ihnen auf die Durchsetzung ihrer Inhalte an. Da es nach den Konventionen des bürgerlichen Parlamentarismus üblich ist, dass die stärkste Partei mit der Einladung zu Verhandlungen beginnt, liegt die Initiative im Moment bei Meyer-Heder und der CDU, die bereits am Wahlabend begonnen hatten, der Grünen-Spitzenkandidatin Maike Schaefer den metaphorischen Honig ums Maul zu schmieren. Diese hatte jedoch bereits darauf hingewiesen, wie groß die programmatischen Unterschiede gerade zur FDP seien, die sich einem grünen Anstrich des Kapitalismus hartnäckig verweigert.
Die wahrscheinlichere Variante ist daher ‚Rot-Rot-Grün‘, die obendrein auch unter der Wählerschaft beliebter ist, wie Meinungsumfragen ausweisen. Um jedoch die eigene Verhandlungsposition stark zu halten, muss von Seiten der Grünen noch weiter öffentlich mit „Jamaika“ geliebäugelt werden. In den Verhandlungen würde es den Grünen, neben den immer begehrten Senatorenposten, vor allem darum gehen, die ablehnende Haltung der Linkspartei zur sogenannten Schuldenbremse aus der Welt zu schaffen, die von der bremischen Finanzsenatorin Karoline Linnert (ebenfalls Grüne) leidenschaftlich verfochten wird.
Damit allerdings rennen die Grünen beim maßgeblichen rechten Flügel der Bremer Linkspartei offene Türen ein. Deren Spitzenkandidatin Kristina Vogt hat bereits ihre Treue zu Recht und Gesetz öffentlich bekundet und will nunmehr statt einer Abschaffung der Schuldenbremse Gesellschaften in öffentlichem Eigentum gründen, die sich anstelle des Landes verschulden könnten. Ob diese juristisch möglich und in Koalitionsverhandlungen durchsetzbar wären, steht allerdings in den Sternen. Dennoch – oder gerade deshalb – ist der Kurs in der Hansestadt auf „Rot-Rot-Grün“ gesetzt. Zu deutlich wurde der linke, regierungskritische Flügel der Bremer Linkspartei auf einem Landesparteitag öffentlichkeitswirksam abgekanzelt. Zu groß ist der Wunsch der Parteirechten, nicht mehr Schmuddelkind, sondern Regierungsmitglied zu sein. Oder, wie es Kristina Vogt bei Facebook umschrieb: „Mir geht es um Veränderung und anders als vor 40 Jahren weiß ich, das geht nur schrittweise.“
Veränderungen im Sinne der Arbeiterklasse sind derweil von einer „rot-rot-grünen“ Regierung in Bremen nicht zu erwarten. Selbst wenn man den rechten Granden der Bremer Linkspartei nur beste Absichten unterstellt, sind die parlamentarischen Spielräume in Bremen ausgesprochen klein. Dafür sorgt neben der Rolle der Linken als kleinster Koalitionspartnerin die bereits angesprochene Schuldenbremse ebenso wie die strukturellen Probleme des kleinsten Bundeslandes.