Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an die Deutsch-Stunden, in denen man die Romantik durchpaukte. E. T. A. Hoffmann, Joseph von Eichendorff oder Achim von Arnim werden wohl auch Jahre nach der Schule nicht wenigen den Angstschweiß aus den Poren pressen. Neben allerlei süß-säuerlichem Weltschmerz einer versagten Liebe zeichneten die Autoren abseits der zu erzählenden Geschichte – meist unabsichtlich – ein utopisches Bild ihrer Gesellschaft. Die neuen Widersprüche, die der aufkeimende Kapitalismus mit sich brachte, versuchten sie mit der alten, feudalen Ordnung zu vereinbaren.
Am anderen Ende steht „Ada“, so scheint es einem zumindest. Das neue Magazin für alles Neue, Hippe und Digitale, herausgegeben von der Handelsblatt GmbH, will dem Leser helfen, „heute das Morgen zu verstehen“. So erfährt man in der aktuellen, dritten Ausgabe auf 122 Seiten für 8,90 Euro vermeintlich alles, was sich der Kapitalist von heute von der Digitalisierung erhofft, und das Blatt zeichnet nebenbei ein utopisches Bild eines gut funktionierenden Kapitalismus aus Glasfaser und Datenströmen.
Digitalbanken und Erdgasautos sind die heißen Themen, während Kants „Kategorischer Imperativ“ die nötige Legitimation für die zukünftige (Selbst-)Ausbeutung bringen soll. Auf Veränderungen der Arbeitswelt geht man ein und fragt sich, ob ein fester Arbeitsplatz heute noch überhaupt nötig ist. Aber auch „kritische“ Worte fehlen nicht. So erklärt der Nestlé-CEO Mark Schneider im Interview auf sechs Seiten, warum der Veganismus „nicht das Zeug zum Mainstream“ hat. Die Jura-Professorin Katharina Pistor braucht dagegen nur eine Seite, um zu erklären, warum Regierungen keine Angst vor der Facebook-Währung „Libra“ haben müssen.
Es kristallisiert sich beim Lesen recht schnell heraus, wie die Verjüngungskur des alten, stinkenden und marodierenden Kapitalismus passieren soll. Künstliche Intelligenz, oder kurz KI, heißt der Wegbereiter für mindestens nochmal 500 Jahre Kapitalismus. Ob Klimawandel oder überfüllte Megacities, alles kein Problem, KI wird es schon richten. Von demokratischer Teilhabe spricht hier keiner. Da bietet sich an, die Träume in die Ferne schweifen zu lassen, beziehungsweise sich ein Versuchsfeld möglichst weit weg vom Leser und den zahlungskräftigen Konsumenten zu suchen. Ausführlich wird unter dem Titel „Wolfsburg in Kigali“ über den Test eines neuen Mobilitätskonzeptes des Volkswagen-Konzerns in Ruanda berichtet.
„Ada“ und die Romantiker zeichnen ungewollt ein utopisches Bild. Der Unterschied liegt im Detail. Die einen standen am Anfang und wollten ihn nicht wahr haben, die anderen am Ende und wollen ihn ebenso nicht erkennen. Wie die Romantiker kein Wort über das Elend der Arbeiter wie auch zum Überfluss der neuen Herren zu sagen hatten, hat „Ada“ kein Wort übrig für die Zerwürfnisse, die die Digitalisierung unter kapitalistischen Bedingungen den Menschen beschert. Aber auch kein Wort über die Entwicklungsmöglichkeiten, die in der Digitalisierung stecken, wenn sie sich in einer Planwirtschaft in öffentlicher Hand unter demokratischer Kontrolle entfalten könnte. „Wer wagt, durch das Reich der Träume zu schreiten, gelangt zur Wahrheit“, sinnierte einst E. T. A. Hoffmann. Das sei auch „Ada“ empfohlen, denn der Kapitalismus ist auch enttäuschende Liebe.