Eine Kunstausstellung, die ihrem Anspruch nicht gerecht wird

Risse – Widersprüche

Von Herbert Becker

Der Katalog zur Ausstellung ist erschienen im Sandstein Verlag Dresden, 200 Seitean mit 136 farbigen Abbildungen, 38,- Euro.

Der „Kunstpalast“ Düsseldorf zeigt noch bis Januar 2020 eine Ausstellung zur Kunst in der DDR unter dem Titel „Utopie und Untergang“.  Sie passt in die aktuelle Praxis deutscher Museen, nach vielen Jahren des Schweigens, des Versteckens in den Depots, vermehrt die künstlerischen Produktionen der DDR wieder zu zeigen. Zu fragen ist nach den Interessen, die hier zum Tragen kommen, und nach den jeweiligen Kriterien, nach denen solche Ausstellungen kuratiert werden.

In Düsseldorf gibt der Schirmherr, Bundespräsident Steinmeier, in seinem Grußwort die Richtung an: „ Auch unter den ungleich schwereren Bedingungen in der DDR, also unter politischem Druck auf Kunst und Künstler, sind, wie wir sehen, herausragende Kunstwerke entstanden. Denn auch in solcher Lage kann sich das Individuum in seinen kreativen Werken zum Ausdruck bringen. Auch und gerade wenn sich die Kunst jedem sogenannten gesellschaftlichen Auftrag entzieht.“ Soll meinen, wir sollen zwar bedenken, dass die DDR ein „Unrechtsstaat“ war, aber der Einzelne, besonders wenn er als Künstler tätig ist, lässt sich nicht vollständig vereinnahmen. Der Kurator der Ausstellung, Steffen Krautzig, gab den Rahmen für die getroffene Auswahl vor: „In der DDR entstandene Kunst betrachten wir heute anders als vor 30 Jahren. Schon immer haben sich die Funktionen von Kunstwerken historisch gewandelt. Mit dem Ende der DDR verloren die Werke ihre konkrete politische Funktion.“  Seine Unterstellung, dass es den hier gezeigten Künstlerinnen und Künstlern um eine nebulöse „Utopie“ gegangen sei bei Strafe des „Untergangs“, macht seine und der weiterer Verantwortlicher Sicht- und Denkweise deutlich.

Die Auswahl beschränkt sich auf 13 Künstlerinnen und Künstler, die immer oder für längere Zeit in der DDR gearbeitet haben. Auffällig ist bei denen, die als „Dissidenten“ in den Westen vor 1989 wechselten, dass sie dann an der Düsseldorfer Kunstakademie als Lehrer tätig und mit Kunstpreisen in und um Düsseldorf bedacht wurden. Dieser Provinzialismus macht die Auswahl ein wenig fragwürdig, allein wenn man bedenkt, wer alles fehlt. Zu den 13 „Auserwählten“ zählen Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte, Werner Tübke, aber auch A. R. Penck oder Cornelia Schleime. Jedem der 13 ist ein eigener Raum gewidmet, mehrere – bei manchen bis zu zehn – Einzelstücke hängen an den Wänden. Wichtig schien den Ausstellungsmachern, dass jeweils ein kurzer biografischer Text im Raum platziert wurde und dabei dann noch Erläuterungen, die es in sich haben. Bei Heisig liest man, er habe sich gegen „eine dogmatische Ausklammerung der Moderne“ gestellt und deshalb sei er als Rektor der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst geschasst worden. Das ausdrucksstarke Porträt eines „Brigadiers“, kurz nach seiner Entlassung gemalt, zeigt deutlich, wie wenig man verstehen wollte, dass Kritik nicht gleichbedeutend ist mit einer gewünschten Abkehr von der politisch-ideologischen Haltung. Dass Wolfgang Mattheuer schon früh im Westen, so im Hamburger Kunstverein oder in Kassel auf der „documenta 6“, ausstellen durfte, ging wohl nur, weil ihn „die Staatssicherheit an der kurzen Leine führte“.

Bei Willi Sitte überschlägt sich sowohl der Katalog wie die Eintragung im Ausstellungsraum. Es kann und darf nicht sein, dass ein Künstler sich so engagiert im Verband Bildender Künstler der DDR, ja, es sogar bis ins Zentralkomitee der SED und in die Volkskammer schafft, der Vorwurf des „Staatskünstlers“ wird wiederholt. Man stellt an der Wand die Frage, ob ein solcher Kulturpolitiker überhaupt als Künstler akzeptiert werden könne; man gesteht ihm dann zu, dass er sich wohl als „Welterklärer und Weltendeuter“ im Sinne einer visionären Vorschau gesehen habe. Die kraftvollen Bilder, die sich der Betrachter anschauen kann, zeigen einen in seiner Zeit und in seiner Gesellschaft hellwachen Maler, der seine Motive und seine Malweise nicht von den manchmal knöchernen Kunst- und Kulturfunktionären beeinflussen ließ.

Auch Werner Tübke ergeht es weder im Katalog noch im Ausstellungsraum besser. Die zum Teil heftigen Debatten und Streitigkeiten über seine Malerei, seine Motivwahl, seine „surrealistische Verrätselungstaktik“werden dafür genutzt, die Auffassungen, die Partei und Staat zur Kunst hatten, als kleingeistig und engstirnig zu denunzieren. Dass man gerade Tübke den Auftrag gab, das monumentale Rundbild zur „Frühbürgerlichen Revolution“ in Bad Frankenhausen zu malen, passt dann so nicht ins rechte Bild. Von diesem aufwendigsten „Auftragswerk“ der DDR ist eine kleines Gemälde, das als motivische Vorfassung entstand, in der Ausstellung zu sehen unter dem Titel „Weihnachtsnacht 1524“ und lässt zumindest ahnen, was Tübke dann in Frankenhausen geleistet hat.

Ganz anders hingegen die Präsentation, die man für A. R. Penck sich ausgedacht hat: Hier haben wir nun „endlich“ einen Maler, dessen Werke im „größtmöglichen Gegensatz zu den Anforderungen des Sozialistischen Realismus“ stehen. Dass Ralf Winkler sich ein Pseudonym zulegte, lag daran, dass er im Westen ausstellen wollte, da ihn in der DDR niemand wichtig nahm. Schon Jahre vor seiner Ausbürgerung, die er sehnlich herbeiwünschte, schrieb er klar und deutlich: „Mein Raum, mein Weg, mein Ziel, meine Mittel, an wen verkaufen? Das ist das Problem.“ Im Westen hatte er das Problem nicht mehr, hier galt er als führender Kopf der „Neuen Leipziger Schule“, wurde permanent ausgestellt, bediente das Feuilleton und den Kunstmarkt mit immer neuen Farborgien und durfte ab 1989 für satte 16 Jahre den Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie geben.

Schade ist, dass nichts von den ausgestellten Künstlerinnen und Künstler zu sehen ist, die weiter gelebt und gearbeitet haben, was von ihnen nach der Konterrevolution 89/90 geschaffen wurde. Es ist doch spannend, den Fragen nachzugehen: Wie haben die Einzelnen auf diese Zäsur reagiert, haben sie resigniert, haben sie ihre künstlerische Arbeit eingestellt? Trifft das polemische Wort vom „Untergang“ auch auf sie persönlich zu? Was die gerade zu Ende gegangene Ausstellung „Zeitzeichen“ in der Ladengalerie der „jungen Welt“ zeigte: Viele Künstlerinnen und Künstler der DDR haben nach 1989 ihre Werkzeuge nicht in den Staub fallen lassen, sondern weitergemacht. Davon ist leider in Düsseldorf nichts zu sehen. Denn, um es mit den Worten von William Faulkner und den zustimmenden von Christa Wolf zu sagen: „Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“

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"Risse – Widersprüche", UZ vom 20. September 2019



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