Zum 200. Geburtstag von Mathilde Franziska Anneke

Revolutionärin, Kämpferin für Frauenrechte

Von Gerhard Feldbauer

„Kurz: In dem großen Freiheitskampfe, der sich durch ganz Europa verbreitet, wird die Pfalz und Baden auf der Seite der Freiheit gegen die Knechtschaft, der Revolution gegen die Contrerevolution, des Volks gegen die Fürsten, des revolutionären Frankreichs, Ungarns und Deutschlands gegen das absolutistische Russland, Österreich, Preußen und Bayern stehn; und wenn die Herrn Heuler das Landesverrat nennen, so wird in der ganzen Pfalz und in ganz Baden kein Hahn darnach krähen.“

Friedrich Engels, Die revolutionäre Erhebung in der Pfalz und in Baden (aus: „Der Bote für Stadt und Land“ Nr. 110 vom 3. Juni 1849), MEW, Band 6, S. 526

Mathilde Franziska Anneke (um 1840)

Mathilde Franziska Anneke (um 1840)

( public domain)

Mathilde Franziska Anneke, Teilnehmerin an der deutschen Revolution1848/49, danach eine herausragende Persönlichkeit der amerikanischen Demokratie- und Frauenbewegung, wurde am 3. April 1817 im westfälischen Sprockhövel, einer heute 25 000 Einwohner zählenden Kleinstadt, geboren. Nach der Scheidung von ihrem gewalttätigen Ehemann lebte sie als alleinerziehende Schriftstellerin mit einer kleinen Tochter unter schwierigen sozialen Verhältnissen.

Ordonnanzreiterin in der Revolutionsarmee

Mit ihrem zweiten Mann Fritz Anneke, einem ehemaligen preußischen Artillerieoffizier, Mitglied der Kölner Gemeinde des Bundes der Kommunisten, nahm sie in der letzten Etappe der deutschen Revolution 1849 an den Kämpfen in den Reihen der badisch-pfälzischen Revolutionsarmee teil. Bereits 1853 erschien in den USA, wohin die Annekes nach der Niederlage der Revolution mit Zehntausenden anderen flüchteten, die Erstausgabe ihrer „Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Kriegszug“.[1]

Noch heute widerspiegeln diese Erinnerungen die leidenschaftliche Anteilnahme, den Schmerz über die Niederlage, die Trauer über den Verlust so vieler, die ihr Leben hingaben. Sie schreibt, dass sie auch aus Liebe zu ihrem Mann in den Krieg zog, um dann zu gestehen, dass aber vor allem „der Hass, der glühende, im Kampf des Lebens erzeugte Hass gegen die Tyrannen und Unterdrücker der heiligen Menschenrechte“ sie getrieben habe. Ihre Aufzeichnungen endeten mit den Worten: „Lebe wohl, deutsche Erde! Lebe wohl, mein armes unglückliches Mutterland.“

Mathilde war im badisch-pfälzischen Feldzug 1849 Ordonnanzoffizier im Freikorps von Oberst August Willich, in dem Friedrich Engels Stabschef und Adjutant war, und in mehreren Gefechten dabei. Ihre Memoiren enthalten detaillierte Schilderungen der Kämpfe, so auch wie Engels bei Rinnthal als Kommandeur eines Seitendetachements (Seitenabsicherung) mehrere Stunden „zeitweise im dichtesten Feuer“ stand. „Sein Eifer und sein Mut wurden von seinen Kampfgenossen ungemein lobend hervorgehoben“, schrieb sie.

Auf dem Wall der Festung Rastatt

Unterhalb der Festung Rastatt an der Murg stellten sich am 28./29. Juni 1849 noch 13 000 Kämpfer der Revolutionsarmee der Übermacht von über 40 000 Mann des preußischen Interventionskorps zur letzten Schlacht, die sie, gestützt auf die weitreichende schwere Festungsartillerie, trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit lange Zeit dominierten und die Preußen an verschiedenen Abschnitten sogar weit zurückwarfen. Mathilde verfolgte die zweitägigen erbitterten Kämpfe vom Wall der Festung aus, während ihr Mann unten an der Murg die Artillerie kommandierte. Die Preußen konnten die Schlacht erst für sich entscheiden, als sie überraschend über das neutrale Württemberg vorstießen, die badisch-pfälzischen Einheiten unter dem Kommando des polnischen Revolutionärs Ludwik Mieroslawski umgingen und dessen rechten Flügel zerschlugen. Während ein Teil der Truppen nach der Niederlage sich in die Festung zurückzog, marschierten etwa 7 000 Mann nach Süden. Mit einer Nachhut des Freikorps Willich deckte Engels den Rückzug, der am 11. und 12. Juli bei Lottstetten mit dem Übertritt in die Schweiz endete.

Der Exekution entkommen

Um die Zivilbevölkerung vor dem Artilleriebeschuss zu bewahren, kapitulierte Rastatt am 23. Juli. Der preußische Befehlshaber, General Graf von der Groeben, der eine angemessene Behandlung der Gefangenen zugesagt hatte, ließ stattdessen sofort den Festungskommandanten Oberst Gustav Tiedemann und 27 seiner Offiziere standrechtlich erschießen. Zahlreiche weitere folgten. „Ich habe fast alle gekannt“, schrieb Mathilde. Die Henkersknechte nennt sie „preußische Standrechtsbestien“. Hunderte starben in den Kasematten der Festung ohne medizinische Hilfe an Typhus, Unzählige wurden heimlich ermordet, Tausende fielen im ganzen Land dem Terror der Feudalreaktion zum Opfer, Zehntausende wurden gerichtlich verfolgt, insgesamt 700000 Teilnehmer an den Erhebungen 1848/49 in die Emigration getrieben.

Mathilde und Fritz gelang es zu entkommen, bevor die Preußen den Belagerungsring um die Festung schlossen. Über Straßburg und die Schweiz flohen sie in die USA, wo sie sich zunächst in Milwaukee (Wisconsin), einer Stadt mit zahlreichen Deutschstämmigen, niederließen. Fritz kämpfte später, wie viele aus der badisch-pfälzischen Revolutionsarmee, im Bürgerkrieg als Oberst in den Reihen der Unionstruppen.

Gefecht bei Kirchheimbolanden am 14. Juni 1849; mit der Fahne Mathilde Hitzfeldt

Gefecht bei Kirchheimbolanden am 14. Juni 1849; mit der Fahne Mathilde Hitzfeldt

( public domain)

Ringen um politische und soziale Gerechtigkeit

In Deutschland von bourgeoisen Schreiberlingen als „Flintenweib“ diffamiert, galt sie in den USA als die bedeutendste Frau der Achtundvierziger, die ihren revolutionären Überzeugungen treugeblieben waren. Ihr Wirken dort um politische und soziale Gerechtigkeit fand große Anerkennung. Sie hielt Vorträge über die deutsche Revolution, über Literatur des Vormärz (Heine, Herwegh, Freiligrath), engagierte sich in fortschrittlichen und politisch radikalen Gruppierungen, trat der Gemeinde der Freidenker bei und wurde später Gründungsmitglied der Frauensektion der I. Internationale. Ab 1852 gab sie die „Deutsche Frauenzeitung“ heraus, die sie zweieinhalb Jahre leitete und zu einer für diese Zeit erstaunlichen Auflage von 2 000 Exemplaren brachte. Auf ihren zahlreichen Vorträgen forderte sie Gleichberechtigung und vor allem das Wahlrecht für Frauen, trat für die Aufhebung der Sklaverei und für die Trennung von Kirche und Staat ein. Von der Leidenschaft, mit der sie sprach, zeugten Worte wie diese: „Auf denn, Ihr Schwestern! Werft den hohlen Flitter des Putzes und der Eitelkeit ab und schafft, dass Euch der Mann um dessentwillen liebt, was Ihr seid.“ In diesem kampferfüllten Leben gebar sie sieben Kinder, von denen sie fünf begraben musste.

Ab 1860 längere Zeit in Europa, gehörten zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis die amerikanische Schriftstellerin Mary Booth, Georg und Emma Herwegh, Gottfried Keller, Ferdinand Lassalle und Gräfin Hatzfeld. Einem neuen revolutionären Aufschwung in Deutschland räumte sie keine Chancen ein.

Ein Mädchen-Institut, orientiert an der Pädagogik Friedrich Fröbels

Zurück in den USA, gründete sie mit der Lehrerin Cäcilie Kapp, die sie in der Schweiz kennengelernt hatte, 1865 in Milwaukee ein Mädchen-Institut mit Internat, das sich an der Pädagogik Friedrich Fröbels orientierte. Neben Literatur wurde großer Wert auf Mathematik und Naturwissenschaften gelegt und den jungen Frauen eine Lebenssicht vermittelt, die aus dem Kreis „Kinder, Kirche, Küche“ herausführen sollte. Das in den USA hoch angesehene Institut zählte bis zu 65 Schülerinnen.

Mathilde Franziska Anneke starb am 25. November 1884 in Milwaukee. Zu einer großen Zahl von Nachrufen gehörte auch der in der „New Yorker Zeitung“, den die „Hattinger Zeitung“ ihrer Heimatstadt unter der Überschrift „Eine berühmte Deutsch-Amerikanerin“ abdruckte. Dass Mathilde eine ehemalige Bürgerin der Stadt war, geriet jedoch bald wieder in Vergessenheit. Erst ein Jahrhundert später änderte sich das.

Späte Ehrung

Lange Zeit in Deutschland ignoriert, fand sie seit dem Nachdruck ihrer Memoiren 1976 in Bochum auch in ihrem Geburtsland Aufmerksamkeit. Am Geburtshaus Overleveringhausen in Sprockhövel erinnert eine Gedenktafel an sie. 1988 gab die Bundespost über sie eine Briefmarke in der Reihe „Frauen in der deutschen Geschichte“ heraus. In den 1980er Jahren fand sie Aufnahme in das Figurenprogramm des Kölner Rathausturms. Die von der Bildhauerin Katharina Hochhaus gestaltete Figur wurde 1995 an der Ostseite des Turmes aufgestellt. Auskunft über Leben und Wirken Mathildes gibt auch das 1986 eingerichtete Stadtarchiv von Sprockhövel, dessen Grundstein mit Kopien des Nachlasses der Familie Anneke aus den USA gelegt wurde.

Über das kampferfüllte Leben der prominenten Einwohnerin hat die Leiterin des Archivs ihrer Geburtsstadt, Karin Hockamp, eine eindrucksvolle Biografie verfasst. Unter dem Titel „Von vielem Geist und großer Herzensgüte“ hat sie der Universitätsverlag Brockmeyer Bochum im November 2012 herausgegeben.[2] Es ist eine fundierte Publikation, gut mit Quellen belegt, einprägsam und menschlich einfühlsam geschrieben, mit zahlreichen Abbildungen illus­triert. Dass die Teilnahme an der Revolution in Deutschland, die Ma­thildes weiteres Leben entscheidend prägte, zu kurz kommt, ist der Tatsache geschuldet, dass Karin Hockamp sich in ihrer Biografie auf ihr atemberaubendes Leben in den USA konzentrierte.

In ihrem Vorwort schrieb die Verfasserin: „In Zeiten, in denen Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und gleiche Chancen auf Bildung und Wohlstand auch in unserer Gesellschaft in erschreckendem Maße zur Disposition stehen, Werte und Maßstäbe einem dramatischen Wandel unterliegen, kann nicht genügend auf den radikalen Humanismus der Mathilde Franziska Anneke und ihr lebenslanges Streben nach einer besseren Welt hingewiesen werden. Sie hat, allen Schwierigkeiten und Schicksalsschlägen zum Trotz, ihre Ideale nicht nur propagiert, sondern sie auch selbst gelebt.“

Weitere ergiebige Quellen

Von und über Franziska Anneke erschienen neben ihren Memoiren über den „badisch-pfälzischen Kriegszug“ mehrere weitere Publikationen, darunter von Klaus Schmidt „Mathilde Franziska und Fritz Anneke. Eine Biographie“, Köln 1999. Das ausführliche Literaturverzeichnis enthält die zahlreichen Bücher und Schriften Mathildes. Im gleichen Jahr erschien in Münster ein Bericht von Wilfried Reininghaus: „Die Revolution 1848/49 in Westfalen und Lippe“, über die Tagung der Historischen Kommission für Westfalen am 18./19 Februar 1999 in Iserlohn, aus dem der Beitrag von Franz-Werner Kersting „Das Weib in Conflict mit den socialen Verhältnissen. Frauen im Vormärz und in der Revolution 1848/49“ herausragte. Eindrucksvoll die 2004 von Erhard Kiehnbaum „Bleib gesund mein liebster Sohn Fritz …“ veröffentlichten Briefe Mathilde Franziska Annekes an Friedrich Hammacher, 1846–1849. Online ist abrufbar: Anneke, Mathilde Franziska (Biographie im Internetportal „Westfälische Geschichte“ des LWL).

Anmerkungen:

[1] Newark (New Jersey), später eine Wiedergabe in den „German American Annals“ (Philadelphia 1918), Nachdruck Bochum 1976.

[2] Karin Hockamp: „Von vielem Geist und großer Herzensgüte“. Mathilde Franziska Anneke (1817–1884). Stadt Sprockhövel & Stadt Hattingen. Universitätsverlag Brockmeyer, Bochum 2012. ISBN: 978–3-8196–0881-0. Euro 8,90.

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"Revolutionärin, Kämpferin für Frauenrechte", UZ vom 7. April 2017



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