Als 1998 mit dem überzeugenden Wahlsieg von Hugo Chávez die Bolivarische Revolution begann, lebten fast 60 Prozent der Bevölkerung Venezuelas in Armut und 25 Prozent sogar in extremer Armut.
Nach den Zahlen der 90er Jahre und der letzten Erhebung aus dem Jahr 2011 zufolge werden 40 Prozent der Haushalte von Frauen geführt; eine Ziffer, die weiter steigt. Daran zeigt sich das Phänomen der Verweiblichung der Armut in Venezuela, wie auch in anderen Ländern Lateinamerikas.
Nach dem gescheiterten Staatsstreich gegen Präsident Chávez 2002 gründete die Bolivarische Regierung sogenannte „Soziale Missionen“ als Werkzeuge der Begleichung der enormen gesellschaftlichen Schuld, die die vierzigjährige abwechselnde Herrschaft von Sozialdemokratie (AD) und Christdemokratie (COPEI) in Venezuela hinterlassen hat.
Es wundert nicht, dass die Mehrzahl der von den Missionen Begünstigten Frauen waren und diese eine starke soziale Basis darstellten, auf die sich die Volksorganisierung innerhalb der Bolivarischen Revolution stützte. Die Frauen beteiligten sich aktiv in allen Strukturen, die die Regierung geschaffen hatte, um der Mehrheit den Zugang zu Wohnraum, Trinkwasser und zur Verteilung subventionierter Lebensmittel erhielten.
Es ist kein Zufall, dass eine der Hauptlosungen der politischen Kräfte, die die Bolivarische Regierung unterstützen, „Revolution mit dem Gesicht der Frau“ lautete. In Venezuela bekamen die Frauen nach Jahren des Aktivismus und gleichzeitiger Unsichtbarmachung dieses Kampfes 1947 das Wahlrecht, und seit diesem Moment hatten sie nie so viel politische Teilhabe wie ab 1999. Trotzdem hat sich ihre Partizipation nicht automatisch als Stärkung ihrer Stellung oder eine Verbesserung ihrer Lebens- oder Arbeitsbedingungen ausgewirkt. Der Lohnunterschied bleibt bis heute – die Verweiblichung der Armut und der Anstieg geschlechtsbezogener Gewalt als Konsequenz aus der aktuellen strukturellen gesellschaftlichen Krise ebenfalls.
Nach Zahlen des Nationalen Statistikinstituts (INE) liegen Mädchen bei der Einschulungsquote mit 60 Prozent der Schülerschaft vor den Jungen. Aber die größere Teilhabe am Bildungssystem hat die Ungleichheit der Geschlechter bei der Bezahlung nicht verringert. Eine neue Studie der Venezolanischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zeigt, dass Frauen 82 Prozent des Gehalts von Männer bekommen. Sie erhalten also eine durchschnittliche Entlohnung, die 18 Prozent unter der der Männer liegt.
Ohne Zweifel sind in den 20 Jahren des Bolivarischen Prozesses wichtige Frauenrechte errungen und vor allem in Gesetzesform garantiert worden. Das erste war die Übernahme aller Vorschläge zahlreicher feministischer Organisationen verschiedener politischer Strömungen in die Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela. So die Nutzung einer inklusiven und nicht-sexistischen Sprache; die Anerkennung der Hausarbeit als wert- und reichtumsschöpfend für die Nation, die soziale Sicherheit derer, die sie ausüben, der Verfassungsrang für die Verträge, die der Staat bezüglich Menschenrechten unterzeichnet hat, wie die Konvention zur Beseitigung aller Arten von Diskriminierung der Frauen; die Anerkennung des Mutterschutzes und des Familienschutzes.
Ein weiterer Sieg war die Ausrufung des Arbeits-, Arbeiterinnen- und Arbeitergesetzes, in dem konkrete Rechte festgeschrieben wurden: Die Ausweitung des Mutterschutzes, der Kündigungsschutz für frisch gebackene Eltern, der Kündigungsschutz für Eltern von Menschen mit schweren Behinderungen sowie, erstmals in der venezolanischen Gesetzgebung, die Strafbarkeit sexueller Ausbeutung bei der Arbeit. Außerdem ist das 2007 erlassene Gesetz über das Recht der Frauen auf ein Leben ohne Gewalt hervorzuheben, in dem 19 Arten von geschlechtsbezogener Gewalt aufgeführt sind, darunter der Femizid und die Anstiftung zum Selbstmord.
Überwiegend sind diese Gesetze ein wichtiger Fortschritt in juristischer Hinsicht, aber sie sind weit davon entfernt in der Praxis angewandt zu werden.
Zum Beispiel ist das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert, indem den Frauen die Macht über ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit gegeben wird, aber das wirkt nicht aufgrund des machistischen und patriarchalen Charakters der venezolanischen Gesellschaft. Für die Anerkennung des Mehrwerts der Hausarbeit gilt dasselbe.
Kenner der Materie und Aktivistinnen der Frauenbewegung haben die große Diskrepanz zwischen den Gesetzestexten und ihrer Erfüllung hervorgehoben. Dies ist einem ernsten Problem der Planung und Umsetzung der Gesellschaftspolitik geschuldet, das über die 20 Jahre Bolivarischer Regierung geblieben ist. Zum Beispiel gibt es einen ständigen Wechsel in den Ministerämtern und Zusammenlegung von Ministerien, und das Fehlen von Kontinuität hat zu Stillstand oder gar Rückschritt geführt, während es eigentlich an der Zeit war, Mechanismen zur Umsetzung der Gesetze zu entwickeln.
In der aktuellen, vielschichtigen Aggression, die als Konsequenz des wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Destabilisierung durch die USA mit ihren einseitigen Sanktionen gegen den venezolanischen Staat, unterstützt von Kanada und der Europäischen Union, zu sehen ist, sind die Frauen der ökonomisch anfälligere Teil der Bevölkerung.
Die Frauen haben doppelte Arbeitsschichten, draußen und zu Hause, und ihr Alltag ist durch den Mangel an Lebensmitteln und anderen notwendigen Produkten stark betroffen: Öffentliche Leistungen wie Personennahverkehr, Gas, Wasser, Strom, Straßenreinigung; hyperinflationäre Instabilität bei Lebensmittelpreisen und Produkten des täglichen Bedarfs; Mangel an Medikamenten speziell für Frauen oder auch Verhütungsmitteln. Unerwünschte Schwangerschaften haben zugenommen, besonders unter Jugendlichen.
Allgemein hat die Bolivarische Revolution eine massive Rhetorik angewandt und sich als „feministisch“ bezeichnet, aber ihr fehlte es an politischem Willen, die feministische Sache konkret statt nur in Worten anzugehen. Der Machismo und das Patriarchat herrschen weiter und während Frauen die Mehrheit an der Basis der Volksorganisationen stellen, ist der Großteil der Führung und der Entscheidungsträger in diesen Gruppen männlich.
Es ist andererseits unbestreitbar, dass die Bolivarische Revolution den Venezolanerinnen ermöglichte, den Hausfrauenbereich zu verlassen und sich massiv in das öffentliche Leben einzubringen.
Das hat aber auch dazu geführt, dass die geschlechtsbezogene Gewalt politisiert wurde, und auf diese Weise sind während der letzten Anläufe der Ultrarechten und des Faschismus, einen gesellschaftlichen Aufstand zu provozieren oder einen Bürgerkrieg zum Zweck des Sturzes der derzeitigen Regierung zu beginnen, viele Anführerinnen angegriffen, bedroht und sogar getötet worden.
Die Auflösung des sozialen Gewebes aufgrund der wirtschaftlichen Aggression und der Straflosigkeit haben ebenfalls das Anwachsen von Morden an Frauen innerhalb und außerhalb des venezolanischen Territoriums nach sich gezogen. Es wurde über verschiedene Fälle aus anderen Ländern berichtet, wo die Opfer Frauen waren, die zur ökonomischen Migration gezwungen waren, und im Allgemeinen führt die wirtschaftliche Instabilität auch zu einer größeren häuslichen Gewaltrate.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Revolutionärinnen und die Frauen der Arbeiterklasse in Venezuela derzeit einen Kampf auf mehreren Ebenen führen: Den ersten und fundamentalen gegen die Möglichkeit einer militärischen Aggression gegen das Vaterland; den zweiten gegen die patriarchale und machistische Unkultur, die in der venezolanischen Gesellschaft herrscht; und den dritten gegen die Bürokratie, den Reformismus und die Konterrevolution, die sich in den staatlichen Institutionen eingenistet haben und verhindern, dass die Rechte konkretisiert werden, die in den Gesetzen der Bolivarischen Revolution niedergelegt sind.