Wozu braucht die Bundeswehr ein Psychotrauma-Zentrum, wenn doch alles so easy ist?

Resilient nach Panama

Kolumne

Wer kennt sie nicht: die nette Kinderbuchgeschichte von den Freunden kleiner Bär und kleiner Tiger, die nach Panama reisen wollen, und nach einer abenteuerlichen Rundreise wieder heil, glücklich und zufrieden nach Hause kommen. Zu dieser Märchenbuchwelt steuert die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 27. Oktober eine supermegatolle Geschichte bei: „Nicola Winter: beim Überschallflug plant sie das Abendessen.“ Mit tollen Fotos von einer schönen Frau, Kampfpilotin, die auch noch Rettungssanitäterin, Hubschrauberpilotin, Vortragsreisende und Buchautorin ist und deutlich macht, dass man bei der Bundeswehr bestens qualifiziert wird für Führungsaufgaben ganz weit oben in der Wirtschaft.

Panama ist auch in den Werbefilmen der Bundeswehr schön. Da gibt’s Teamgeist und neueste Technik. Da kann man sich selbst verwirklichen. Da bekommt man eine tolle Ausbildung. Da kann man seine Karriere starten. Da wird das Gute = das schöne Deutschland verteidigt. Zu Recht gehen Jugendorganisationen wie die SDAJ gegen die Werbeeinsätze der Bundeswehr an den Schulen vor. Geschulte Jugendoffiziere sprechen im Unterricht, an den Werbetischen bei Jobmessen liegen die Hochglanzbroschüren. Wenn das alles so easy ist: Wieso hat die Bundeswehr ein Psychotrauma-Zentrum?

Dem Minister der Verteidigung haben seine Background-Denker von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gesteckt, dass die Bevölkerung resilient werden muss. Neben militärischer Kampfkraft und industrieller Basis gehe es um Resilienz, die definiert wird als die „Bereitschaft und Fähigkeit einer Gesellschaft, einen Konflikt mit den Einschränkungen und Verlusten mitzutragen“. Resilienz ist ein von dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky aus einem progressiven Ansatz heraus entwickelter Begriff. Er steht im Zusammenhang mit Salutogenese, also der Frage nach den Bedingungen, die es braucht, damit Menschen gesund bleiben. Im Rahmen der Kriegstreiberei wird dieser progressive Ansatz zu einem Element der Formierung der ganzen Gesellschaft pervertiert. Was für eine unmenschliche Hoffnung, man könne Menschen gegen Krieg und Not resilient machen, im Klartext: abstumpfen!

Kriegsgeschehen sind die Ursache für posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) mit der Folge von körperlicher und psychischer Deformation bei den Gehetzten und Verfolgten, aber auch bei den Soldaten. 2011 schrieb „Die Zeit“: „Tatsächlich sind die deutschen Streitkräfte, deren Umbau zur Einsatzarmee voranschreitet, auf die Folgen der Auslandsmissionen noch nicht wirklich eingestellt. Es dauerte fast 18 Jahre, bis die Bundeswehr nach dem ersten robusten Auslandseinsatz (wie hübsch umschrieben! „Robuster“ Einsatz! Gemeint ist Somalia 1993; UV) ein Traumazentrum aufbaute – obwohl bekannt war, dass bei der US-Armee „bis zu 30 Prozent der Soldaten im Auslandseinsatz an PTBS erkranken.“ Oberstarzt Prof. Dr. Peter Zimmermann vom Psychotrauma-Zentrum der Bundeswehr auf dem Bundeswehr-Kanal „Nachgefragt“: Traumatisches Erleben ziehe nicht immer eine Erkrankung nach sich. „Selbst bei den schlimmsten traumatischen Situationen – beispielsweise Krieg oder Vergewaltigungen – bleiben noch 50 Prozent der Betroffenen gesund.“ Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb 2017 unter dem Titel „Gebrochene Helden“: „Nahezu jeder und jede Fünfte erlitt im Mittleren Osten eine Gehirnverletzung. Annähernd ebenso viele erkrankten an posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS).“ Die Behandlung erfolgte häufig mit Opioiden, unter anderem dem Betäubungsmittel Fentanyl, dessen Suchtpotenzial 50 bis 100 Mal höher ist als das von Heroin. Bei der Bundeszentrale für Politische Bildung kann man nachlesen: In der Folge des Vietnamkriegs begingen mehr Veteranen Selbstmord als im Krieg gefallen waren. Danach sollte man die smarten Jugendoffiziere mal fragen.

Aus Panama kommt im wahren Leben keine und keiner unversehrt heim.

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"Resilient nach Panama", UZ vom 22. November 2024



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