Im Sommer steigen die Renten in Deutschland. Die Umverteilung der Corona-Kosten lässt für die Zukunft einiges befürchten. Zur Situation der Rentnerinnen und Rentner sprach die UZ mit Gabi Evers.
UZ: Im kommenden Juli steigen die Renten um 3,45 Prozent im Westen und 4,2 Prozent im Osten. „Auch die Rentner in Deutschland profitieren von der erfolgreichen Politik der CDU“, feiert sich die Union auf ihrer Homepage. Wie steht es denn um die wirtschaftliche Situation der Rentner in unserem Land?
Gabi Evers: Zunächst ist festzuhalten, dass die Rentenanpassung im Juli tatsächlich ein Plus an Kaufkraft für die Rentner bedeutet, was sicherlich erfreulich ist. Die isolierte Betrachtung einer einzelnen Anpassungsrunde spiegelt aber nicht die Entwicklung des Leistungsniveaus der Rente in den vergangenen 20 Jahren wider, in denen die Kaufkraft von Renten insgesamt deutlich gesunken ist. Hier muss man sich nur die Entwicklung des Rentenniveaus ansehen, in dem – vereinfacht gesagt – die sogenannte Standardrente zum Gehalt eines Durchschnittsverdienenden ins Verhältnis gesetzt wird. Dieses ist seit der Jahrtausendwende von etwa 53 auf circa 48 Prozent abgesackt. Dieses Absinken ist politisch gewollt, der Gesetzgeber hat in den Nullerjahren die Rentenanpassungsformel entsprechend geändert. Es ist insofern auch kein Zufall, dass die Armutsquote der über 65-Jährigen während der letzten zehn Jahre schneller als in jeder anderen Altersgruppe gestiegen ist. Und über die zukünftige Entwicklung der Renten sagt die anstehende Rentenanpassung auch nichts aus. Zu feiern gibt es hier nichts.
UZ: Die Rentenerhöhungen im Jahr 2020 basieren auf den Lohnerhöhungen und dem Stand der Erwerbslosigkeit des Jahres 2019. Befeuert durch die Corona-Pandemie, sind Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit in diesem Jahr massiv angestiegen, auch in Sachen Lohnerhöhungen sieht es in vielen Bereichen düster aus. Was befürchtest du für die Entwicklung der Renten in den nächsten Jahren?
Gabi Evers: Die Entwicklung der Renten ist, wenn auch nicht mehr im selben Ausmaß wie früher, an die Entwicklung der Löhne gekoppelt. In Zeiten von Wirtschaftskrisen werden also auch die Renten weitestgehend stagnieren. Sinken die Löhne sogar, wovon aktuell ausgegangen werden muss, gibt es aber keine negative Anpassung der Rente, dies verhindert eine Schutzklausel. Allerdings werden so verhinderte Rentenkürzungen durch abgeschwächte Rentensteigerungen in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs dann gewissermaßen nachgeholt. Völlig unabhängig von der Coronavirus-Krise werden ab 2025 die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, das Verhältnis von Erwerbsfähigen zu Rentnerinnen und Rentnern wird sich also verändern. Gelingt es bis dahin nicht, die Erwerbsbeteiligung deutlich zu steigern, zum Beispiel, indem man durch bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten es vor allem Frauen ermöglicht, in Vollzeit zu arbeiten, wird der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenanpassungsformel dafür sorgen, dass die Entwicklung der Renten deutlich hinter den Löhnen zurückbleibt und die Kaufkraft von Renten weiter sinkt.
UZ: Die Angriffe auf das Renteneintrittsalter lassen nicht nach, so sprach sich eine Arbeitsgruppe der CDU-Bundestagsfraktion im Februar 2020 für einen späteren Renteneintritt ab 2029 aus. Wie bewertest du die Bilanz der Rente erst mit 67?
Gabi Evers: Die pauschale Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre kommt für eine große Zahl von Menschen faktisch einer Rentenkürzung gleich, da viele es schon jetzt kaum schaffen, bis 65 im Beruf durchzuhalten. Dies betrifft vor allem Berufsgruppen, in denen Beschäftigte hohen physischen und/oder psychischen Belastungen ausgesetzt sind. Oft sind das auch Tätigkeiten, die unterdurchschnittlich entlohnt werden und die Betroffenen somit ohnehin geringe Renten erwarten. Die Anhebung des Rentenalters verschlimmert also den Anstieg der Altersarmut. Die Rente mit 67 lehne ich deshalb ab.
UZ: Die Forderungen nach der Erhöhung des Renteneintrittsalters werden hauptsächlich mit der Entwicklung der Lebenserwartung begründet. Welche Vorschläge habt ihr hinsichtlich der Lebensarbeitszeit und wie begründet ihr diese?
Gabi Evers: Die pauschale Kopplung des Renteneintrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung, wie sie derzeit aus bestimmten Kreisen gefordert wird, würde vollkommen ignorieren, dass die individuelle Lebenserwartung zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich ist. Leider gilt: Wer ein geringes Einkommen hat, stirbt tendenziell früher. Menschen mit geringem Einkommen, die ihr Erwerbsleben lang in die Rentenkasse einzahlen, könnten ihren Ruhestand im Regelfall also nur kürzer „genießen“ als Gutverdienende. Dies ist bereits jetzt eine Umverteilung von unten nach oben, die sich durch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters noch einmal verstärken würde. Anstatt über die weitere Anhebung des Renteneintrittsalters zu diskutieren, sollte man sich an den entsprechenden Stellen eher Gedanken machen, wie man es schafft, dass möglichst viele Beschäftigte bis zur Regelaltersgrenze durchhalten. Hier sind zum Beispiel kontinuierliche Fortbildungsmöglichkeiten gefragt, die ein Arbeitgeber seinen Beschäftigten anbieten muss. Wer sich in der Lage sieht, über die Regelaltersgrenze hinaus zu arbeiten und dies auch möchte, dem sollen aber auch keine Steine in den Weg gelegt werden.
UZ: Nach der Veröffentlichung des Berichtes der Rentenkommission Ende März hat die Volkssolidarität kritisiert, dass grundlegende Fragen der Finanzierung der gesetzlichen Rente nicht ausreichend thematisiert wurden. Welche Mängel seht ihr und wie ist dem zu begegnen?
Gabi Evers: Ein Beispiel ist die sogenannte Mütterrente. Die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rente ist zunächst richtig und wichtig. Allerdings muss man beachten, dass diesen Mehrausgaben für die Rentenversicherung keinerlei Beitragseinnahmen zugrunde liegen. Folgerichtig müsste die Mütterrente vollständig aus Steuermitteln finanziert werden. Dies ist aber nicht der Fall, zu deren Finanzierung werden größtenteils Beitragsmittel herangezogen. Grundsätzlich spricht sich die Volkssolidarität ferner dafür aus, die gesetzliche Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung fortzuentwickeln. So ließe sich die im europäischen Vergleich enge Einnahmebasis durch den Einschluss weiterer Bevölkerungsgruppen, wie nicht versicherte Selbstständige und Beamte, solidarisch erweitern. Selbstverständlich sind auch Erwerbstätige, die über keinen oder nur einen geringen Schutz für das Alter verfügen, mit einzubeziehen. Eine Erwerbstätigenversicherung muss natürlich über einen längeren Zeitraum realisiert werden, in dem für die genannten Gruppen Übergänge gesichert werden und erworbene Anwartschaften geschützt bleiben.
Das Gespräch führte Werner Sarbok