Kürzungsprogramm für Jüngere

Rente mit 70

Von Anne Rieger

Unter dem Stichwort Generationengerechtigkeit bläst die Bundesbank erneut zum Angriff auf die gesetzliche Rente und plädiert für ein gesetzliches Renteneintrittsalter von 70 Jahren. Im Auftrag der Profiteure von Banken, Unternehmen und Versicherungen hat sie es auf das Geld der Noch-Nicht-Rentner abgesehen. Mit der Meldung, dass es „immer weniger Beitragszahlende und immer mehr Rentnerinnen und Rentner“ gebe, versucht sie, Panik zu schüren. Die gesetzliche Rente sei nur mit längerer Lebensarbeitszeit zu retten. So sollen Noch-Nicht-Rentner in eine private Versicherung gehetzt und gleichzeitig die Lohnkosten der Arbeitgeber geschont, vielleicht sogar gesenkt werden.

Denn ein „noch höheres Renteneintrittsalter dient einzig und allein einer weiteren Kürzung der Rente“, so Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, zum Angriff der Bundesbank. Je später das gesetzliche Renteneintrittsalter liegt, desto mehr Menschen werden von Rentenkürzung betroffen sein. Viele können gar nicht so lange durchhalten, weil sie chronisch krank oder arbeitslos sind. Für sie bedeutet ein früherer Rentenbezug eine Minderung ihrer Rente durch die dann fälligen Abschläge.

Durch steigenden Arbeitsstress und Arbeitslosigkeit werden Ältere zunehmend in die Frühverrentung abgeschoben. Die Autoindustrie, eine Schlüsselindustrie in Deutschland, zeigt, wohin die Reise geht: „In den letzten Monaten wurden nach öffentlichen Berichterstattungen Beschäftigungsabbauprogramme in der Autoindustrie von knapp 50 000 Stellen angekündigt. In Summe gehen wir davon aus, dass in der deutschen Autoindustrie in Deutschland bis zum Jahr 2030 bis zu 125 000 Arbeitsplätze wegfallen“, so Ferdinand Dudenhöffer. Täglich lesen wir von Jobstreichungsprogrammen bei VW, Mahle, Audi oder BMW.

Die Entwicklungen zeigen die zunehmenden Gefahren von „Alters“-Arbeitslosigkeit. Sie zeigen vor allem aber auch den hohen Produktivitätsfortschritt. Durch technische und organisatorische Entwicklungen werden in Industrie und Dienstleistung weniger Menschen für größere Mengen von Arbeitsergebnissen gebraucht. Eine humane und solidarische Maßnahme daraus abgeleitet wäre kürzere Arbeitszeit, sowohl Jahres-, aber eben auch Lebensarbeitszeit. Und deswegen ist die Milchmädchenrechnung der Kapitalistendiener vom „demografischen Buckel“ ein Hohn für jeden logisch denkenden Menschen.

Nicht die wachsende Anzahl älterer Menschen mindert die Wirtschaftsleistung eines Landes, sondern die steigende Produktivität erhöht sie. So ist es seit Jahrzehnten möglich, mit weniger Arbeitsstunden mehr Ältere zu finanzieren. Mehr Jüngere übrigens auch, denn die Ausbildungsjahre haben sich im Laufe der Jahrzehnte ebenfalls erhöht und sind auf Grund der gestiegenen Wirtschaftsleitung ebenso bezahlbar wie die Renten.

Die von der Bundesbank behaupteten wesentlichen Stellschrauben der Rente sind keineswegs nur Rentenhöhe, Regelaltersgrenze, Beitragssatz und Höhe des Steuerzuschusses des Bundes. Mit Absicht verschwiegen werden Produktivität, Anzahl der Einzahler, Höhe der Einkommen und die Möglichkeiten, die eine wirkliche paritätische Finanzierung bringen würde.

Die Arbeitsproduktivität wächst enorm. Die Anzahl der Einzahler würde erhöht, wenn erstens durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich mehr Menschen in Beschäftigung kämen, und zweitens mehr Menschen in die solidarische gesetzliche Versicherung einzahlten würden, wie beispielsweise Politiker, Manager und Selbstständige.

Mehr Einzahler und höhere Löhne erhöhen die Einnahmen. Dafür muss die Regierung Tarifflucht und prekäre Arbeitsverhältnisse verbieten, ein Allgemeinverbindlichkeitsgesetz, höheren Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung und volle paritätische Beteiligung der Unternehmer einführen.

Ein höherer Bundeszuschuss ließe sich leicht durch Umschichtung aus dem Rüstungshaushalt in die Rente ermöglichen. Der Klassenkampf nicht nur der Rentnerinnen und Rentner, sondern vor allem der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften  steht auf der Tagesordnung für eine paritätische, umlagefinanzierte gesetzliche Rente.

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"Rente mit 70", UZ vom 1. November 2019



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