Kanzler-Besuch in Peking signalisiert Abstand zu Bellizisten

Reisen bildet, China wirkt

Kolumne

Noch vor den Gesprächen des deutschen Bundeskanzlers mit der politischen Führung Chinas in Peking veröffentlichte FAZ-Chinakorrespondent Gustav Theile unter der Schlagzeile „Scholz macht sich für Handel mit China stark“ am Dienstag ein erstes Resümee der Reise. Scholz habe an den ersten beiden Tagen seines Aufenthalts in der Volksrepublik „die Bedeutung offener Märkte betont, sich gegen Protektionismus gewandt und chinesische Elektroautos in Deutschland willkommen geheißen“. Demnach spielte „die Frage der Reduktion von Abhängigkeiten und Risiken, die die China-Strategie der Bundesregierung dominierte“, bis dahin bei ihm „kaum noch eine Rolle“. Theiles Schlussfolgerung: „Die China-Politik des Kanzlers unterscheidet sich damit immer stärker von der seiner Koalitionspartner und vieler internationaler Partner, die sich für eine Reduktion von Abhängigkeiten von der Volksrepublik einsetzen.“

Das war höflich formuliert. Im Vergleich mit seiner Eklat-Außenministerin, die etwa im vergangenen Jahr den chinesischen Präsidenten als „Diktator“ bezeichnete, oder mit dem ähnlich primitiven „Hinter jedem chinesischen Forscher kann sich die Partei verbergen“ der Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) betreibt Scholz Politik von einem anderen Stern. Sie ist Ausdruck von tiefgreifenden Gegensätzen zwischen wirtschaftlichen und politischen Blöcken in der Bundesrepublik und im Westen insgesamt. Sie lassen sich auch so formulieren: Deutsche Kriegstüchtigkeit gegen Russland und China im Rahmen der US-Vorbereitung auf den großen Krieg geht der Fronde aus Grünen und FDP in der Berliner Koalition über alles, Scholz nicht – bis zu seinem nächsten Zickzack.

Theile, der die Warnung Stark-Watzingers vor chinesischen Forschern in der am Montag veröffentlichten Internetfassung seines Kommentars zitierte (in der Druckfassung am Dienstag fehlte die Passage), kommentierte sie mit: „Man stelle sich vor, sie hätte statt Chinesen Afrikaner unter Generalverdacht gestellt, von denen es ähnlich viele gibt. Nur weil man Chinas Binnenvielfalt nicht versteht, heißt das nicht, dass man diesen 1,4 Milliarden Menschen ihre Individualität absprechen und sie als eine Masse behandeln kann.“

Arnold Schölzel
Arnold Schölzel

Scholz strapazierte die erwähnte Spaltung auf seiner Reise bis zum Dienstag nicht. Das Konzept seines Besuchs bestand aber in einer deutlichen Absetzbewegung von den Bellizisten. Er fuhr wie einst Angela Merkel in Begleitung von Dax-Konzernchefs, darunter die von VW, BMW, Mercedes, BASF und Siemens. Laut einer von der FAZ am 10. April veröffentlichten Statistik belaufen sich die Umsatzanteile für China bei VW auf 35 Prozent, bei BMW auf 32,4 Prozent, Infineon auf 32 Prozent, Mercedes auf 29,6 Prozent, BASF auf 13,7 Prozent. Die deutschen Direktinvestitionen sind entgegen dem Trend 2023 gestiegen. Das Blatt zitierte Mercedes-Chef Ola Källenius mit dem Satz, Derisking bedeute für ihn, mehr in China zu investieren. Der frühere Chef der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke, sagte der FAZ: „Die deutsche Industrie hat sich für ‚Fight statt Flight‘ entschieden.“ Keiner mache sich „vom Acker“.

Scholz kam demnach mit Rückenwind: Mehr oder weniger ist Chinas Entwicklung eine Existenzfrage für die deutsche Industrie. So war es kein Zufall, dass er gegen die EU-Kommission, die über Strafzöllen gegen die Volksrepublik brütet, austeilte. Theile: „Auf Warnungen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) vor einer Schwemme chinesischer Elektroautos angesprochen, sagte Scholz, man müsse aus einer ‚Position selbstbewusster Wettbewerbsfähigkeit‘ agieren und ‚nicht aus protektionistischen Motiven‘.“ Reisen bildet, China wirkt.

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"Reisen bildet, China wirkt", UZ vom 19. April 2024



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