Im südwestlichen Inland Chinas, über 2.000 Kilometer von der Ost- und Südküste des Landes entfernt, liegt Chongqing. Die Stadt am Jangtsekiang ist eine der größten und modernsten Städte der VR China. Über sieben Millionen Menschen leben in ihrem Zentrum, 32 Millionen Einwohner hat die Metropole insgesamt.
Der Flughafen Chongqings ist einer der modernsten der Welt. Hier holt uns unser Gastgeber ab. Er kommt mit dem Auto – einem E-Auto, natürlich. Dabei ist der Flughafen mittels einer ständig ins Stadtzentrum pendelnden Metro bestens angebunden. Etwa 30 Cent kostet eine Einzelfahrt, abhängig von der Entfernung. Überhaupt, der Nahverkehr: Mehr als 300 S- und U-Bahnhöfe gibt es in Chongqing. Sie sind mit Rolltreppen ausgestattet und blitzsauber. Hier wirbeln Putzkolonnen statt Bettler und Obdachlose. Selbst die Handläufe der Rolltreppen werden ständig mit Tüchern gereinigt und desinfiziert.
Wir wohnen in einer geräumigen, 124 Quadratmeter großen teilmöblierten Wohnung in der 24. Etage eines der vielen Hochhäuser am Rande des Zentrums. Unser Gastgeber zahlt dafür etwa 500 Euro im Monat. Die Nebenkosten für Strom, Wasser und Klimaanlage kennt er nicht: Sie sind in der Miete enthalten. Kleinere Dreizimmerwohnungen mit vergleichbarem Komfort sind in günstigen Stadtteilen für etwa 300 Euro zu mieten. Das ist für viele Chinesen bezahlbar.
Die Lebenshaltungskosten für eine Vier-Personen-Familie betragen aktuell etwa 1.600 Euro pro Monat. Ein guter Facharbeiter kann, nach ein oder zwei Jahren Praxis, etwa 5.000 Euro verdienen, ein Mitarbeiter im mittleren Management etwa 9.000 bis 10.000 Euro pro Monat. IT-Spezialisten haben Einstiegsgehälter von etwa 6.000 Euro pro Monat. Hilfsarbeiter erhalten, schätzt unser Gastgeber, etwa 1.000 bis 2.000 Euro Monatslohn. Sie schlafen oft in den Betrieben.
In Yubei und anderen Industriegebieten, oft 20 Kilometer vom Zentrum entfernt, haben große chinesische Unternehmen Produktionsstätten, etwa Lenovo und Huawei. Auch deutsche Unternehmen wie BMW, Siemens und Mercedes-Benz sind in der Region mit großen Betrieben vertreten. Bosch entwickelt hier im Joint-Venture mit einem chinesischen Unternehmen Wasserstoff-Brennstoffzellen, künftige Module für „grüne“ Nutzfahrzeuge.
Ein Platzhirsch ist die Changan Automobile Company. Deren kompakter Stadtwagen „Lumin“, natürlich ein E-Modell, hat eine Reichweite von 300 Kilometer und kostet weniger als 7.000 Euro. Für weitere Fahrten gibt es Hybrid-Modelle zu 13.000 Euro mit gutem Komfort. Für Nostalgiker wird auch ein Benziner mit 188 PS, einer Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h und einem Verbrauch von 6,5 Litern Kraftstoff produziert.
Zur Rush-Hour sind die autobahnähnlichen Ausfallstraßen voll, es kommt auch zu Staus. Stolz verkündet die Stadtverwaltung, wenn sie weitere Straßenabschnitte für das vollautonome Fahren frei gibt. In den Wohngebieten stehen kaum Autos herum. Überall gibt es geräumige Tiefgaragen, natürlich mit E-Anschluss.
Das Klima in Chongqing ist subtropisch, oft heiß und feucht. Stürme und starke Niederschläge sind alles andere als selten. Die Stadt ist grün. Überall, selbst in der engen Altstadt, blüht es. Zitronen- und Apfelsinenbäume stehen in gepflegten Parkanlagen, auch entlang der Anliegerstraßen der Hochhaus-Neubaugebiete.
Es gibt viele Abfallkörbe. Die Stadtverwaltung ist stolz darauf, dass ihr Chongqing immer sauberer wird. Schmierereien an Fassaden? Undenkbar. Smog wird seltener. In der Stadt fahren fast ausschließlich E-Autos mit grünen Kennzeichen. Der öffentliche Nahverkehr ist modern. Wir fuhren täglich mit der Tram, U-Bahn oder modernen Einschienenbahnen. Sie verbinden die Einkaufstempel der Innenstadt. Die sind größer als die bei uns in Großstädten üblichen Malls, und zu jeder Tageszeit gut besucht. Besonders junge Chinesen geben viel Geld für modische Kleidung und Kosmetika aus.
Uns beeindruckte das Bildungsinteresse der Bürger. Bereits im Kindergarten lernen die Knirpse nach Bildungsplänen. Per Smartphone und Tablet gibt es tagtäglich Hinweise der Erzieherinnen und Erzieher an die Eltern zu Lernerfolgen der Kleinen mit der Aufforderung, bestimmte Dinge zu üben. Oft werden den Knirpsen bereits Grundkenntnisse der englischen Sprache vermittelt.
Wir besichtigten eine riesige Bibliothek in einem Shopping-Center. In deren lichtdurchfluteten Räumen und Galerien sitzen bis in die späten Nachtstunden hunderte Besucher und lesen, was ihnen gefällt. Mütter kommen mit ihren Kindern und helfen ihnen, mittels bunter Bücher die chinesischen Schriftzeichen zu begreifen.
Es war für uns kein Problem, uns mit Unbekannten beim Einkauf und Stadtbummel zu verständigen. Wen wir auch ansprechen, zückt sofort sein Handy und startet eine App zum Sprach-Chat. Unsere Fragen werden freundlich beantwortet, oft auch mit einem Lachen. Kriminalität? Angst vor Überwachung? Dazu konnten wir nichts feststellen. Angst vor Krieg oder „Überfremdung“? Diese Themen spielen in Chongqing, zumindest bei Gesprächen auf der Straße, keine Rolle. Es gibt eine Kampagne zur Wiederverwendung von Abfällen, die von Bürgern gesammelt und an Abnehmer verkauft werden.
Die Architektur im Zentrum wirkt futuristisch. Geschwungene Bauten streben gen Himmel, in der Nacht mit endlosen Farbspielen an ihren Fassaden. Röhrenartige Bauten mit Bars und Geschäften verbinden die Dächer von Hochhäusern, bis zu 300 Meter hoch. Jede Baugesellschaft wetteifert um besondere Originalität und Anziehungskraft ihrer Häuser.
Mechanische Schlüssel für Hauseingänge und Wohnungstüren hat unser Gastgeber nicht. Zur Zugangskontrolle dienen Sensoren für Fingerabdrücke, vereinzelt auch Wachleute am Empfang. Der übliche Weg führt von der Tiefgarage über den Fahrstuhl direkt zur Wohnetage. Volle Einkaufstaschen müssen nicht geschleppt werden. Der Lieferdienst weiß, wohin der Einkauf zu bringen ist. Als wir im Supermarkt einen Kasten Bier kaufen, steht der vor der Wohnungstür, als wir nachhause kommen.
Bargeld wird kaum verwendet. Unser Gastgeber zahlt und bestellt ausschließlich über sein Handy und erzählt uns, dass er seinen Geldbeutel seit Jahren nur noch im Ausland benutzte. Alle kommunalen Dienstleistungen, Anmeldungen, Umzüge, selbst Firmengründungen oder soziale Hilfsleistungen (Arbeitslosengeld und Stellenvermittlung) können online erledigt werden.
Wir besuchen Verwandte der chinesischen Ehefrau unseres Gastgebers in einem Dorf im ländlichen Umland. Hier ist das Leben ruhiger als in der Stadt. Zwischen den Nachbarn bestehen rege Kontakte. Die unterste Etage der Häuser ist oft als Garage gebaut. Sie ist der kühlste Raum im Haus, deshalb ein beliebter Treffpunkt für Nachbarn. Existentielle Armut konnten wir hier nicht sehen. Stolz berichten die Alten, dass Sohn oder Tochter im Zentrum einen Beruf erlernen oder studieren, und nun ein angenehmes Leben in der Stadt führen.
In Chongqing bekommen wir den Eindruck, dass die Einwohner mit ihrer Verwaltung und der Staatsregierung zufrieden sind. Zumindest besagen das Einträge in Bewertungsportalen für kommunale Dienstleistungen, und die Akzeptanz von von oben angeschobenen Kampagnen zur Verbesserung des Lebens. In Gesprächen wird den obersten Repräsentanten Achtung, gar Hochachtung gezollt. Schmähungen und grobe Kritik, wie in Deutschland im demokratischen Diskurs üblich, scheinen dort undenkbar. Dieser friedvolle tägliche Umgang miteinander war für uns eine Freude.