Am 10. Juli fiel das nächste Skandalurteil gegen G20-Gegner. Fünf Aktivisten wurden nach über eineinhalb Jahren Verhandlung im sogenannten „Elbchaussee-Prozess“ verurteilt. Ein 24-jähriger Franzose erhielt die höchste Strafe. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Gericht sprach ihn wegen angeblichen schweren Landfriedensbruchs und Beihilfe zur Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung und tätlichen Angriffs auf Polizistinnen und Polizisten schuldig. Ein zwei Jahre älterer Aktivist aus Hessen kam mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten Haft davon, eine weitere Bewährungsstrafe lautete auf ein Jahr und drei Monate. Die niedrigsten Urteile waren abzuleistende Sozialstunden für angeblichen einfachen Landfriedensbruch.
Den fünf Protestlern lastete die Staatsanwaltschaft an, sich an einer Demonstration durch die Elbchaussee beteiligt zu haben, bei der es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und Sachbeschädigungen kam. Das Perfide an dem Urteil und der dahinterliegenden Strategie der Repressionsbehörden ist, dass die Beteiligung an einer in Teilen militanten Demonstration bereits für das Urteil ausreichen soll. Denn auch die härtesten Vorwürfe in diesem Verfahren beschränkten sich auf zwei Flaschenwürfe, die weder Personen noch Gegenstände trafen. Was das bedeutet, muss allen linken Aktivistinnen und Aktivisten klar sein. Wenn es, warum auch immer, auf einer Demonstration in Zukunft zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommen sollte, könnten alle Teilnehmenden an dem Protestzug für jede vermeintliche Straftat haftbar gemacht und angeklagt werden. Damit wäre der Umstand, nach der Demo nach Hause zu gehen oder im Knast landen, reiner Zufall oder anders gesagt – reine Willkür.
Dieser juristischen Sichtweise hatte der Bundesgerichtshof einen Riegel vorgeschoben und klargestellt, dass dies bei Hooligans der Fall sein kann, keinesfalls aber bei politischen Demonstrationen. Das scheint allerdings im Konkreten nicht weiter zu stören, versuchen kann man es ja mal. Und wer weiß, vielleicht klappt es am Ende, denn bisher wurde so ziemlich alles verziehen, wenn zum Schluss nur eine Verurteilung rauskommt. Nachweisliche Pfuschereien bei den Ermittlungen, systematische Beweisfälschungen seitens der Sonderkommission „Schwarzer Block“ und manipulierte Zeugenaussagen sorgten bei Gericht zwar für Verärgerung, aber nicht für die Einstellung des Verfahrens.
Kein Aufwand war zu groß und kein Weg zu weit, um die Sache möglichst hoch zu hängen. So wurden die Angeklagten im Sommer 2018 – ein Jahr nach den internationalen Protesten gegen den G20-Gipfel – bei Razzien verhaftet und in Hamburg in Untersuchungshaft gesteckt. Die längste betrug 16 Monate. Das heißt: 16 Monate U-Haft und drei Jahre Gefängnis für das Mitlaufen auf einer Demonstration und eventuell zwei Flaschenwürfe ins Leere.
Das Urteil stellt die Angriffe auf die Versammlungsfreiheit auf eine völlig andere Stufe. Dahinter steht die Absicht, massenhafte Proteste wie gegen den G20-Gipfel in Zukunft unmöglich zu machen, weil Aktivistinnen und Aktivisten durch die Strafandrohung von der Teilnahme abgeschreckt werden. Das hatten die Behörden schon 2017 mit den umfangreichen Versammlungsverboten versucht, nur geklappt hat es damals nicht. Ihre Strategie ist an der Kreativität und dem Ungehorsam linker Bewegungen gescheitert. Umso wichtiger ist es jetzt, auch diese Strategie politisch und juristisch zum Scheitern zu bringen.