Eine Gesundheitsministerkonferenz beschloss, ab September mit Drittimpfungen zu starten. Die Auffrischungsimpfung (Booster) soll zunächst den vulnerablen Gruppen zukommen. 1,8 Milliarden Dosen habe die EU bei Biontech schon vorbestellt, prahlte Frau von der Leyen. Das sei der größte Anschlussauftrag weltweit und reiche für mögliche Booster-Impfungen der gesamten EU. In krassem Gegensatz dazu verlangte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus „eine dringende Umkehr“ der Praxis, „dass der Großteil der Impfstoffe an reiche Länder geht.“ Er forderte den Stopp der Drittimpfungen bis weltweit 10 Prozent geimpft seien. Die Pandemie und stets neue Mutationen ließen sich nur in allen Ländern gleichzeitig eindämmen.
Ziel der WHO ist die Impfung von mindestens 10 Prozent der Bevölkerung jedes Landes bis Ende September, von 40 Prozent bis Ende 2021. Bis Juli wurden laut Weltbank in den reichen Ländern im Schnitt 101 Impfdosen pro 100 Einwohner verabreicht, in den 29 ärmsten Ländern der Welt aber weniger als zwei Impfdosen. In den meisten Ländern Afrikas war die Impfquote unter 2 Prozent. Ihre Teilnahme an der internationalen Initiative Covax, die für arme Länder Impfstoffe besorgen sollte, hatte die EU an die ganz große Glocke gehängt. Covax sammelte Geld und verteilte einige Millionen Dosen gespendeter Impfstoffe, nicht zuletzt AstraZeneca-Restposten, die sonst verfallen wären. Gemessen am Bedarf, ein Tropfen auf den heißen Stein.
Die weltweite, von Südafrika und Indien unterstützte Forderung, Patentrechte auszusetzen, um mehr Ländern die Impfstoffproduktion zu ermöglichen, würgte die EU-Pharma-Lobby im Verein mit der deutschen Bundeskanzlerin Merkel beizeiten ab. Damit wurde das Angebot verknappt und vor allem Pharmakonzernen aus den USA und Deutschland Monopolpreise und horrende Profite gesichert. Zahlungskräftige reiche Länder rissen sich das Gros der Impfstoffe unter den Nagel. Eigentumsrecht und Profit rangieren im Wertewesten nun mal höher als universelle Menschenrechte.
Laut Boao-Forum hatten bis Mai 2021 Impfstoffhilfen und -exporte Chinas die aller anderen Länder zusammen übertroffen. Bis dahin hatte China rund 252 Millionen Impfstoffdosen exportiert, was 42 Prozent seiner gesamten Impfstoffproduktion gleichkam. In den USA spritzte man 330 Millionen Dosen, was 99 Prozent ihrer Produktion entsprach. Die Exporte der EU beliefen sich mit 111 Millionen Dosen auf 11 Prozent ihrer Impfstoffe. Russland exportierte bis dahin 35 Prozent seiner Impfstoffproduktion oder 69 Millionen Dosen. Parallel zur hohen Ausfuhr will China 70 Prozent seiner Bevölkerung bis Ende 2021 geimpft haben (german.china.org.cn 30.7.21).
Drittimpfungen werden für manche Impfstoffe auch in China und in Kuba diskutiert. Skepsis stellt sich aber ein, weil der Vorstoß für Booster-Impfungen in den USA und der EU zuerst von den am meisten profitierenden Herstellern Biontech und Pfizer ausging. Die US-Gesundheitsbehörde CDC reagierte bisher verhalten und kündigte zunächst eigene, von den Herstellern unabhängige Studien an. Den Damen Merkel und von der Leyen dürfte so viel Zurückhaltung fern liegen, nachdem sie das Patentrecht mit Zähnen und Klauen retteten, während Biden schon einzulenken drohte.
Alte Menschen und vulnerable Gruppen in unserem Land müssen nun hoffen, dass die Ständige Impfkommission, die schon wegen ihrer Vorsicht bei der Kinderimpfung stark unter Druck steht, die Frage von möglichen Booster-Impfungen trotzdem gewissenhaft prüft, bevor sie Empfehlungen abgibt. Viele arme Länder der Welt sind weiterhin auf die von den bürgerlichen Medien gebrandmarkte, chinesische, russische und zunehmend auch kubanische „Impfdiplomatie“ angewiesen, um sich zu versorgen oder um beim Aufbau eigener medizinischer Versorgungskapazitäten zu kooperieren.