Zu den Corona-Hilfen für Bedürftige

Reiche haben Armut gern

Reiche haben Armut gern“, diese Zeile schrieb Erich Kästner 1927 in seinem „Weihnachtslied, chemisch gereinigt“. Ein knappes Jahrhundert später hat das Bundeskabinett einen Einmalzuschuss von 150 Euro für Menschen in Grundsicherung beschlossen. Ausgezahlt wird er frühestens im Mai. Bis dahin sind ein paar Masken versprochen – ohne die keine Bahn und kein Supermarkt mehr betreten werden darf. Da klar ist, dass viele Kleinunternehmen und Soloselbstständige in die Arbeitslosigkeit abrutschen werden, wurde der Zugang zur Grundsicherung etwas erleichtert. Die verschleppten Novemberhilfen, von denen jede fünfte noch nicht ausgezahlt ist, sorgen bei vielen höchstens für einen Aufschub der Pleite. Seit Januar können die Jobcenter zudem mobile Endgeräte fürs Home-Schooling bewilligen – nach Monaten ohne Präsenzunterricht.

„Das Ergebnis ist ein Tropfen auf den heißen Stein, was die Herausforderungen und Nöte geringverdienender Arbeitnehmer und armer Familien angeht“, kommentiert Anja Piel vom DGB. Die Interessenvertreter der Reichen, etwa CDU-„Sozialpolitiker“ Peter Weiß, meinen hingegen, „dass das soziale Netz in Deutschland weiter funktioniert“. Im „Deutschlandfunk“ verdeutlicht er, warum die Reichen Armut brauchen: „Ich muss auch immer gucken, dass ich einen gewissen Lohnabstand halte zu denjenigen, die arbeiten gehen können und mit ihrem Geld die Steuern bezahlen.“ Armut drückt die Löhne, die Angst vor Armut diszipliniert die Werktätigen.

Das höchste Armutsrisiko in einem der reichsten Länder der Welt haben Arbeitslose, Alleinerziehende und kinderreiche Familien. Das führt dazu, dass es Regionen in Deutschland gibt, in denen 2019 jedes vierte Kind in Armut aufwuchs. Das Statistische Bundesamt meldet, dass im gleichen Jahr zwei Millionen Menschen nicht ausreichend heizen konnten. Besonders betroffen: Alleinlebende und Alleinerziehende. Im sehr milden Winter 2019 haben Kinder gefroren.

Wirtschaftskrise und Pandemie wirken sich besonders auf diejenigen aus, die eh schon ein erhöhtes Armutsrisiko haben. Sie haben ihre prekären Jobs als Erste verloren, sie erhalten keine Aufstockung zum Kurzarbeitergeld. Sie hatten nichts von der Ende letzten Jahres fast unerwähnt ausgelaufenen Senkung der Mehrwertsteuer. Die Preissteigerungen für Lebensmittel und Wohnraum treffen sie besonders brutal und sie werden überproportional durch die CO2-Steuer zur Kasse gebeten.

Wie lächerlich die Einmalzahlung für Arme ist, lässt sich leicht ausrechnen. Eine Alleinerziehende mit zwei Kindern bekäme 450 Euro. Seitdem die Schulen wieder geschlossen sind, fällt auch das Schulessen aus. Die Tafeln sind geschlossen, die von der Bundesregierung beschlossene Lieferung des Schulessens an bedürftige Familien klappt nicht. Damit muss die Familie pro Kind bis Ende des Monats ungefähr 35 Mittagessen refinanzieren. Ein Schulessen kostet in Deutschland zwischen 3,14 und 4,25 Euro. Damit wäre bis Anfang März die Hälfte der Hilfe, die im Mai ausgezahlt werden soll, aufgegessen.

Kaum zur Sprache kommen die psychosozialen Folgen der Armut. Wochenlanges Aufeinanderhocken in zu kleinen Wohnungen. Verpasster Schulstoff aufgrund mangelnder Lernmöglichkeiten. Kaum Kontakte mit Freundinnen und Freunden. Soziale Isolation aufgrund von Ausgangssperren, geschlossener Sportstätten und fehlender Freizeitangebote. Das macht krank.

Die Bedrohung durch Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg trifft seit vergangenem Jahr Kolleginnen und Kollegen aus Stammbelegschaften, Beschäftigte in Verwaltungen und auch Ingenieure. Die Antwort der IG Metall ist Standortlogik. Die Gewerkschaft ver.di hat im Herbst zaghaft gekämpft. Das Ganze, die gesamtgesellschaftliche Lage der Arbeiterklasse, haben die Gewerkschaften nicht im Blick. So bleiben die Abwehrkämpfe isoliert.

Greifen wir auf die erfolgreichen Wahlkampagnen der KPD unter Ernst Thälmann zurück: „Wir sagen nicht: Wählt DKP, dann habt ihr Brot und Freiheit. Wir sagen, um Brot und Freiheit müsst ihr kämpfen!“

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"Reiche haben Armut gern", UZ vom 19. Februar 2021



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