„Reformieren“ zulasten der Flüchtlinge

Nicht nur die AfD, auch die FDP will noch in dieser Woche einen Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Arbeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beantragen. Dabei soll auch Merkels Rolle untersucht werden. „Wir halten eine gründliche Ausleuchtung dieser Vorgänge auch mit ihren politischen Verantwortlichkeiten bis in das Kanzleramt hinein für notwendig“, erklärte Partei- und Fraktionschef Christian Lindner am Montag auf der Bundespressekonferenz in Berlin. Es müsse geklärt werden, wie und unter welchen Bedingungen das BAMF gearbeitet habe. Dabei gehe es der FDP nicht um Anklage, sondern um „klare und vollständige Aufklärung“.

Ob es diese aber geben wird? Auch wenn SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil jetzt fordert, Merkel dürfe die Öffentlichkeit nicht länger im Unklaren darüber lassen, „wann sie was über die Probleme beim BAMF wusste“ oder SPD-Parteichefin Andrea Nahles eine schnelle Aufklärung forderte: Es ist ungewiss, ob es im Bundestag eine Mehrheit für einen Untersuchungsausschuss geben wird und was ein solcher dann bewegen könnte.

Ende Februar 2017, also nachdem die Abläufe im BAMF auf Wunsch des Innenminsteriums und des Kanzleramtes „effektiviert“ worden waren (siehe Seite 1), kursierte in der Behörde ein Brief: „Der Mitarbeiter als Mensch, der Asylbewerber sowieso (…) spielt keine Rolle mehr. Die Zahlenfetischisten regieren durch – Rechtsbrüche sind vollkommen egal.“ („Die Zeit“, 30.3.2017) Zudem musste die ohnehin überlastete Behörde in den vergangenen Jahren eine Gesetzesänderung nach der anderen umsetzen.

Die ehemalige Leiterin der BAMF-Außenstelle in Bremen, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt, wies am vorigen Mittwoch auch deshalb alle Vorwürfe gegen sich und ihre Amtsführung zurück. Zu den weiteren Beschuldigten gehören Anwälte und ein Dolmetscher. Mit dem Amtsantritt Weises sei es im BAMF nur noch um Fallzahlen und Bearbeitungszeiten, nicht aber um persönliche Schicksale gegangen. Auch unter Weises Nachfolgerin Jutta Cordt habe sich das nicht geändert. Sie selbst habe niemals Geld angenommen. Bei ihrer Arbeit sei es ihr um Menschen in Not gegangen, nicht um blanke Zahlen. Sie solle nun offensichtlich geopfert werden. Auch ihr Anwalt Erich Joester wies die von Behörden und Politik erhobenen Vorwürfe gegen seine Mandantin zurück. Er warf ihren Vorgesetzten Versäumnisse vor. Es gehe nicht an, dass „diejenigen, die zur Fürsorge aufgerufen sind, nämlich ihre Vorgesetzten bis hin zum Minister, jetzt Vorwürfe erheben, ohne ihr rechtliches Gehör gewährt zu haben“, erklärte der Anwalt „Radio Bremen“, dem „NDR“ und der „Süddeutschen Zeitung“. Seine Mandantin habe weder Geld angenommen noch Geld an Anwälte angewiesen, die dafür Asylsuchende gezielt nach Bremen gebracht haben sollen, Die Verfahren seien vielmehr wegen Überlastung anderer Außenstellen und mit Wissen der Nürnberger Zentrale nach Bremen verlegt worden.

Die meisten der 1 200 Menschen, die in Bremen in den Jahren 2013 bis 2016 die Möglichkeit bekamen in Deutschland zu leben, sind – darauf wird in vielen Medien kaum Bezug genommen – übrigens, wie auch die Staatsanwaltschaft in Bremen im April mitgeteilt hatte, Jesidinnen und Jesiden. Jesiden gehören jedoch zu den Flüchtlingsgruppen mit den bundesweit höchsten Anerkennungsquoten. Die Aufklärung darüber sowie über die antihumane Orientierung im BAMF nur „Fälle“ abzuarbeiten, das Schicksal von Menschen aber zu missachten, scheint nicht erwünscht.

Weise selbst streitet jetzt alle Verantwortung ab. Der damalige Behördenchef erklärte 2017 die Kanzlerin zwei Mal im direkten Gespräch über Missstände im BAMF und im Asylmanagement informiert zu haben. Hat er das nicht getan, als er selbst noch Verantwortung für das Amt trug? Wenn ja, was hat er vorgeschlagen oder getan? Die Zusammenarbeit des BAMF mit McKinsey und Co. war Kanzlerin Merkel übrigens spätestens seit Sommer 2016 bekannt, wahrscheinlich aber weitaus früher.

Auch Innenminister Seehofer wies in der vorigen Woche auf einer Sondersitzung des Innenausschusses alle Verantwortung von sich, versprach vollständige wie unbarmherzige Aufklärung über die Affäre in der Bremer Außenstelle des BAMF. Und dabei soll es nicht bleiben: „Ich schaue nicht nur auf Bremen – ich will alles reformieren“, zitierte ihn „Spiegel-Online“. Angesichts seiner bisherigen harten Position in der Flüchtlingspolitik werden die AnKER-Zentren nicht sein letztes Wort bleiben.

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"„Reformieren“ zulasten der Flüchtlinge", UZ vom 8. Juni 2018



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