Rechtskonforme Denunziation

Kolumne

Im Prinzip kann der deutsche Inlandsgeheimdienst, der beschönigend ausgerechnet „Verfassungsschutz“ (VS) getauft wurde, heute schon schalten und walten, wie es ihm beliebt. Und sollte es mal eng werden, können sich die Agentinnen und Agenten immer noch auf die „Pflicht zur Geheimhaltung“ berufen oder auf die quasi permanent bedrohte „öffentliche Sicherheit“. Beliebt sind auch „Staatswohl“ und die „außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland“. Dann ist meistens Schluss mit lästigen Fragen, zumindest antwortet die Behörde dann nicht mehr.

All das reicht Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) aber nicht. Die selbsternannten Verfassungsschützer sollen künftig noch mehr Befugnisse bekommen. So steht es in einem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums (BMI) für eine Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Das Kabinett hat ihn bereits gebilligt. Im Bundestag soll er noch diesen Monat zur Abstimmung kommen.

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Der bislang öffentlich kaum diskutierte Entwurf würde es dem Inlandsgeheimdienst ganz offiziell und ohne lästigen Papierkram erlauben, sich noch stärker in die Gesellschaft einzumischen. Als ob es nicht schon schwer genug wäre, eine bezahlbare und halbwegs hübsche Wohnung zu bekommen, soll der VS künftig auch auf Vermieter zugehen dürfen, um diese zum Beispiel auf vermeintlichen „Linksextremismus“ eines potentiellen Mieters aufmerksam zu machen. Auch an Arbeitskollegen, Lehrerinnen und Lehrer, Trainer in Sportvereinen, Verwandte und Bekannte dürfte die Behörde dann herantreten, um den Verdacht gegen unliebsame Personen zu streuen. Als Begründung würde ausreichen, dass die Denunziation der „Deradikalisierung“ dient oder auf irgendeine Art hilfreich dabei ist, „das Gefährdungspotenzial zu reduzieren“. So soll es künftig in Paragraf 20 des neuen Gesetzes stehen.

Das ist natürlich eine nette Umschreibung für die Erpressung, sich besser nicht gegen die herrschenden Verhältnisse zu betätigen, weil sonst Arbeitsplatz- und Wohnungsverlust sowie soziale Isolation drohen. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass solche Praktiken alles andere als neu sind. Nach Fae­sers Plan soll die Anwendung jedoch stark vereinfacht werden. Dann müsste der VS noch nicht einmal mehr so tun als wäre er nicht beteiligt.

Offiziell soll das „Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV) mit seinen etwa 4.000 Schlapphüten politische „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ aufspüren und beobachten. Das BfV soll die Polizei informieren, wenn es dabei auf Kriminalität oder Gefahren wie Anschlagspläne stößt. Solange der Geheimdienst nur abweichende politische Meinungen findet, die gegen kein Gesetz verstoßen, muss er bislang offiziell schweigen. Die Agenten dürfen ihre Einschätzungen nur ausnahmsweise dritten Personen zuflüstern, wenn sie dafür eine Genehmigung aus dem Innenministerium einholen. Das soll nur in Ausnahmefällen geschehen zum „Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen“, so steht es in Paragraf 19. Diese Hürde möchte die Ampelregierung nun aus dem Weg räumen.

Kritik an den Plänen kommt unter anderem von Nikolaos Gazeas. Der Fachmann für Nachrichtendienstrecht, des „Linksextremismus“ unverdächtig und gelegentlicher Berater der FDP-Bundestagsfraktion, bezeichnete das Vorhaben der Bundesinnenministerin gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ als „große Änderung“ und warnte vor der Stigmatisierung der Betroffenen, welche so leicht nicht wieder loszuwerden sei. Weil ein Nachrichtendienst weit im Vorfeld einer konkreten Gefährdung aktiv werden könne, bestehe die Gefahr, dass bei Gesprächen mit Familienangehörigen auch Halbgares verbreitet würde, befürchtet der Jurist. Zudem würden die Personen gar nicht erfahren, was hinter ihrem Rücken gesprochen werde, und könnten sich dementsprechend auch nicht verteidigen.

Hintergrund der Gesetzespläne ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem April 2022. Die Richterinnen und Richter in Karlsruhe hatten darin den Freistaat Bayern ermahnt, Informationen nicht zu freigiebig an andere Stellen zu übermitteln. Es brauche präzisere Regeln und höhere Hürden, um das informationelle Recht auf Selbstbestimmung nicht zu verletzen. Statt aber den Datenschutz von Betroffenen zu stärken, sollen laut BMI lieber die Befugnisse des VS ausgeweitet werden. Bis zum Ende dieses Jahres müssen die Karlsruher Vorgaben gesetzlich umgesetzt sein, denn sonst würde der Verfassungsschutz ab dem 1. Januar 2024 gar keine Einschätzungen mehr übermitteln dürfen. Alle Grundrechtsorganisationen und Datenschutzvereinigungen sowie die gesamte Linke sollten alarmiert sein.

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"Rechtskonforme Denunziation", UZ vom 10. November 2023



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