Abschiebungen am Dienstag vorübergehend gestoppt

Rechtsbruch und staatlicher Menschenhandel

Von Nina Hager

Auch nach Inkrafttreten des schändlichen Abkommens zwischen der EU und der Türkei am 20. März kommen jeden Tag mehrere hundert Menschen auf den griechischen Inseln an. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR befinden sich derzeit rund 6 100 Flüchtlinge auf Lesbos, Chios und den übrigen Inseln. Rund 850 000 Menschen kamen im vergangenen Jahr, in diesem Jahr sind es bislang rund 150 000.

Am Montag trafen die ersten syrischen Flüchtlinge aus der Türkei per Flugzeug in Hannover ein. Gegen neun Uhr vormittags legte eine erste Fähre von der griechischen Insel Lesbos im Hafen des türkischen Küstenortes Dikili an. An Bord waren nach Angaben der EU-Grenzschutz-Behörde Frontex 68 Menschen, vornehmlich aus Pakistan und Bangladesch. Später trafen eine zweite Fähre mit 61 Personen und ein Boot mit 136 Flüchtlingen von der Insel Chios ein. Unter denen, die aus Griechenland abgeschoben werden, sind derzeit nur wenige syrische Flüchtlinge. Es sind hauptsächlich Menschen aus Pakistan und Afghanistan, die interniert werden und dann in ihre Heimatländer ausreisen müssen. Beide Länder gelten als sicher – trotz Terror und Krieg, die viele zu Hause erwarten.

Aber ist für die Syrer, die bleiben können oder später im Rahmen des Paktes der EU mit der Türkei in EU-Länder ausreisen dürfen, die Türkei ein sicheres Land? Erdogan gehört zu den Fluchtverursacher in der Region und das „NATO-Mitglied ist weder sicherer Drittstaat noch ein sicheres Herkunftsland, in dem Flüchtlinge geschützt werden. Im Gegenteil: Merkels Partner bei der Flüchtlingsabwehr am Bosporus, Staatspräsident Erdogan, schiebt fleißig weiter ab, auch in die Kriegsgebiete Irak und Syrien. Selbst unbegleitete Minderjährige sind nicht sicher“, so Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion der Partei „Die Linke“ im Bundestag. „Die Aufnahme einzelner Syrien-Flüchtlinge direkt aus der Türkei in ausgewählte Länder der EU im Tausch gegen die Abschiebung von Flüchtlingen aus der EU in die Türkei ist staatlich organisierter Menschenhandel und hat nichts mehr mit Flüchtlingsschutz und Asylrecht zu tun.“

Amnesty-Recherchen beweisen, dass die Türkei seit Januar fast täglich syrische Männer, Frauen und Kinder in Gruppen von bis zu 100 Menschen nach Syrien abgeschoben hat – ein Verstoß gegen internationales Recht.

Am Dienstag musste die Abschiebung unterbrochen werden: Viele der Neuangekommenen wehren sich gegen ihre Auslieferung in die Türkei und stellen Asylanträge in Griechenland, obgleich sie eigentlich weiterreisen wollten. Und zunächst hatten sie Erfolg. Eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR erinnerte am Montag daran, dass nach griechischem, europäischem und internationalem Recht jeder Antragsteller das Recht auf eine Einzelfallprüfung habe. Jetzt wird es Tage dauern, bis ihre Anträge geprüft sind, denn es fehlt an Personal.

Zudem dauern die Proteste an der griechisch-mazedonischen Grenze an. Seit mehr als zwei Wochen wird die Eisenbahnverbindung nach Mazedonien versperrt, eine wichtige Verbindungsstraße wird immer wieder besetzt. Bis zum Wochenende will die griechische Regierung die beiden großen provisorischen Flüchtlingslager im Hafen Piräus sowie bei Idomeni räumen, aber die 12 000 in Idomeni Verbliebenen und die 5 000 Flüchtlinge im Hafen von Piräus wehren sich nach Medienberichten gegen eine Umsiedlung in andere Teile Griechenlands.

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"Rechtsbruch und staatlicher Menschenhandel", UZ vom 8. April 2016



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