Seit 1983 schickt eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger im Londoner Wahlkreis Islington North Jeremy Corbyn ins Unterhaus des britischen Parlaments – Wahl für Wahl, zehnmal hintereinander. Damit könnte jetzt Schluss sein: Der Vorstand der Labour Party hat am 28. März eine Resolution des amtierenden Parteivorsitzenden Keir Starmer und der Abgeordneten Shabana Mahmood angenommen, die Corbyn verbietet, für Labour zu kandidieren.
Begründet wird der Schritt damit, dass „die Interessen der Labour Party und deren politische Interessen bei der nächsten Wahl nicht gut vertreten werden von Herrn Corbyn als Labour-Kandidaten“. Der habe die Niederlage der Partei gegen Boris Johnson und die Tories bei der Wahl 2019 zu verantworten. Die von Labours Parteirechter unmittelbar vor der Wahl gefahrene Schmierenkampagne gegen Corbyn und dessen Anhänger wird in der Resolution nicht erwähnt. Mit unbelegten Antisemitismusvorwürfen sollten Corbyn und die Basis-Bewegung Momentum kaltgestellt werden (UZ vom 6. Januar). Corbyn kann jetzt nur noch als unabhängiger Kandidat zur Wahl antreten.
Die Resolution hebelt das Recht des Labour-Ortsverbands Islington North aus, selbst zu bestimmen, wer in seinem Wahlkreis kandidiert. 22 Mitglieder des Labour-Parteivorstands votierten für die Resolution, zwölf dagegen.
Die Gegenstimmen kamen vor allem von Gewerkschaftsvertretern. Dem parteinahen Informationsdienst „Labour List“ zufolge stimmten unter anderem die Vertreter der Gewerkschaft Unite, der Postgewerkschaft CWU, der Feuerwehrgewerkschaft FBU und die der Bahngewerkschaften Aslef und TSSA gegen die Resolution.
Corbyn äußerte sich in Facebook-Posts zu der Entscheidung des Labour-Vorstands. Die Resolution sei eine schändliche Attacke auf die innerparteiliche Demokratie, Parteimitglieder und Gerechtigkeit. Während die Regierung Millionen in die Armut stürze und Geflüchtete dämonisiere, konzentriere Starmer seine Opposition auf diejenigen, die eine fortschrittlichere und menschlichere Alternative forderten. „Dieser skandalöse Schritt zeigt Verachtung für die Millionen Menschen, die 2017 und 2019 für unsere Partei gestimmt haben, und wird diejenigen entmutigen, die immer noch an die Wichtigkeit einer transformativen Labour-Regierung glauben.“
In einem Meinungsbeitrag für die Lokalzeitung „Islington Tribune“ am 3. April warf Corbyn Starmer vor, der habe alle seine Versprechen gebrochen, die Gewerkschaften gegen die Angriffe der Regierung zu verteidigen, Schlüsselindustrien zu verstaatlichen, die Privatisierung des Gesundheitsdienstes NHS zurückzunehmen, Unternehmenssteuern zu erhöhen und Studiengebühren abzuschaffen. „Solidarität gibt es nur noch mit Wirtschaftsbossen, nicht mehr mit streikenden Arbeitern. Vertrauen wird in Konzerninteressen gesetzt, nicht in Parteimitglieder.“ Nur eine vor Ort verankerte demokratische Bewegung könne die Lösungen hervorbringen, mit denen man die Krisen angehen könne, die alle beträfen.
Die Labour-Abgeordnete Diane Abbott erinnerte in einem Beitrag im „Morning Star“ daran, dass niemand versuche, Corbyn aus der Labour Party auszuschließen. Selbst dessen schärfste Kritiker hätten also nichts gegen ihn in der Hand, was eine Blockade seiner Kandidatur rechtfertigen könne. Massive Kritik am Vorgehen Starmers kam auch von Parteimitgliedern, die nicht als Corbyn-Unterstützer bekannt sind. Ob Corbyn als unabhängiger Kandidat zur Wahl antritt, hat er noch nicht verlauten lassen.