Der Minister und CSU-Chef Horst Seehofer hält an VS-Chef Hans-Georg Maaßen fest und will die AfD vor VS-Beobachtungen bewahren. Die Migrationsfrage und nichts anderes sei die „Mutter aller Probleme“. Eine Leserbriefschreiberin der „Süddeutschen“ hielt ihm entgegen, ob er es nicht mal mit dem Kapitalismus und den Kriegen als Ursache aller Probleme versuchen wolle. Im Zuge der Auseinandersetzungen um die AfD und deren Zustimmung zu den pogromartigen Entwicklungen in Chemnitz und zur Zusammenarbeit mit den Braunen wird die Diskussion immer prinzipieller. Der Kapitalismus wird in Frage gestellt, aber diese Fragestellung gilt als Verfassungsfeindlich, wie der Prozess von Silvia Gingold gegen den VS in Hessen offenbarte.
Ausgangspunkt des aktuellen Streits war ein Interview mit Maaßen in der „Bild“-Zeitung, in dem der oberste Verfassungsschützer gesagt hatte, ihm lägen „keine belastbaren Informationen“ darüber vor, dass in Chemnitz Hetzjagden stattgefunden hätten. Vielmehr sprächen „gute Gründe“ dafür, dass es sich bei einem entsprechenden Video „um eine gezielte Falschinformation (von links!) handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“. Jedoch: Diese dreiste Umdeutung von Tatsachen diente offensichtlich der Ablenkung von der Faschisierung der AfD. Diese will Maaßen beschützen, denn sie wird noch gebraucht. Eine vollkommen entlarvte AfD, die zudem noch vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft und überwacht wird, ist nicht als möglicher Bündnispartner für die bürgerliche Mitte vermittelbar. Diese Möglichkeit soll aber unbedingt offen gehalten werden.
Die AfD als Stütze des kapitalistischen, neoliberalen Systems – mit extremen Auswuchtungen zum Rassismus, die über das übliche Maß des konservativen Bürgertums hinausgehen – findet die Unterstützung des Inlandgeheimdienstes. Denn die AfD vertritt eine extrem marktradikale Politik, will also die bestehenden wirtschaftspolitischen Verhältnisse nicht ändern, sondern noch weiter zuspitzen. Eine Gegnerschaft des VS gegen die AfD könnte dieser unter ganz bestimmten Voraussetzungen die staatlichen Subventionen und die Förderungswürdigkeit rauben. Allerdings genießt sie auch die Förderung unter anderem aus der Industrie. Diese läuft vor allem über den „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der Bürgerlichen Freiheiten e. V.“ mit Sitz in Stuttgart und Stützen in der Schweiz.
Kürzlich berichtete das „Handelsblatt“ über den in einzelnen Bundesländern bestehenden Verdacht, dass es mit Blick auf die AfD „undichte Stellen“ in den Sicherheitsbehörden, insbesondere dem Bundesamt für Verfassungsschutz, gebe. Jetzt scheinen sich die Vorwürfe zu erhärten. Informationen über verfassungsfeindliche und gewalttätige Pläne der Nazis blieben lange Zeit unbearbeitet. Nun beantragte Maaßen eine Steigerung des Etats seiner Behörde um 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Den Haushalt der Behörde hatte er zuvor mit dem AfD-MdB Stephan Brandtner ausführlich erörtert. Es soll vor allem noch mehr Personal eingestellt werden. Doch immer wieder kommt es vor, dass der VS seine Kenntnisse für sich behält, die Justiz und Polizei nicht benachrichtigt – und so – wie im Fall Amri – schwerste Verbrechen ermöglicht.
Der Verdacht, Maaßen und damit seine Behörde hätten eine allzu große Nähe zur AfD, wird ständig neu genährt. Sogar einige Länderbehörden weigern sich inzwischen, Maaßen Informationen zukommen zu lassen. „Wir konnten nicht sichergehen, dass das nicht gleich an die AfD geht“, sagte ein hochrangiger Landes-VS-Mann.
Auch in Unionskreisen ist man mehr als bisher besorgt über Maaßens Politik, wenngleich bei CDU-Politikern in Ostdeutschland die Zusammenarbeit CDU-AfD schon weit verbreitet ist. „Vor allem sollte der Frage intensiver nachgegangen werden, aus welchen Quellen sich die Partei finanziert“, sagte CDU-MdB Hirte. CDU-Landesminister Reul aus Düsseldorf will insbesondere das Agieren der sogenannten Patriotischen Plattform (PP) der AfD stärker in den Fokus nehmen. Immer wieder fielen PP-Funktionäre mit „völkisch-nationalen Äußerungen“ auf, sie riefen zudem nach einer „ethnisch homogenen Gesellschaft“, sagte Reul am Samstag dem Handelsblatt. „Das ist purer Rassismus.“ Maaßens Aussagen zu Chemnitz sind nur als I-Tüpfelchen in einer ganzen Reihe von Ausfällen des Verfassungsschutzchefs zu sehen. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag, erinnert an die Rolle des Verfassungsschutzes im Fall Amri und Maaßens „Exklusivberatung“ für die AfD, um eine Beobachtung zu umgehen. Dazu Ulla Jelpke: „Allein an sein Agieren im Fall Amri und seine Exklusivberatung der AfD sei hier erinnert. Dass Maaßen weiterhin auf die Rückendeckung des Bundesinnenministers zählen kann, verdeutlicht die Existenz rechter Seilschaften im Staat.“ Sie fordert, Maaßen abzulösen – er verfolge seine eigene Agenda. Und: „Jahrzehntelange Verstrickungen von V-Leuten in den Nazisumpf von NPD bis NSU machen deutlich: der Verfassungsschutz ist selbst Teil des Problems. Ein Weiter-so darf es hier nicht geben.“
Auch die SPD und die Grünen verlangen die Entfernung Maaßens aus seinem Amt. Darüber soll (nach Redaktionsschluss) am Abend des 18. September entschieden werden.