Opferberatungsstellen attestieren den Behörden „Wahrnehmungsdefizite“

Rechte Gewalt weiter auf dem Vormarsch

Von Markus Bernhardt

In der vergangenen Woche haben mehrere Opferberatungsstellen die von ihnen erfassten Fallzahlen zu rechter Gewalt im letzten Jahr vorgestellt. Die Ergebnisse sind erschreckend. So verzeichnete die Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, „ReachOut“ für das Jahr 2016 insgesamt 380 Angriffe. Dies sei, verglichen mit 2015, ein Anstieg der Gewalttaten und massiven Bedrohungen um fast 20 Prozent, konstatierten die Opferberater. Bei den Angriffen seien mindestens 553 Menschen, darunter sogar 45 Kinder, verletzt, gejagt bzw. massiv bedroht worden. Neben rassistisch motivierter Gewalt verdoppelten sich auch die Angriffe auf Lesben, Schwule und Transgender.

Auch in Sachsen-Anhalt verzeichnen die Opferberater einen Anstieg rechter Gewalt. 265 politisch rechts motivierte Gewalttaten mit 401 direkt davon betroffenen Menschen hat die Mobile Opferberatung für das Jahr 2016 in Sachsen-Anhalt registriert. Damit habe sich die Zahl der bekannt gewordenen politisch rechts und rassistisch motivierten Angriffe im Vergleich zu 2015 erneut erhöht. „Statistisch gesehen wurde in 2016 quasi jeden Tag jemand in Sachsen-Anhalt aufgrund der Herkunft, Hautfarbe, des Glaubens, gesellschaftlichen Status, der sexuellen Identität, der politischen Einstellung oder des Engagements für eine demokratische Gesellschaft zum Ziel rechter Gewalt“, sagte eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Dieses erschreckende Ausmaß rechter Gewalt“ markiere „die bitterste Bilanz seit Bestehen der Mobilen Opferberatung – zumal die Dunkelziffer nicht bekannt gewordener rechter Angriffe auch in 2016 um ein Vielfaches höher liegen dürfte“, konstatierte sie außerdem.

Dass Neonazis und Rassisten nicht einmal vor Tötungsdelikte zurückschrecken, wird anhand der sechs versuchten Tötungsdelikte mit politisch rechtem Hintergrund deutlich. So wurde etwa ein 24-jähriger alternativer junger Mann am 4. Juni 2016 auf der Ziegelwiese in Halle von einem unbekannten Jugendlichen mit mehreren Messerstichen lebensgefährlich verletzt.

Am 30. Juni 2016 schlugen und traten zwei Unbekannte in Zerbst auf einen 34-jährigen Pakistani ein und ließen ihn verletzt auf den Bahngleisen zurück. Weil sich der Betroffene noch aufrichten konnte, erfasste ihn ein herannahender Zug lediglich an der Schulter, berichtete die Opferberatung. Im Jahr 2015 hatte es hingegen kein versuchtes Tötungsdelikt gegeben, welches von den Beratern dokumentiert worden war.

Die Schwerpunkte politisch rechts motivierter Gewalt in Sachsen-Anhalt waren auch in 2016 die Stadt Halle (Saale) mit 47 Angriffen, gefolgt vom Landkreis Jerichower Land mit 40 Gewalttaten, davon allein 36 in der Stadt Burg (2015: 8).

Schwere Vorwürfe erhob die dortige Opferberatungsstelle gegen die Polizei. Obwohl mindestens 227 der registrierten Gewaltstraftaten polizeibekannt seien, habe das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt wie im Vorjahr bislang nur etwas mehr als die Hälfte (127; 56 Prozent) auch als politisch rechts motiviert registriert. „Neben fortbestehenden Wahrnehmungsdefiziten zu rechten Tatmotiven ist auch die offensichtliche Überlastung der Strafverfolgungsbehörden für die Betroffenen ein riesiges Problem“, betonte die Sprecherin der Mobilen Opferberatung.

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"Rechte Gewalt weiter auf dem Vormarsch", UZ vom 24. März 2017



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