Für eine kämpferische Metall-Tarifrunde 2021

Reallohnverluste abwehren

Der Vorstand der IG Metall hat am 9. November seine Forderungsempfehlung für die anstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie abgegeben. Die Entgelte und Ausbildungsvergütungen sollen sich bei einer Laufzeit von 12 Monaten um bis zu 4 Prozent erhöhen. Davon soll ein Teil in die Lohnerhöhung fließen. Mit dem anderen Teil soll teilweise der Lohn ausgeglichen werden, falls Betriebe zur Beschäftigungssicherung die Arbeitszeit auf eine 4-Tage-Woche absenken.

Zu dieser Forderungsempfehlung sprachen wir mit Christa Hourani, einer der drei Sprecherinnen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften VKG.

UZ: Der IGM-Vorstand hat für die anstehende Tarifrunde eine Forderungsempfehlung abgegeben. Wie schätzt ihr als VKG diese Empfehlung ein?

Christa Hourani: Bereits die letzte Tarifrunde Anfang 2020 war eine Nullnummer, die keine tabellenwirksame Erhöhung gebracht hat. 2018 gab es die letzte tabellenwirksame Erhöhung. Eine Forderung von „bis zu 4 Prozent“ mit der Option, sie auch als Teillohnausgleich für kürzere Arbeitszeiten zu nehmen, lehnen wir ab. Um Reallohnverluste abzuwehren, braucht es eine Lohnerhöhung zwischen 5 und 6 Prozent, mindestens aber 150 bis 200 Euro, und für Auszubildende mindestens 100 Euro mehr – und zwar für alle und tabellenwirksam.

In 2020 hatten wir in vielen Metallbetrieben Kurzarbeit, was zu Einbußen geführt hat. Außerdem gab es etliche Verzichtsvereinbarungen, sei es, dass Stunden gekürzt wurden wie bei Daimler, Bosch und ZF – und zwar ohne Lohnausgleich – oder dass Sonderzahlungen nicht ausbezahlt wurden. Das ist alles Geld, das den Kolleginnen und Kollegen fehlt und ausgeglichen werden muss. Unser Forderungsvorschlag ist vergleichbar mit Forderungen in anderen Branchen wie Öffentlicher Dienst oder Bauwirtschaft. Die Forderungsempfehlung des Vorstandes ist viel zu niedrig und soll ja auch noch verrechnet werden, falls die Arbeitszeit abgesenkt wird. Das würde weitere Reallohnverluste bedeuten.

UZ: Schon vor einigen Wochen hat der IGM-Vorsitzende Jörg Hofmann die 4-Tage-Woche ins Gespräch gebracht. Das ist doch ein Fortschritt, wenn endlich mal wieder das Thema Arbeitszeitverkürzung auf den Tisch kommt.

Christa Hourani: Ja, es ist positiv, wenn die größte Einzelgewerkschaft über eine 4-Tage-Woche spricht. Denn der Kampf um die 35-Stunden-Woche in den 80er und 90er Jahren hat uns gelehrt, dass durch kürzere Arbeitszeiten viele Arbeitsplätze erhalten werden können. Und dies ist zurzeit mehr als dringlich. Es stehen laut Aussagen von Experten und Studien etwa 200.000 Arbeitsplätze in der Metall- und Elektroindustrie auf der Kippe. Wenn wir die erhalten können, hätten wir viel gewonnen.
Aber so, wie es sich der IGM-Vorstand vorstellt, geht es auch nicht. Denn er will höchstens einen Teillohnausgleich – und damit bricht er mit dem in der Gewerkschaftsbewegung üblichen Standard des vollen Lohnausgleichs. Das würde bedeuten, dass die Kolleginnen und Kollegen für die Folgen der kapitalistischen Krise bezahlen.

Der „bis zu 4 Prozent“-Teillohnausgleich für die 4-Tage- beziehungsweise 32-Stunden-Woche deckt den Lohnverlust von drei Stunden nicht mal zur Hälfte ab. Knapp 9 Prozent wären notwendig, um drei Stunden weniger auszugleichen. Da ist aber noch kein Inflationsausgleich beinhaltet und auch kein Ausgleich für die vielen anderen Einbußen. Zusätzlich zur oben genannten Lohnforderung halten wir als VKG das Ziel der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für eine notwendige Antwort auf die Überproduktionskrise, denn damit könnten einige hunderttausend Arbeitsplätze gerettet werden.

UZ: Die wirtschaftlichen Bedingungen in der Metall- und Elektroindustrie sind in der anstehenden Tarifrunde nicht einfach. Wie schätzt ihr die Lage ein?

Christa Hourani: Die Situation in den Betrieben ist extrem unterschiedlich, bei einigen gehen Aufträge und Profite durch die Decke wie in der Medizintechnik oder bei Premiumherstellern wie Porsche, andere sind von Jobvernichtung und Erpressungen bedroht wie MAN oder Conti. Aber solche Situationen hatten wir schon öfter und die IG Metall hat trotzdem gute Tarifkämpfe geführt und ein Plus für die Kolleginnen und Kollegen erreicht.

Jetzt hat der Vorstand angekündigt, dass ab Mitte Dezember verhandelt wird und dass er vor Ende der Friedenspflicht bereits zu einem Abschluss kommen und auf Warnstreiks und Streiks verzichten will. Das birgt große Gefahren, wenn bereits zu Beginn einer Tarifrunde auf Streikverzicht eingeschworen wird. Die Erfahrungen lehren, dass das Kapital uns noch nie freiwillig etwas zugestanden hat. Wenn die Gewerkschaft die Waffe Streik nicht einsetzt, werden uns Errungenschaften und Einkommen geklaut werden. Gesamtmetall hat den Horrorkatalog bereits veröffentlicht, was sie alles streichen wollen. Da ist Offensive angesagt, nicht Streikverzicht.

UZ: Die Pandemie erschwert die Tarifauseinandersetzung zusätzlich. Dazu kommen noch die ganzen Entlassungsdrohungen und Erpressungen. Wie muss dem begegnet werden?

Christa Hourani: Weder eine Wirtschaftskrise noch eine Pandemie sind Gründe, auf Streiks zu verzichten. Denn nicht die abhängig Beschäftigten sind die Verursacher der Wirtschaftskrise und auch nicht die Profiteure des kapitalistischen Systems. Die Produktivität in der Metall- und Elektroindustrie ist in den letzten Jahrzehnten extrem gestiegen – abkassiert hat das Kapital.
In dieser Tarifrunde sollte ein Teil des eingesackten Profits zurückgeholt werden, notfalls mit einem guten Streikkonzept und kreativen Aktionsformen. Die vielen betrieblichen Aktionen im September und Oktober gegen Jobvernichtung und Verzichtsvereinbarungen haben gezeigt, dass die Kolleginnen und Kollegen trotz Corona bereit sind, für ihre Interessen zu kämpfen. Und ihre kreativen Aktionen haben gezeigt, dass sie auch unter Pandemiebedingungen dazu in der Lage sind. Lasst uns Druck machen auf den IG-Metall-Vorstand, dass diese Tarifrunde nicht wieder eine verlorene Runde wird. Beschlüsse in Vertrauenskörpern und Delegiertenversammlungen für eine kämpferische Tarifrunde sind notwendig. Verhindern wir eine Verzichtspolitik, sie wird keine Arbeitsplätze retten.

Eine Stellungnahme der VKG zur Tarifrunde der IG Metall 2021 findet sich hier.

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"Reallohnverluste abwehren", UZ vom 20. November 2020



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