Kampf um das US-Präsidentenamt: Viel Drama, wenig Demokratie

Reale Seifenoper

Nun also Frau Kamala Harris. Die vielen Wähler, die sich als „Demokraten“ hatten registrieren lassen und ihre Stimme bei den Abstimmungen zur Aufstellung des US-Präsidentschaftskandidaten dieser Partei für Joseph Biden abgegeben hatten, können – wie selbstverständlich – nach dem Rückzug des Mannes, dem sie ihre Stimme gaben, nicht noch einmal wählen. Stattdessen „sammelt“ nun, wie es in den hiesigen Medien schulterzuckend heißt, Harris die Stimmen der in diesem Prozess gewählten Wahlmänner und -frauen auf dem am 19. August beginnenden Wahlkongress der Demokratischen Partei ein. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ hatte sie, wie es hieß, die Mehrheit dieser Stimmen zusammen und wird wohl mit dem üblichen Getöse im August in Chicago zur Präsidentschaftskandidatin der Demokraten gekürt werden. Nur einen Kandidaten für das Vizepräsidentschafts­amt muss sie noch aus dem Säckchen ziehen. Auch darauf hat außer ihr und ihren Beraterkreisen niemand Einfluss.

Mit Demokratie hat das alles wenig zu tun. Aber die Dramaturgie ist beeindruckend. Der Kern der Story ist ja relativ banal: Da gibt es einen US-Präsidenten, der hat seinem Volk nach seiner knapp gewonnenen Wahl einen Aufschwung versprochen, Frieden, Wohlstand und Maßnahmen zur Gesundung der geschundenen Natur im großen, schönen Land zwischen Atlantik und Pazifik. Stattdessen gab es einen heftigen Inflationsschub, einen Aufschwung nur bei der umweltzerstörenden Plünderung von Öl- und Gasfeldern, wachsende Massenverzweiflung und vor allem eine immer aggressivere Aufrüstung gegen Russland und China. Folglich verliert der Mann an Zustimmung im Volk. Statt sich aber – in alten Western würde es heißen: „wie ein Mann“ – dem Votum des Volkes zu stellen, schmeißt er hin und hinterlässt einen salbungsvollen Brief „an mein Volk“, in dem er ein absurdes Bild von den USA zeichnet, die nie stärker gewesen seien als am Ende seiner Regierungszeit und „die nie besser positioniert waren, die Welt anzuführen, als heute“. Zu einer neuen Kandidatur sei er zwar nicht fähig, aber er werde sich darauf „fokussieren, meine Pflichten als Präsident für den Rest meiner Amtszeit zu erfüllen“. Die dauert noch bis zum Beginn des nächsten Jahres und dann wird er sein Amt an den im November gewählten Nachfolger oder die Nachfolgerin übergeben.

Aus diesem simplen Stoff ist – Hut ab – ein Drama mit allem Drum und Dran entstanden. Erst gab es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen zwei alten Männern um dieses angeblich wichtigste Amt der Welt. Nach einem desaströsen Fernsehduell mit einem Amtsinhaber, der sekundenlang mit geschlossenen Augen nach Worten sucht, um dann die falschen zu finden, mehrten sich die Zweifel an seiner Eignung für dieses Amt. Die Umfragewerte rutschten endgültig in den Keller, als auf den anderen Kandidaten geschossen wurde und er seitdem ein Loch im rechten Ohrläppchen hat. Das Bild dieses blutenden Kampfbullen, der vor der US-amerikanischen Flagge seine Faust in den blauen Himmel reckt, hätte sich niemand schöner ausdenken können.

Nun also Trump gegen Harris für den Rest der Sendezeit. Die Unterschiede zwischen den beiden in Alter, Geschlecht und Hautfarbe sind recht groß, die in den politischen Inhalten gering. Beide sind für Aufrüstung und Krieg, bei beiden wird es weitere Jahre des Sozial- und Wohlstandsabbaus für die unteren Klassen der USA geben. Die einzige erkennbare Differenz liegt darin, dass die eine festhält an dem bisherigen Biden-Kurs, zunächst – gemeinsam mit den anderen NATO-Verbündeten –, Russland mithilfe ukrainischer Soldaten in die Knie zu zwingen, bevor die geballte Macht des Wertewestens gegen China gewendet wird, während der andere dafür plädiert, das Erledigen des russischen Bären in die bewährten Hände der Westeuropäer unter deutscher Führung zu legen, um sich seitens der USA gleich mit aller Macht auf den chinesischen Drachen zu stürzen. Das eine ist so tödlich, illusionär und volksfeindlich wie das andere.

Da wir hier darüber eh nix zu melden haben, lehnen wir uns entspannt zurück, kaufen Popcorn und schauen, wie der Film weitergeht.

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"Reale Seifenoper", UZ vom 26. Juli 2024



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